Nationale Armutskonferenz
Ehrenamtliche müssen vor Ansteckung geschützt werden, betont Karen Sommer-Loeffen.
Die Nationale Armutskonferenz gibt es seit Herbst 1991. Sie arbeitet im Beirat zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit, verfasst Stellungnahmen für die Politik und meldet sich kritisch in den Medien zu Wort, wenn es um Armut geht. Was bedeutet es für Sie, dort mitarbeiten zu können?
Ich freue mich sehr darüber, dass ich nun als eine von rund 25 Delegierten in der Nationalen Armutskonferenz sitze – und zwar für die bundesweit tätigen 104 Bahnhofsmissionen, die einen Sitz in der Nationalen Armutskonferenz haben. Die Armut in Deutschland hat zugenommen und betrifft inzwischen nicht nur eine bestimmte soziale Schicht. Das spüren auch die Bahnhofsmissionen mit ihren etwa 2.000 ehrenamtlichen Helfern. Insofern ist es richtig, dass ihre Erfahrungen und Probleme dort vorkommen. Ich hoffe darauf, dass sie dadurch auch stärker in der Politik wahrgenommen werden.
In der Diskussion um die Essener Tafel hat die Nationale Armutskonferenz kritisiert, dass die Hartz IV-Regelsätze das Auskommen nicht sichern. Sie beklagt, Ehrenamtliche müssten für staatliche Versäumnisse einspringen und das bringe sie an "die Belastungsgrenze". Beobachten Sie ebenfalls eine Überforderung von Ehrenamtlichen?
Sowohl bei den Tafeln als auch den Bahnhofsmissionen arbeiten überwiegend Ehrenamtliche. Sie haben täglich mit Menschen zu tun, für die das staatlich festgelegte Existenzminimum nicht zum Leben reicht oder die durch alle sozialen Netze gefallen sind. Die Not wird immer größer, aber es gibt nicht mehr zu verteilen. Das ist schwer auszuhalten und führt ganz schnell in die Überlastung. Deshalb brauchen wir eine gute professionelle und hauptamtliche Begleitung der Ehrenamtlichen. Dort, wo es keine Hauptamtlichen gibt, etwa bei den Kleiderkammern und Tafeln, ist eine Vernetzung mit den Wohlfahrtsverbänden besonders wichtig. Sie können Schulungen und Supervisionen anbieten. Dort müsste es Ansprechpartner für diese Bereiche geben. Das müssen wir meiner Ansicht nach dringend erreichen.
Ehrenamtliche sind in ihrem freiwilligen Engagement mit Armut konfrontiert. Aber gehören Sie auch zur Gruppe der Betroffenen, für die sich die Nationale Armutskonferenz stark macht?
In den Bahnhofsmissionen haben wir natürlich "Seitenwechsler", die als Gäste kamen und inzwischen Mitarbeitende sind. Insgesamt aber engagieren sich arme Menschen viel seltener ehrenamtlich, was auch Studien klar zeigen. Oft haben sie genug damit zu tun, für das eigene Existenzminimum zu sorgen. Es gibt aber auch eine Hemmschwelle, weil das Gros der Ehrenamtlichen eher aus der Mittelschicht stammt. Wir machen uns in der Ehrenamtskoordination viel Gedanken darüber, wie wir sozial benachteiligte Menschen für das freiwillige Engagement gewinnen können. Dort, wo es gelingt – was meist in Kita, Schule, im Stadtviertel oder der Nachbarschaft der Fall ist –, profitieren alle davon.
In der Diskussion um Armut kommen Betroffene eher selten zu Wort. Wäre es nicht auch eine Aufgabe der Nationalen Armutskonferenz, das zu ändern?
Auf jeden Fall. Sie hat auch schon zu einer sogenannten "Betroffenenkonferenz" eingeladen, auf der Initiativen und Selbsthilfegruppen Stellungnahmen abgegeben und mitdiskutiert haben. Es ist in der Wohlfahrtspflege ja oft ein Problem, das wir zwar Hilfe für Menschen in Not anbieten und sie zur "Selbsthilfe" befähigen wollen, aber ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche dabei zu wenig berücksichtigen. So kann es dann zu einer "Hilfe von oben herab" kommen. Deshalb ist es mir so wichtig, dass im Ehrenamt nicht nur die Mittelschicht vertreten ist, sondern im Sinne einer echten Inklusion alle sozialen Schichten unserer Gesellschaft vorkommen.
Die Nationale Armutskonferenz beschäftigt sich vorwiegend mit den Themen Grundsicherung, Kinderarmut, Gesundheit, Frauen, Wohnen, Europa. Wie passt die Bahnhofsmission dort hinein?
Die Bahnhofsmissionen haben zwei Zielgruppen: Reisende und "Gäste". Dazu gehören längst nicht nur Wohnungslose. In den vergangenen Jahren kommen zunehmend arme Rentner, psychisch kranke Menschen, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten aus EU-Ländern, Schulverweigerer oder von Gewalt betroffene Frauen. Wir streifen also alle Themenbereiche. Unser Sozialmonitoring hat übrigens ergeben, dass 56 Prozent der Gäste mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen müssen. 47 Prozent sind erwerbslos. Die Mitarbeitenden erleben dort nicht nur offensichtliche, sondern auch viel versteckte Armut, von der besonders Frauen betroffen sind. Sie in den Fokus zu rücken, wie die Nationale Armutskonferenz es tut, finde ich wichtig. Auch da können wir uns aus Sicht der Bahnhofsmissionen einbringen.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke.