14. Dezember 2021

Quartiersprojekt Essen

Vom Polizisten zum Sozialarbeiter

Wenn Wolfgang Zacheja durch Essen-Altendorf läuft, dann immer mit offenen Augen und Ohren. Wo gibt es Probleme, wo muss etwas angepackt werden? Der ehemalige Polizist ist "Sicherheitsbeauftragter" im Quartiersprojekt der Diakonie Essen. Eine ungewöhnliche Aufgabe, für die er viel Empathie, aber auch Durchsetzungskraft mitbringt. 

  • Wolfgang Zacheja in Essen-Altendorf bei Sonnenschein
  • Wolfgang Zacheja vor dem Ehrenzeller Markt in Essen-Altendorf bei Sonnenschein
  • Kiosk am Ehrenzeller Markt in Essen-Altendorf
  • Hochhäuser in Essen-Altenessen

"Da müsste ich mich demnächst auch mal drum kümmern", sagt Wolfgang Zacheja, als auf der Altendorfer Straße laut gehupt wird. Und meint den Verkehr. Der ist aber nur eines von vielen Themen, die die Menschen in Essen-Altendorf beschäftigen. Wolfgang Zacheja ist seit März 2021 im Auftrag des Diakoniewerks Essen für die Quartierssicherheit im Einsatz. Und da gibt es einige Baustellen. 

Altendorf gilt als Problemstadtteil und macht immer wieder Schlagzeilen. Viele der Anwohnenden fühlen sich nicht sicher. Wolfgang Zacheja ist pensionierter Polizist − eine ungewöhnliche Besetzung für so eine Stelle, doch vielleicht ist er gerade deshalb so gut für diese Aufgabe geeignet. 

In Essen-Altendorf leben etwa 22.000 Menschen. Die meisten davon haben Migrationsgeschichte. 92 Nationen wohnen hier Tür an Tür. Manche sind vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen, andere erst in den letzten Jahren. Wolfgang Zacheja arbeitet hier nicht alleine.

Gruppenfoto der Mitarbeitenden in der Quartiersarbeit der Diakonie Essen

Ein gutes Team: Wolfgang Zacheja mit Streetworker Alfred Allroggen,  Projektleiterin Regina Moock und Sprach- und Schulmittlerin Deliana Fasih (von rechts)

Quartiersarbeit ist Teamarbeit 

Regina Moock leitet das Stadtteilbüro BlickPunkt 101 und koordiniert von dort die verschiedenen Projekte und Themen, die für den Stadtteil relevant sind. Sie ist unter anderem verantwortlich für das Projekt MifriN − "Migranten in friedlicher Nachbarschaft". Alfred Allroggen ist Streetworker in diesem Projekt, Deliana Fasih Sprach- und Schulmittlerin. Sie arbeiten eng mit Wolfgang Zacheja zusammen. 

"Altendorf ist ein Ankommensstadtteil", sagt Regina Moock, für viele also die erste Station, wenn sie nach Deutschland kommen. Die Mieten sind günstig, eine Wohnung leichter zu bekommen als anderswo. Jeder Dritte lebt hier von Transferleistungen. Viele Wohnungen waren lange in schlechtem Zustand, erst langsam konnten Vermietende zu Sanierungen bewegt werden. Armut ist ein großes Thema − auch Bildungsarmut. 

Dass hier so viele Nationen und Kulturen nebeneinander leben, sorgt oft für Konflikte. Deliana Fasih sagt, bei vielen gibt es die Angst vor dem Unbekannten, wenn die Leute die Kultur ihrer Nachbarn nicht kennen oder verstehen. Sie pflegt den Kontakt zur rumänischen Community, besonders zu den Familien. Für sie, aber auch für die anderen Projekte im Stadtteil ist die Beziehungsarbeit eines der wichtigsten Elemente. 

Müll auf dem Bürgersteig im Stadtteil Essen-Altendorf

Am Thema Müll entzündet sich im Stadtteil immer wieder Streit. Wolfgang Zacheja hat das im Blick.

