Sommerportrait Soziale Berufe
Maike Cohrs
Als Schuldnerberaterin arbeite ich an zwei verschiedenen Orten und bin täglich mit zwei verschiedenen Welten konfrontiert. Egal, ob ich in meinem Büro in der Schuldnerberatungsstelle in Köln oder in Brühl sitze, immer habe ich in der Beratung mit verzweifelten überschuldeten Menschen auf der einen Seite und meist gut situierten Gläubigern auf der anderen Seite zu tun.
Den Menschen, die zu mir kommen, versuche ich die Angst vor Pfändung und einem Absturz in Existenznot zu nehmen. Mit den Gläubigern muss ich zum Teil hart verhandeln. Das ist anstrengend, aber ich mag beide Seiten meines Berufs. Nach elf Jahren als Schuldnerberaterin kann ich sagen, dass fast jeder Fall, den ich bearbeite, zu einem positiven Abschluss kommt.
Mein Arbeitstag beginnt um acht Uhr. Dann fahre ich den Computer hoch und sehe erst mal nach, ob ich Mails bekommen habe. Meistens sind es die Gläubiger, also Banken, Telefongesellschaften, Energieunternehmen oder Warenhäuser, die mir auf diese Weise schreiben. Im Laufe der elf Jahre, die ich in der Schuldnerberatung arbeite, bekomme ich aber auch zunehmend Mails von meinen Klienten, besonders von den berufstätigen Männern und Frauen. Rentner dagegen nutzen diesen Weg selten. Auch Post muss ich erledigen, zum Beispiel, wenn ein Vergleich oder ein Insolvenzverfahren beantragt wird. Das passiert dann per Brief.
Die Scham der Verschuldung
Den ersten Beratungstermin habe ich um neun Uhr. Ich arbeite jeden Tag bis 14 Uhr und nehme in der Regel vier Klienten. Die Ersttermine vereinbart unsere Verwaltung für mich und meine sieben Kollegen in Köln und die drei Kollegen in Brühl. Die telefonische Terminvergabe erfolgt an bestimmten Tagen. Dann laufen bei den Verwaltungsmitarbeitern die Leitungen heiß. Die Nachfrage ist im Laufe der Jahre deutlich gestiegen, was mich nicht wundert. Schließlich haben wir mittlerweile rund sieben Millionen überschuldete Menschen in Deutschland. Man muss hartnäckig sein, um einen Beratungstermin ausmachen zu können. Pro Jahr beraten wir in Köln und Brühl rund 600 überschuldete Menschen.
Erster Schritt: Licht ins Rechnungschaos bringen
Wenn jemand zur Erstberatung zu mir kommt, nehme ich mir immer etwas mehr Zeit. Die Menschen bringen dann in der Regel ihre Einkommensnachweise und Gläubigerunterlagen mit. Manchmal befinden sich die ganzen Dokumente und Briefe unsortiert in einer Plastiktüte. Auch ungeöffnete Post ist dabei. Viele sind überfordert mit den Unterlagen und Gläubigerschreiben und erzählen, warum sie sich jetzt an eine Schuldnerberatungsstelle wenden.
Die Geschichten sind oft tragisch. Nach der Scheidung, dem Tod des Ehepartners oder dem Verlust des Arbeitsplatzes konnten Kredite nicht mehr bedient werden, es kamen neue Schulden dazu. Statt direkt in eine Beratung zu gehen, wurde erst einmal versucht, alleine mit Banken, Versicherungen oder Vermietern zu verhandeln. Dann wurden immer mehr Rechnungen nicht gezahlt oder ignoriert, bis der Brief vom Gerichtsvollzieher im Postkasten lag oder der Strom sogar schon abgestellt wurde. Die Scham, über all das zu reden, ist groß.
Aus der Verzweiflung herausfinden
Es gibt viele diffuse Ängste. Manche glauben, sie müssten für ihre Schulden ins Gefängnis, andere denken, dass das Jugendamt ihnen jetzt die Kinder wegnimmt. Wieder andere – sehr oft sind dies Rentner – befürchten, dass die Gläubiger persönlich vorbeikommen und dann einfach ihre Wohnung leer räumen. All das ist rechtlich meistens gar nicht möglich. Das erkläre ich den Klienten und nehmen ihnen so die stärksten Ängste. Gemeinsam sortieren wir die Unterlagen und ich übersetze dabei das komplizierte und angstmachende Juristendeutsch.
