4. März 2021

Psychisch kranke Wohnungslose

Wegbegleiter in eine bessere Zukunft

Immer mehr Menschen, die auf der Straße leben, leiden unter psychischen Erkrankungen. Doch es fehlen passgenaue Hilfen. In Dortmund gibt es seit dem vergangenen Frühjahr eines der wenigen Wohnangebote für psychisch kranke Wohnungslose. In der "Pension Plus" begleitet die Diakonie sie auf dem Weg zurück in ein möglichst selbständiges Leben.

  • Einem Obdachlosen wird die Hand gereicht. (Foto: Shutterstock)
  • Möbliertes Einzelzimmer in der "Pension Plus" der Diakonie Dortmund (Foto: Tim Cocu/Diakonie Dortmund)

Als Anna Kohls (Name geändert) im Sommer 2020 am Dortmunder Hauptbahnhof angesprochen wurde, waren ihr die Spuren langjähriger Obdachlosigkeit deutlich anzusehen. In der Frauenübernachtungsstelle der Diakonie angekommen, berichtete sie viel über ein Leben, das eigentlich so gar nicht zu ihrer Erscheinung passte und referierte eloquent über wissenschaftliche Fachthemen. Von ihrer Erkrankung wollte sie nichts wissen.

Erst mit viel Geduld, behördlicher Hilfe und in wenigen lichten Momenten fanden die Mitarbeitenden vor Ort heraus: Anna Kohls war Professorin an einer renommierten Hochschule in Bayern gewesen. Auf ihrem Konto türmte sich eine hohe Rente auf, seit Monaten unberührt. "Sie wurde durch eine psychische Erkrankung aus ihrem Alltag gerissen, hat jeglichen Wohlstand hinter sich gelassen und bemerkt aufgrund ihrer Krankheit gar nicht, wie sich ihr Leben verschlechtert hat", erzählt Ilda Kolenda, Leiterin der Frauenübernachtungsstelle.

Ilda Kolenda leitet die Frauenübernachtungsstelle der Diakonie in Dortmund. (Foto: Damaschke/Diakonie RWL)

Ilda Kolenda leitet die Frauenübernachtungsstelle der Diakonie in Dortmund. (Foto: Sabine Damaschke)

Kleine "Pension" für 15 Gäste

Seit April 2020 gibt es in der Frauenübernachtungsstelle mit der "Pension Plus" einen eigenen Wohnbereich für wohnungslose, psychisch kranke Frauen. Anna Kohls erhielt einen der insgesamt sechs Plätze.

Weitere neun Plätze stehen für männliche Betroffene im Bodelschwingh-Haus der Diakonie zur Verfügung. Ziel der "Pension Plus" ist es, die Menschen langsam und vertrauensvoll an das weiterführende Hilfesystem anzubinden. Ein Team aus Sozialarbeitern, Hauswirtschafterinnen und Fachkräften der Krankenpflege unterstützt und begleitet sie auf dem Weg zur Stärkung der eigenen Ressourcen. Stets in enger Kooperation mit dem sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Dortmund und angeschlossenen Praxen.

"Häufig löst eine psychische Krise eine Abwärtsspirale aus, die sich in manchen Fällen erst wieder stoppen lässt, wenn das gewohnte Leben schon völlig aus der Bahn geraten ist", erklärt Thomas Bohne, Leiter der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Menschen der Diakonie Dortmund.

Thomas Bohne, Leiter der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Menschen der Diakonie Dortmund, mit Schlagsäcken und Teekanne (Foto: Tim Cocu/Diakonie Dortmund)

Unterwegs, um Hilfe anzubieten: Thomas Bohne, Leiter der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Menschen der Diakonie Dortmund

Krank, arbeitslos, wohnungslos

"Menschen, die fest und sicher im Leben stehen, gehen plötzlich nicht mehr zur Arbeit oder werden aufgrund von Aussetzern entlassen", beobachtet Bohne. Viele ließen ihre Wohnung verwahrlosen, bezahlten ihre Rechnungen nicht mehr und würden schließlich zwangsgeräumt. "Das Leben auf der Straße beginnt." Nicht selten erkennen die Betroffenen ihre eigene Krankheit nicht oder gehen einer nahegelegten Therapie bewusst aus dem Weg: "Und so gehören plötzlich mehr und mehr Menschen zum Wohnungslosenspektrum, die da eigentlich nicht reingehören", betont Bohne.

Verschiedene Studien aus deutschen Großstädten zeigen, dass über 70 Prozent der Menschen, die auf der Straße leben, eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung haben. Über 90 Prozent hatten laut Stefanie Schreiter, Leiterin des Therapiezentrums für bipolare Störungen an der Charité, schon einmal in ihrem Leben eine psychische Erkrankung.

Schlüsselbord in der Frauenübernachtungsstelle der Diakonie Dortmund (Foto: Tim Cocu/Diakonie Dortmund)

Auf dem Weg zur eigenen Wohnung: Schlüsselbord in der Frauenübernachtungsstelle

Von der Straße ins Einzelzimmer

Wolfgang Paul (Name geändert) entwickelt erst durch den täglichen Konsum von Alkohol und Drogen eine schwere Psychose. Auch er hat seine Erkrankung zunächst nicht akzeptiert und jegliche medizinische Therapie abgelehnt. Den Großteil des Tages berichtete er klar und sachlich von Attentaten, die Angela Merkel auf ihn geplant habe. Häufig war er tagelang still, nahm nichts zu sich, kümmerte sich nicht um sich selbst. Jetzt lebt er in der "Pension Plus" für Männer in einem möblierten Einzelzimmer.

Aufenthaltsräume und eine Küche stehen ihm ebenfalls zur Verfügung. Bis zu drei Jahre darf er in dem diakonischen Wohnangebot bleiben, das rund um die Uhr besetzt ist. Der Bedarf ist groß: Die Plätze der "Pension Plus" sind fast voll belegt. Finanziert wird die Unterbringung und Betreuung der Bewohner durch die jeweiligen Sozialhilfeträger sowie den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Text und Fotos: Tim Cocu/Diakonie Dortmund, Redaktion: Sabine Damaschke

Ihr/e Ansprechpartner/in
Jan Orlt
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration