Schuldner-Atlas 2019
Einkommensungleichheit und Überschuldung gehen häufig Hand in Hand. Das zeigt der neue Schuldner-Atlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Vor allem bei Rentnern mache sich die Kluft zwischen Arm und Reich bemerkbar. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der verschuldeten Bürger im Alter ab 70 Jahren um fast 50 Prozent auf rund 380.000. "Schuldnerberatung und Armutsberatung gehören noch immer zusammen", lautet eines der Ergebnisse der Untersuchung. Doch viele der Betroffenen warten lange bis sie einen Termin bei einer Beratungsstelle bekommen.
"Viele der Menschen, die besonders von einer Beratung profitieren könnten, erreichen wir nicht", erläutert die zuständige Expertin der Diakonie RWL, Petra Köpping. Denn: Der Zugang zur Schuldnerberatung ist für manche schwierig. "Wer nicht das Jobcenter oder einen anderen kommunalen Träger hat, der ihn unterstützt, findet oft nicht direkt in die Beratung."
Diakonie-RWL Expertin Petra Köpping fordert, verschuldete Menschen besser zu unterstützen.
Hoher Bedarf an kostenfreier Beratung
"Dabei ist eine gute Beratung der Schlüssel für den Weg aus der Schuldenspirale", betont Köpping. Insgesamt gibt es rund 1.450 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Deutschland. Unter dem Dach der Diakonie RWL arbeiten zwischen Bielefeld und Saarbrücken über 80 Schuldnerberatungsstellen, die im vergangenen Jahr über 48.000 Menschen beraten haben.
"Der Schuldner-Atlas zeigt, dass der Bedarf an Beratung viel höher ist, doch in unseren Stellen sind wir teilweise zu bevorzugter Beratung einzelner Klienten verpflichtet", erklärt Diakonie-RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. Menschen, die arbeitslos gemeldet sind, Hartz IV beziehen oder bei denen eine besondere Hilfebedürftigkeit, etwa durch eine Behinderung, festgestellt wurde, haben Anspruch auf kostenfreie Beratung. Alle anderen, die Arbeit haben, aber so wenig verdienen, dass sie immer mehr Schulden anhäufen oder die aus Scham keine Unterstützungsleistungen vom Staat beziehen, fallen durch das Raster.
Eine Schuldnerberaterin berät eine Klientin (Foto: Diakonie Köln).
Arm trotz Arbeit
"Trotz des Wirtschaftsbooms der letzten Jahre hat die Zahl der prekär Beschäftigten, die von ihrem Lohn kaum leben können und deshalb Schulden anhäufen, zugenommen", erklärt Köpping. Insgesamt leben derzeit rund acht Prozent der Menschen in Deutschland von einem Niedriglohn. Mittlerweile ist jeder sechste Mensch in Deutschland von Armut bedroht.
Die Diakonie RWL fordert schon lange den Ausbau der sozialen Schuldnerberatung, von der bislang nur 15 Prozent der überschuldeten Menschen in Deutschland profitieren. Pro 50.000 Einwohner sollte es zwei vollzeitbeschäftigte Schuldnerberater geben. Derzeit kommen im Bundesdurchschnitt 1,03 Berater auf 50.000 Einwohner. Die Finanzierung der Beratungsstellen ist kompliziert und lastet derzeit vor allem auf den Kommunen und Trägern.
Wenn das Geld nicht reicht: Überschuldung löst Stress und psychischen Druck aus (Foto: Pixabay).
Rechtsanspruch auf Beratung
Zudem appelliert die Diakonie RWL an die Politik, einen Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung einzuführen. "Ein geordnetes Verfahren zur Schuldenregulierung begrenzt den Schaden für Schuldner und Gläubiger", erläutert Köpping.
Es profitierten aber auch Wirtschaft und Gesellschaft, weil die Gefahren sozialer, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Folgekosten nachhaltig gemildert würden. Wissenschaftliche Studien belegen laut Köpping, dass Überschuldung Stress und psychischen Druck auslöst, der seelisch und körperlich krank macht.
Mit Wohnkäfigen protestierten 2018 Mitarbeitende der Diakonie Düsseldorf gegen die steigenden Mietpreise (Foto: Wandt).
Wohnungslosigkeit vorbeugen
Auch Wohnungslosigkeit könne durch eine gute Beratung vorgebeugt werden. In Deutschland sind die Nettokaltmieten seit 1991 von durchschnittlich vier Euro auf über zehn Euro gestiegen. Bei immer mehr Haushalten wird durch steigende Mieten die kritische Grenze von 30 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnkosten überschritten.
Bereits mittlere Einkommensklassen seien immer häufiger von den Mietpreisen überfordert, heißt es in dem Schuldner-Atlas. Und wer Schulden hat, findet nur schwer eine Wohnung. Viele Schuldnerberatungsstellen der Diakonie erleben täglich, dass ihre KIienten so gut wie keine Chance auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt haben. Denn Vermieter verlangen heute weitergehende Informationen über die finanzielle Situation der Bewerber.
Ein negativer Schufa-Eintrag macht die Wohnungssuche schwer (Foto: Pixabay).
Schufa-Eintrag mit Ende der Insolvenz löschen
"Die Schufa-Auskunft führt häufig zu einer Stigmatisierung. Dabei sagt sie nichts darüber aus, ob der Betroffene seine Miete zahlen kann", kritisiert Petra Köpping. Im Gegenteil. Wenn er sich in einem Insolvenzverfahren befinde, unternehme er damit alles, um Zahlungsstörungen zu vermeiden, erhalte aber noch drei Jahre nach Ende des Verfahrens eine schlechte Schufa-Benotung.
"Das verbaut vielen überschuldeten Menschen einen Neustart. Der Schufa-Eintrag müsste direkt mit Ende des Insolvenzverfahrens gelöscht werden", sagt Köpping. Eine Forderung, die die Diakonie RWL gemeinsam mit anderen Sozialverbänden im Rahmen der diesjährigen Aktionswoche Schuldnerberatung bereits formuliert hat. Sie stand unter dem Motto "Albtraum Miete".
Text: Ann-Kristin Herbst und Sabine Damaschke
Der Schuldner-Atlas 2019 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform
Aktionswoche Schuldnerberatung der Diakonie RWL und weiterer Sozialverbände
Soziale Hilfen
Schuldner-Atlas 2019
Jeder Zehnte in Deutschland kann seine Rechnungen nicht mehr zahlen, wie der Creditreform-Schuldner-Atlas belegt. Das sind knapp sieben Millionen Bürger deutschlandweit. Während die Verschuldung bundesweit zurückgegangen ist, stieg sie in Nordrhein-Westfalen auf 1,75 Millionen. Vor allem Rentner sind mit 380.000 Menschen deutlich häufiger verschuldet, als noch im Vorjahr (Zuwachs um 45 Prozent). Frauen sind seltener überschuldet als Männer: Nur 7,65 Prozent der deutschen Frauen haben Schwierigkeiten, ihre Rechnungen zu bezahlen, bei den Männern sind es 12,46 Prozent.