Zweiter Schritt: die Klienten aufklären und Zuversicht vermitteln
Gemeinsam überlegen wir, wo die Klienten Ratenzahlungen einstellen können, ob sie Hilfe für ihre Mietrückstände beim Wohnungsamt oder ein Darlehen beim Jobcenter für ausstehende Stromrechnungen erhalten. Es kann auch ein Pfändungsschutzkonto eingerichtet werden, auf dem ein gewisser Grundfreibetrag pfändungsfrei ist.
Ich beobachte immer, dass die Menschen im Laufe des Gesprächs lockerer werden, die Anspannung nachlässt und sie wieder Hoffnung schöpfen. Das gefällt mir unglaublich an diesem Beruf.
Wir vereinbaren dann meistens, dass ich nach der Beratung alle Gläubiger anschreibe. Dabei weise ich darauf hin, dass mein Klient jetzt eine Schuldnerberatung in Anspruch nimmt, bitte um Geduld und eine Forderungsaufstellung. Oft wissen die Menschen gar nicht genau, wie viele Schulden sie überhaupt bei wem haben. Erst wenn die Gläubiger uns diese Aufstellung schicken, können wir genau überlegen, wie wir mit den Schulden umgehen und ob ein Insolvenzverfahren Sinn macht. Bis der nächste Beratungstermin ansteht, formuliere ich die Briefe an die Gläubiger und pflege die Daten der Klienten in unsere Datenbank ein. Dann steht schon der nächste Klient vor der Tür.
Die Gläubiger überzeugen
Im Schnitt kommen die Menschen sechs bis sieben Mal in meine Beratung, bis wir Ordnung in das Schuldenchaos gebracht haben. Ich muss mich immer auf dem Laufenden halten über neue rechtliche Entwicklungen. Zu Beginn meiner Tätigkeit in der Schuldnerberatung habe ich manchmal geglaubt, dass mir das alles über den Kopf wächst und ganz viel in einem kleinen Heft notiert, um die Kollegen zu fragen oder mich über die aktuelle Sachlage zu informieren. Heute brauche ich das nicht mehr. Aber ich mache regelmäßig Fortbildungen, lese mehrere Fachzeitschriften und tausche mich mit meinen Kolleginnen zu Fachfragen aus.
Dritter Schritt: die rechtliche Situation kennen und nutzen
Wenn die Höhe der Gesamtverschuldung klar ist, kann ich mit den Gläubigern einen Vergleich aushandeln. Dabei geht es darum, dass die Klienten 30 Prozent ihrer Schulden tilgen und ihnen der Rest erlassen wird. Für die Gläubiger ist dies dann attraktiv, wenn sie fürchten müssen, ihr Geld sonst gar nicht mehr zu bekommen.
Ich freue mich immer, wenn ich es schaffe, sie von einem Vergleich zu überzeugen. Dafür nehme ich auch das Telefon in die Hand, denn wenn ich die verzweifelte Situation meines Klienten persönlich schildere, habe ich meistens mehr Erfolg, als wenn ich nur einen Brief schreibe.
Ein anderer Weg ist die Verbraucherinsolvenz, die in rund der Hälfte der Fälle ansteht. Das Verfahren dauert meist sechs Jahre. Wenn dafür der Antrag beim Insolvenzgericht gestellt ist, ist meine Beratung abgeschlossen und die Sache läuft.
Wenn ich aus meinem Büro in Köln oder Brühl komme, bis ich meistens ziemlich erschöpft. Ich brauche den sportlichen Ausgleich und das Zusammensein mit meiner Familie, um all die schlimmen Geschichten hinter mir zu lassen. Wer täglich mit Menschen aus allen sozialen Schichten zu tun hat – vom überschuldeten Ex-Profi-Fußballer bis zum armen Rentner – erfährt ganz konkret, dass es eine hundertprozentige Sicherheit vor dem Absturz in Überschuldung und Armut nicht gibt. Aber es finden sich auch Wege hinaus. Und dass ich die in meiner Arbeit aufzeigen kann, macht zufrieden und froh.
Protokoll: Sabine Damaschke
Fotos: Martina Schönhals/Diakonisches Werk Köln und Region