Ins Gespräch kommen

Regelmäßig dreht Wolfgang Zacheja seine Runden durch den Stadtteil. Er weiß, wenn wieder irgendwo Müll auf dem Grünstreifen entsorgt wurde. Welche der Häuser besonders verwahrlost sind. Wo sich die Trinkerszene trifft. Wo die "Klopper", die Arbeiter, die irgendwo schwarz für ein paar Euro beim Renovieren helfen, morgens um halb 8 auf neue Aufträge warten. Wo sich Dealer und Konsumierende zur Übergabe begegnen. Wo konsumiert wird. Und in welchen Ecken man besonders vorsichtig sein muss. Doch er beobachtet nicht nur. Er und sein Kollege Alfred Allroggen suchen auch immer wieder das Gespräch. 

Zum Beispiel mit denen, die sich am Vormittag am Rand neben dem Ehrenzeller Platz die ersten paar Bier genehmigen. "Alles gut bei euch?" − "Braucht ihr noch Masken?" Die Begrüßung ist freundlich, die beiden scheinen akzeptiert zu sein. Sie wissen über die Situation vieler Bescheid − ob es in letzter Zeit gesundheitliche Probleme gab oder Stress mit dem Vermieter − und helfen, wenn nötig. Bei konkreten Dingen, wie dem Ausfüllen von Papierkram oder der Suche nach einer neuen Wohnung. Aber auch ganz allgemein dabei, den Stadtteil besser zu vernetzen und die Bewohnenden mehr in Kontakt zu bringen.  

Drei Männer unterhalten sich in einem Kiosk.

Wolfgang Zacheja und Alfred Allroggen schauen auf ihren Rundgängen im Stadtteil regelmäßig im Büdchen von Inhaber Hüseyin Eldes vorbei.

Guter Draht zu Geschäftsleuten

Wolfgang Zacheja geht außerdem auch auf die Gewerbetreibenden in der Gegend zu. Hüseyin Eldes zum Beispiel ist eine echte Institution. Er führt mit seiner Familie den "Ehrenzeller Markt", den Kiosk am Rand des Ehrenzeller Platzes. Was müsste sich aus seiner Sicht verbessern? "Das frage ich mich auch schon seit 15 Jahren", scherzt er. Seitdem lebt er hier in Essen. Dass es im Stadtteil Probleme gibt, merkt auch er. Doch er sagt, er kommt mit allen gut zurecht. Kennt fast jeden, wird respektiert. Bei ihm holen sich die einen ihr Bier, die anderen einen Kaffee auf die Hand für den Weg zur Arbeit. 

Zu den Aufgaben von Wolfgang Zacheja gehört es auch, zu vermitteln, wenn es Konflikte gibt. In einigen Gruppen findet im Sommer das Leben viel draußen statt. Bis spät in die Nacht hinein − das wiederum stört die Nachbarn. Da versucht er, zu schlichten. "Das gelingt uns auch immer öfter", sagt er. 

Wolfgang Zacheja und Alfred Allroggen im Streitgespräch mit einem Bewohner des Stadtteils Essen-Altendorf

Ruhig bleiben und dafür sorgen, dass Konflikte deeskalieren: Dafür sind Wolfgang Zacheja und Alfred Allroggen ausgebildet.

Begegnung statt Druck

Dass er früher Polizist war, erleichtert ihm die Arbeit in manchen Bereichen. Auf Leute zuzugehen und sie anzusprechen, fällt ihm nicht schwer. Außerdem sei er leidensfähig, habe schon viele Abgründe gesehen. Den Blick eines Polizisten muss er trotzdem auch manchmal ablegen. "Wir richten nicht. Wir sind für die Menschen da", sagt Streetworker Alfred Allroggen. Sollten Konflikte doch eskalieren, werde natürlich die Polizei hinzugezogen. Ansonsten setzen er und Wolfgang Zacheja eher auf Begegnung als auf Druck. 

Insgesamt strahlt Wolfgang Zacheja Optimismus aus. Er hofft, dass auch durch Feste und Veranstaltungen mehr Kontakt unter den Anwohnern entsteht. Dass alle mehr aufeinander Acht geben. Er sagt, Altendorf sei eigentlich ein intakter Stadtteil und müsse nur etwas angeschoben werden. Damit das Leben hier für alle ein bisschen schöner und sicherer wird. 

Text und Fotos: Carolin Scholz, Redaktion: Sabine Damaschke, Fotos im Slider: Maya Claussen (Diakoniewerk Essen)

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