Kürzungen mit Folgen
Gegen Ende seiner Hauptschulzeit hatte Nico (Name geändert) keinen rechten Plan, wie es für ihn weitergehen sollte. Der 16-jährige fühlte sich mit der Berufswahl komplett überfordert. Mit seinen Eltern, die mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, konnte er nicht über diese Frage sprechen. Dass er heute erfolgreich eine Ausbildung zum Kinderpfleger absolviert, verdankt Nico der Tatsache, dass seine Lehrer ihm eine Berufseinstiegsbegleitung vorschlugen. Seit Ende der neunten Klasse traf sich der junge Mann zweimal pro Woche mit einer Sozialpädagogin der Wuppertaler GESA gGmbH (Gemeinnützige Gesellschaft für Entsorgung, Sanierung und Ausbildung mbH), einem Träger unter dem Dach der Diakonie RWL. Sie half ihm, den Einstieg in eine Ausbildung zu finden.
Die Berufseinstiegsbegleiter*innen beginnen 18 Monate vor dem Schulabschluss, mit den Jugendlichen zu arbeiten, erklärt Maria Johanna Giesemann.
Präventive Hilfe für Jugendliche mit Schwierigkeiten
Seit 2012 hilft die Berufseinstiegsbegleitung Jugendlichen mit Schwierigkeiten, den Übergang von der Schule in den Beruf zu schaffen. Finanziert werden die Begleiter*innen zu gleichen Teilen durch das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesagentur für Arbeit. Im vergangenen Jahr standen rund 32 Millionen Euro bereit, mit denen mehr als 5.000 Schüler*innen gefördert wurden.
80 von ihnen hat die GESA als Trägerin im Auftrag der Agentur für Arbeit in Wuppertal begleitet. Für das Programm wählen die Schulen Jugendliche aus, bei denen sie Probleme beim Übergang ins Berufsleben erwarten. "Es sind oftmals Jugendliche, die ein schwieriges Elternhaus haben", sagt Maria Johanna Giesemann, Mitglied der GESA-Geschäftsleitung und zuständig für das Ressort Personal, Soziales und Pädagogik. Zu den Problemen bei den Schüler*innen, aber auch bei deren Eltern zählen etwa Suchterkrankungen oder psychische Störungen. Teilweise handele es sich um notorische Schulschwänzer*innen oder auch Jugendliche, die in ihrem Selbstwertgefühl durch Mobbingerfahrungen beeinträchtigt seien.
"Es sind nicht immer Schülerinnen und Schüler mit schlechten Noten", erklärt Giesemann. "Aber es sind Jugendliche, die aus dem ein oder anderen Grund mit der Suche nach einem Beruf überfordert sind und zuhause nicht die nötige Unterstützung bekommen." Die Berufseinstiegsbegleiter*innen beginnen deshalb präventiv schon 18 Monate vor dem Schulabschluss, mit den Jugendlichen zu arbeiten. Zu Beginn dieses Prozesses versuchen die Sozialarbeiter*innen zunächst zusammen mit dem Jugendlichen einen Berufswunsch zu finden. "Das ist gar nicht so einfach, weil viele erst einmal von der Fülle der Berufe erschlagen sind", sagt Giesemann.
40 Prozent der von der GESA betreuten Jugendlichen starten in eine Ausbildung, 25 Przent besuchen eine berufsbildende Schule oder eine Bildungsmaßnahme.
Intensive Begleitung zeigt Wirkung
Die Begleiter*innen beginnen damit, zusammen mit dem Jugendlichen seine Interessen und Fähigkeiten herauszuarbeiten. Erprobt wird die Auswahl dann in der Regel mit einem Berufspraktikum. Dabei kommt ihnen der langjährige Kontakt der GESA zu örtlichen Betrieben zugute. Dann erhalten die Jugendlichen Hilfe, Bewerbungen zu schreiben, sich bei Bewerbungsgesprächen zu präsentieren oder sich auf Einstellungstests vorzubereiten. Ist ein Ausbildungsplatz gefunden, werden die Jugendlichen auch dort noch ein halbes Jahr lang begleitet.
Im Durchschnitt würden 40 Prozent der von der GESA betreuten Jugendlichen erfolgreich in eine betriebliche oder schulische Ausbildung vermittelt, erklärt Giesemann. Weitere 25 Prozent entschieden sich, eine berufsbildende Schule zu besuchen oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilzunehmen. Bei rund einem Drittel der Jugendlichen funktioniert die Weitervermittlung nicht und wird vorzeitig beendet. Gründe sind etwa gesundheitliche Probleme, die Wiederholung eines Schuljahres auf der aktuellen Schule, aber in einigen Fällen auch mangelnde Mitwirkung des Jugendlichen.
