7. August 2015

Sommergespräch mit Karen Sommer-Loeffen

Erste Hilfe für Reisende und Gestrandete

Sommerzeit ist Reisezeit. In der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe gibt es viele Einrichtungen und Angebote, die gerade jetzt viel zu tun haben. Die Bahnhofsmissionen gehören dazu. Seit über 120 Jahren sind sie erste Anlaufstellen für Reisende, aber auch für Menschen in Not, die am Bahnhof stranden. Karen Sommer-Loeffen, Referentin für Bahnhofsmission und Ehrenamt, gibt Einblick in ein soziales Arbeitsfeld im ständigen gesellschaftlichen Wandel.

Porträtfoto von Karen Sommer-Loeffen

Karen Sommer-Loeffen

Deutschlandweit gibt es 103 Bahnhofsmissionen, 24 Standorte davon betreuen Sie als Referentin der Diakonie RWL. Was bedeutet die Sommerreisezeit für die Mitarbeiter der Bahnhofsmissionen?

Wir können nicht sagen, dass sie dann generell mehr zu tun haben. Zwar boomt unser Begleitprogramm für alleinreisende Kinder zwischen sechs und 14 Jahren, „kids on tour“, in der Ferienzeit. Ansonsten aber sind es eher Ereignisse und Krisen, die die Mitarbeiter der Bahnhofsmission stark fordern. Etwa, wenn es aufgrund von Stürmen oder Bahnstreiks zahlreiche Zugausfälle gibt. Dann sind unsere Mitarbeiter oft die ersten Ansprechpartner für frustrierte Reisende. Sie sind nämlich schnell da und helfen mit Auskünften und Getränken. Auch wenn Katastrophen passieren wie das Love Parade-Unglück in Duisburg vor fünf Jahren, helfen die Mitarbeiter all jenen, die verzweifelt am Bahnhof ankommen und eine Betreuung brauchen.

Insgesamt haben die Bahnhofsmissionen in Deutschland rund 2.000 ehrenamtliche Mitarbeiter, gut 600 von ihnen sind unter dem Dach der Diakonie RWL und der Kirchen tätig. Eine Studie attestiert den Ehrenamtlichen ein überdurchschnittliches Engagement von 35 Stunden pro Monat. Der Durchschnitt liegt bei 16 Stunden. Was sind das für Menschen, die sich bei der Bahnhofsmission einbringen?

Ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission tätig zu sein, ist eine Haltung, vielleicht sogar eine Lebensbotschaft. Die meisten Mitarbeiter identifizieren sich sehr stark mit ihrer Arbeit. Das liegt einerseits daran, dass es bei der Bahnhofsmission so viele verschiedene Möglichkeiten des Engagements gibt. Wir kümmern uns um Reisende, aber auch um Obdachlose, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, eben einfach alle, die am Bahnhof stranden. Jedem, der Hilfe braucht, wird unbürokratisch und schnell geholfen. Andererseits ist der Bahnhof auch ein Sehnsuchtsort, ein eigener Sozialraum, in dem Menschen aus aller Welt und aus allen sozialen Schichten zusammenfinden. Das fasziniert übrigens auch junge Leute. Zwar ist der Großteil der Ehrenamtlichen über 50 Jahre alt, aber in die Teams kommen zunehmend Jugendliche und junge Erwachsene.

Sie verstehen sich als eine Art „Clearingstelle“, d.h. Sie helfen den Menschen, indem Sie in das soziale Hilfesystem der jeweiligen Stadt vermitteln. Ein Schlafplatz, ein warmes Essen, eine Dusche – all das gehört nicht zum Angebot. Das war früher mal anders. Warum hat man sich von diesem Konzept verabschiedet?

Das Leitbild der Bahnhofsmission war es eigentlich schon immer, in das soziale Netz der Stadt zu vermitteln. Als in den siebziger Jahren ein immer größeres Angebot an Hilfen durch Beratungsstellen, Wohnheime für Obdachlose und Tafeln entstand, entschieden sich die meisten Bahnhofsmissionen dafür, Duschen, Schlafräume und Essensausgaben zu schließen.

Heute stehen überall die „aufsuchenden Hilfen“ im Vordergrund. Wir warten nicht, bis die Menschen zu uns kommen, sondern gehen im Bahnhofsgelände umher und bieten – erkennbar in den blauen Westen der Bahnhofsmission – unsere Hilfe beim Um- und Einsteigen oder eine erste Beratung für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten an. Zudem können Reisende, die Hilfe brauchen - zum Beispiel Familien, alte Menschen oder Menschen mit Behinderung-, die Bahnhofsmission anrufen und diese Unterstützung vorab organisieren.

Die erste Bahnhofsmission wurde vor 121 Jahren in Berlin gegründet, um Frauen Schutz zu bieten, die in die Stadt kamen, um einen Arbeitsplatz zu suchen. Welche soziale Gruppe steht heute im Fokus?

Nach den Frauen, den Flüchtlingen und Aussiedlern, den Gastarbeitern und Fahrschülern sind es heute wieder Flüchtlinge, aber auch Arbeitsmigranten aus Osteuropa und Wohnungslose. Wir stellen aber leider fest, dass die Bahnhofsmission zunehmend nicht nur „erste“, sondern auch „letzte“ Anlaufstelle für Menschen in sozialen Schwierigkeiten ist. Das macht uns große Sorgen, denn wir sind ratlos, wo wir diejenigen hin vermitteln sollen, die bereits alle sozialen Hilfsangebote genutzt haben und dann doch wieder bei uns landen.

Die Bahnhofsmissionen sind in die sozialen Netzwerke der jeweiligen Städte eingebunden und setzen deshalb auch verschiedene Schwerpunkte in ihrer Arbeit. Welche besonderen Projekte sind daraus entstanden?

In Aachen macht die Bahnhofsmission ein bis zweimal einen „Frauentag“ für wohnungslose Frauen, an dem sie gezielt über Hilfen für diese Gruppe informiert. Die Kölner sind sehr engagiert in der Flüchtlingsarbeit, denn dort kommen besonders viele Migranten an. In Saarbrücken setzt die Bahnhofsmission jetzt einen Schwerpunkt auf die sogenannten „mobilen Hilfen“, die Zugbegleitung in den Nahverkehrszügen. In der Essener Bahnhofsmission arbeiten Menschen mit und ohne Handicap in Tandems begeistert zusammen. Es gibt also eine Vielzahl an guten Ideen, die die soziale und gesellschaftliche Situation vor Ort aufgreifen.

Bahnhöfe gehören beruflich zu Ihrem Alltag. Wie geht es Ihnen, wenn Sie privat verreisen? Halten Sie schon automatisch Ausschau nach den Leuten in den blauen Westen der Bahnhofsmission?

Das tue ich tatsächlich. Und wenn ich dann sehe, wie die Mitarbeiter in ihren blauen Westen am Gleis stehen, bin ich richtig stolz, dass die Bahnhofsmission ein so tolles Netzwerk ist und so viele hochmotivierte Ehrenamtliche hat. Übrigens habe ich die Hilfe der Bahnhofsmission beim Umsteigen auch selbst schon für mein Patenkind organisiert. Das war ganz unbürokratisch und unkompliziert. Gerade in der Ferienreisezeit kann ich nur jedem empfehlen, das auch mal auszuprobieren.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

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