12. November 2024

Kürzungen mit Folgen

Flickenteppich bei der Schuldnerberatung

Die Nachfrage steigt: Immer mehr Menschen in NRW suchen Beratung, weil sie Kredite nicht mehr bedienen und Schulden nicht bezahlen können. Doch längst nicht alle Ratsuchende finden auch Hilfe. Schuldnerberaterin Maike Cohrs hatte sich Hoffnung auf Besserung gemacht – stattdessen will das Land jetzt weiter kürzen.

  • Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.

Gerade hat Maike Cohrs den Hörer aufgelegt. Donnerstagsmorgens können die Menschen im Rhein-Erft-Kreis Ersttermine für die Schuldnerberatung der Diakonie Köln und Region vereinbaren. Wer als erstes anruft, bekommt einen der begehrten Termine. "Wir können jeden Donnerstag fünf Termine vergeben, aber zählen zwischen 20 und 30 Anrufen", erzählt Maike Cohrs, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werks Köln und Region. Der Bedarf wachse eher noch. Immer mehr Menschen, die bisher gut zurechtgekommen seien mit ihren Kreditraten, würden jetzt nach Beratung suchen. Im Rhein-Erft Kreis kann die Diakonie generell jeden Ratsuchenden annehmen – wenn die personellen Ressourcen reichen würden. Es gibt eine Pauschalfinanzierung über den Kreis, die die Nutzung für alle Bürger möglich macht.

Währenddessen sieht die Lage in Köln anders aus: Auch in der Domstadt wird die Schuldnerberatung aus kommunalen Mitteln finanziert, sie erfolgt aber über eine Fallpauschale. Und das bedeutet: Sie richtet sich vor allem an Bürgergeldempfänger*innen, die so eine Möglichkeit bekommen sollen, Hemmnisse auf dem Weg zurück in Arbeit aus dem Weg zu räumen. Wer voll sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, kann nur unter erschwerten Bedingungen Beratung in Anspruch nehmen, wenn die Lage schwierig wird. Die Insolvenzberatung wird wiederum vom Land finanziert. "Wir haben in NRW einen großen Flickenteppich, wenn wir auf die Finanzierung von Schuldnerberatung blicken", erzählt Maike Cohrs. Das schränke den Zugang zur Beratung stark ein. "Überschuldung zieht sich aber durch die ganze Gesellschaft", so die Beraterin. Deswegen dürfe die Beratung nicht einer Gruppe vorbehalten sein. "Wir brauchen ein Recht auf Schuldnerberatung für alle", sagt Maike Cohrs.

Die Sparpläne sorgen dafür, dass Besserungen in der Schuldnerberatung in weite Ferne rücken.

Beratung für alle, auch die Berufstätigen, ist eine wichtige Forderung der Freien Wohlfahrtspflege. 

Hoffnung auf Besserung

Die Akteur*innen der Schuldnerberatung hatten deswegen auf die Politik gehofft: "Es sah alles danach aus, als würde es uns gemeinsam gelingen, die kommunal finanzierte Schuldnerberatung mit der landesfinanzierten Verbraucherinsolvenzberatung zeitnah zusammenzuführen", sagt Maike Cohrs. Das gemeinsame Ziel der Freien Wohlfahrtspflege und der Städte und Gemeinden: eine auskömmliche Finanzierung, qualitative Standards, eine deutlich weniger aufwändige Fallabrechnung und damit mehr Zeit für Beratung und vor allem freier Zugang für alle zum Beratungsangebot – auch für die Sozialversicherten, beziehungsweise Berufstätigen. "Dazu gab es auf allen Ebenen Gespräche", erzählt Maike Cohrs. Sogar im Koalitionsvertrag der Landesregierung war dieses Ziel schon formuliert worden. Und es gab Vorbilder: In Bayern zum Beispiel hat die Zusammenführung der beiden Stränge bereits stattgefunden. Spätestens mit den angekündigten Kürzungen der nordrhein-westfälischen Landesregierungen sind diese Hoffnungen nun vom Tisch. "Der Prozess ist zum Stillstand gekommen", sagt Maike Cohrs und will die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben, dass die Gesprächsstränge wieder aufgenommen werden.

60 Prozent sollen gekürzt werden

Fest steht: Die Kürzungen haben Konsequenzen – nicht nur auf den Prozess der Zusammenführung. Sie treffen die verbandsübergreifende Fachberatung der Schuldnerberatung. Die Finanzierung wird um 60 Prozent gekürzt. "Von 15 Vollzeitstellen bleiben noch sechs", rechnet Silke Thiel, Referentin des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) im Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration. Damit könne die Arbeit der Fachberatung nicht im bestehenden Maß aufrechterhalten werden. Das betrifft den etablierten Informationsdienst für die Beratungsstellen und die Koordination des Netzwerks. 

Damit würden Strukturen zerstört, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mühsam aufgebaut worden seien, sagt Silke Thiel. "Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll." Die verbandsübergreifende Fachberatung gehörte zu den Akteur*innen, die sich engagiert um die strukturelle Zusammenlegung von Schuldner- und Insolvenzberatung bemüht hatten. "Aus gutem Grund", sagt Silke Thiel. Schuldner- und Insolvenzberatung seien ein Teil der Daseinsvorsorge, also eine staatliche Aufgabe. Durch den Zusammenlegungsprozess hätte man diese Aufgabe langfristig und vernünftig sichern können – für alle Bürger, die in eine finanzielle Schieflage geraten. "Und das kann schnell gehen und jeden treffen", sagt Silke Thiel. 

Wer bei der Beratung spart, zahlt später drauf. Dann sind die Probleme noch gravierender.

Prävention hilft, Menschen zu stärken, bevor sie ernsthafte Probleme haben. Doch die Kürzungen rücken Besserungen in der Schuldnerberatung in weite Ferne.

Wer jetzt bei der Beratung spart, zahlt später drauf

Eine frühe Schuldnerberatung könne die Insolvenzberatung im Einzelfall unnötig machen, ist sie sicher. Und das wiederum könne viele Kosten vermeiden. Das bestätigt auch Maike Cohrs: "Wir finden es gut, wenn die Menschen früh zu uns kommen, nicht erst dann, wenn alle Stricke gerissen sind." Am Anfang könnten existenzsichernde Maßnahmen den Klienten helfen. Häufig gebe es dann einen Weg aus den Schulden heraus. "Dann können wir eine komplette Überschuldung noch verhindern", weiß Maike Cohrs. Der Haken: Je nach Finanzierung finden die Ratsuchenden in dieser Situation eben keinen Beratungstermin. Und das wird nun wohl auch erstmal so bleiben.

Auch eine zweite Hoffnung habe sich nahezu zerschlagen, ergänzt Maike Cohrs. Die Umsetzung der EU-Verbraucherkreditrichtlinie sollte auch Bürger*innen, die bei Kleinkrediten in Zahlungsnot geraten, ein Beratungsangebot ermöglichen. "Wir hatten die Hoffnung, dass so das Recht auf Schuldnerberatung für jeden Bürger etabliert wird", sagt Maike Cohrs. Im Moment sehe es aber so, als ob in Deutschland dafür keine zusätzlichen Gelder freigegeben würden. "Das wird nicht funktionieren", sagt Maike Cohrs und erinnert an den großen Bedarf und die begrenzten Ressourcen. Dann werden noch weniger Menschen einen Termin bekommen, wenn sie ihn brauchen.

Text: Theresa Demski, Fotos: Canva

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Silke Thiel
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
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