Kürzungen mit Folgen
Das Landesarbeitsministerium erklärt auf seiner Website, die Berufseinstiegsbegleiter*innen leisteten einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses in Nordrhein-Westfalen. An vielen Schulen seien sie kaum noch wegzudenken. Dennoch soll damit nach dem Willen der Düsseldorfer Landesregierung bald Schluss sein.
Denn im Entwurf des Landeshaushaltes 2025 sei der Posten gestrichen worden, sagt Ina Heythausen, Referentin bei der Diakonie RWL und Geschäftsführerin des Evangelischen Fachverbandes für berufliche und soziale Integration (FABI). "Dabei brauchen wir dringend ein solches Instrument, das präventiv greift." Denn seit Jahren blieben immer mehr Ausbildungsplätze unbesetzt, während zugleich viele Jugendliche den Weg ins Berufsleben verpassten.
Bundesweit blieben im vergangenen Jahr 13 Prozent des betrieblichen Angebots und damit 73.400 Ausbildungsstellen offen. Andererseits fanden 63.700 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz. Das sind 11,5 Prozent der Jugendlichen. Hinzu komme, dass die Ungelerntenquote von Jahr zu Jahr in bedrohlicher Kontinuität steige. Zuletzt seien fast ein Fünftel der 20- bis 34-jährigen ohne Berufsabschluss gewesen.
Die Berufseinstiegsbegleitung sollte verbessert und nicht abgeschafft werden, fordert Diakonie RWL-Expertin Ina Heythausen.
Trendwende nötig
"Diese Zahlen zeigen, dass wir eigentlich dringend eine Trendwende brauchen", stellt Heythausen fest. Denn dem deutschen Arbeitsmarkt fehlten mehr als eine halbe Million qualifizierte Arbeitskräfte. "Statt dieses präventive Förderinstrument abzuschaffen, sollte es vielmehr verbessert werden", schlägt Heythausen vor. Das sei notwendig, weil die Evaluation der Berufseinstiegsbegleitung ergeben habe, dass die Unterstützung nicht überall so wirkungsvoll wie bei der GESA gGmbH sei.
Das Hauptproblem seien Ausschreibungsverfahren mit kurzen Laufzeiten und ein Wettbewerb um den günstigsten Preis, sagt Heythausen. "Die Folge sind zum einen fehlende langfristige Planungssicherheit und eine hohe Personalfluktuation." Da die Aufträge immer nur für eine begrenzte Zeitspanne erteilt würden, könnten die Träger das Personal für diesen Bereich nur befristet einstellen. Dieses Problem sowie eine Bezahlung weit unter den Tarifen im öffentlichen Dienst erschwere die Rekrutierung und Bindung qualifizierter Coaches. Wechselndes Personal wiederum verhindere den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, die für benachteiligte Jugendliche so wichtig ist. Zum anderen wirke sich der Wettbewerb um den niedrigsten Preis negativ aus, beobachtet Heythausen. "Dadurch erhalten häufig Träger ohne örtliche Räumlichkeiten, ohne gut eingearbeitete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ohne eine Vernetzung in der Region den Auftrag." Zudem werde oft nicht berücksichtigt, dass Einrichtungen unter dem Dach von Wohlfahrtsverbänden wie Diakonie und Caritas den Vorteil hätten, Jugendliche oder ihre Eltern mit Problemen an das eigene Netzwerk vermitteln zu können, etwa an Sucht- oder Familienberatungsstellen, gibt Heythausen zu bedenken.
Bei der GESA in Wuppertal zum Beispiel zeige sich, wie Berufseinstiegsberatung erfolgreich funktioniert. Sollte das Angebot tatsächlich nicht mehr finanziert werden, gehe die Expertise der drei erfahrenen Mitarbeitenden verloren, fürchtet Giesemann. Nico ist dankbar, dass er noch von der Berufseinstiegsberatung profitieren konnte. Ohne diese Hilfe hätte er die Entscheidung für seine Ausbildung wahrscheinlich nicht getroffen, sagt er. Jetzt hat er ein festes Ziel im Blick: Nach der Ausbildung zum Kinderpfleger will er auch noch die Erzieher-Ausbildung schaffen.
Text: Claudia Rometsch, Fotos: GESA gGmbH