10. März 2016

Psychosoziale Prozessbegleitung

Diakonie RWL unterstützt Opfer in Strafverfahren

Wenn Menschen Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch werden, haben sie oft Angst, vor Gericht zu gehen. Diese Ängste soll ihnen die psychosoziale Prozessbegleitung nehmen. Darauf haben ab Januar 2017 viele Opfergruppen einen Rechtsanspruch. Am Wochenende beginnt in NRW die Ausbildung der ersten Prozessbegleiter. Für die Diakonie RWL ist Sabine Bruns dabei, um Einrichtungen und Mitarbeitende in diesem neuen Arbeitsfeld künftig beraten zu können.

Sabine Bruns

Als Referentin für Straffälligenhilfe bei der Diakonie RWL hatten Sie bislang eher die Täter als die Opfer im Blick. Warum haben Sie sich entschieden, in die Prozessbegleitung einzusteigen?

Erstens ist Straffälligenhilfe Prävention und damit Opferschutz. Zweitens kennen alle, die im Bereich der diakonischen Straffälligenhilfe arbeiten, die Justiz sehr gut. Das ist ein Vorteil, den Mitarbeitende aus anderen sozialen Arbeitsfeldern meist nicht haben. Natürlich kennen wir die Sichtweise der Täter aus unserer Arbeit besser als die der Opfer. Aber in der Ausbildung lernen die Psychosozialen Prozessbegleiter neben juristischen und rechtlichen Fragen auch viel über Viktimologie und Traumatologie. Außerdem sollen sie keine psychologische oder rechtliche Beratung übernehmen. Sie sind - so heißt es im dritten Opferrechtsreformgesetz - zur Neutralität gegenüber dem Strafverfahren und der Trennung von Beratung und Begleitung verpflichtet. Ihre Aufgabe ist es, die Betroffenen vor, während und nach der Hauptverhandlung zu begleiten und sie sachgerecht und kompetent über ihre Rechte und prozessuale Abläufe aufzuklären.

Wie sieht das konkret aus?

Der Beginn eines Strafverfahrens bedeutet für viele Menschen, die schwere Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt haben, dass Erinnerungen und Ängste, Scham und Schuldgefühle zurückkehren. Die meisten kennen den Ablauf eines Strafverfahrens nicht und fürchten, etwas Falsches zu sagen, das ihnen schadet. Außerdem haben sie Angst vor der Konfrontation mit dem Täter. Sie werden ein zweites Mal zum Opfer. Wenn jemand an ihrer Seite ist, der ihnen erklärt, wie das Strafverfahren funktioniert, juristische Fachbegriffe übersetzt und auch mit in den Gerichtssaal geht, dann beruhigt sie das.

Warum hat sich der deutsche Staat entschieden, künftig professionelle Prozessbegleiter zu finanzieren?

Zwar gibt es schon vielerorts Prozessbegleitung und Zeugenbegleitprogramme, aber sie unterscheiden sich stark. Der Gesetzgeber möchte dafür professionelle, interdisziplinär geschulte Fachkräfte, die nach ähnlichen Standards arbeiten. Verschiedene Modellprojekte haben nämlich gezeigt, dass eine gute Prozessbegleitung dabei hilft, Kinder, Jugendliche und erwachsene Opfer von sexueller Gewalt, Misshandlung oder Menschenhandel zu stabilisieren. Es gehört zum Opferschutz, dass so eine Retraumatisierung durch die juristische Befragung oder Konfrontation mit dem Täter verhindert wird. Einen ruhigen und aufmerksamen Zeugen vor Gericht zu hören, nützt aber auch dem gesamten Strafverfahren. Insofern haben bestimmte Opfergruppen ab Januar 2017 einen Rechtsanspruch auf die psychosoziale Prozessbegleitung. Sie können darauf bei Gericht einen Antrag stellen. Die Justiz trägt die Kosten.

Welche Gruppen haben einen Anspruch auf diese Prozessbegleitung?

Es sind zunächst minderjährige Opfer schwerer Sexual- und Gewaltstraftaten, aber auch Erwachsene, die Opfer einer solchen Straftat wurden, ihre Interessen aber nicht selbst durchsetzen können. Dazu gehören zum Beispiel Menschen, die psychisch krank sind, eine Behinderung haben oder einer Minderheit angehören und besonders schutzbedürftig sind.

In NRW hat die Justiz beschlossen, dass sie die Psychosoziale Prozessbegleitung ausschließlich den Wohlfahrtsverbänden übertragen will. Warum?

Ich finde, es ist eine gute Ergänzung zu all den sozialen Hilfen, die wir bereits anbieten. Unsere Mitarbeitenden begleiten oft verunsicherte Menschen, denen sie Ängste nehmen und die sie stärken müssen. Außerdem bringen sie für die einjährige Ausbildung zum Prozessbegleiter die Voraussetzungen mit, die der Gesetzgeber fordert. Man muss nämlich einen Hochschulabschluss im Bereich Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem dieser Bereiche vorweisen.

Wie umfangreich ist die Ausbildung?

Sie umfasst insgesamt 400 Stunden, besteht aus fünf Modulen und läuft über zwei Semester. Die Universität Düsseldorf startet mit der Ausbildung an diesem Samstag. Auch die Hochschulen in Münster und Bielefeld werden in diesem Jahr mit Schulungen beginnen. Im Januar 2017 sollen die 19 Landgerichtbezirke in NRW mit mindestens jeweils zwei psychosozialen Prozessbegleitern starten. Einige sprechen davon, dass es künftig für ganz NRW einen Pool von bis zu 300 Prozessbegleitern geben muss. Die Stellen werden nach einer Gebührenordnung durch die Justiz finanziert.

Rechnen Sie damit, dass sich die Psychosoziale Prozessbegleitung als festes diakonisches Arbeitsfeld etablieren wird?

Das hoffe ich sehr. Dieser neue Rechtsanspruch ist ein Meilenstein im Opferschutz. Es steht uns als Diakonie sehr gut an, das zu unterstützen. Meine Aufgabe wird es sein, für die Prozessbegleiter diakonischer Träger und Einrichtungen aus unserem Verbandsgebiet eine gute Vernetzung und einen Austausch hinzubekommen und sie wiederum in ihrer Arbeit fachlich zu beraten.

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