3. September 2020

Kommunalwahl 2020

Bonn: Armut in einer reichen Stadt

Wenn es um die Kaufkraft der Bürger geht, gehört Bonn zu den Spitzenreitern in NRW. Gleichzeitig lebt fast jeder vierte Einwohner unter der Armutsgrenze. Kurz vor den Kommunalwahlen macht die Diakonie Bonn die tiefe soziale Spaltung zum Thema. Geschäftsführer Ulrich Hamacher hat klare Vorstellungen, was sich in seiner Stadt ändern muss.

  • Das alte Rathaus in Bonn (Foto: pixabay)
  • Bettler in der reichen Stadt Bonn (Foto: pixabay)
  • Grafik aus dem Sozialbericht der Diakonie Bonn zur Teilhabemöglichkeit in der Stadt
  • Die reiche Bonner Südstadt (Foto: pixabay)
  • Hochhaus im armen Bonner Stadtteil Tannenbusch (Foto: S. Damaschke)
  • Skyline von Bonn mit Posttower (Foto: pixabay)
  • Das Stadthaus aus Glas in Bonn (Foto: pixabay)

Herr Hamacher, gemeinsam mit der Caritas haben Sie einen Sozialbericht vorgelegt, der die Spaltung Ihrer Stadt in Reich und Arm mit Zahlen belegt. Was erhoffen Sie sich davon?

Als Wohlfahrtsverbände sehen wir schon lange, dass es im Hinblick auf die finanziellen und sozialen Aufstiegs-, Entfaltungs- und Einflussmöglichkeiten in unserer Stadt eine deutliche Schieflage unter den Bürgern gibt. Aber jetzt haben wir eine Zahlenbasis, mit der wir an unsere Kommunalpolitiker herantreten und Druck ausüben können. Der Sozialbericht hat unsere Stadtbezirke im Hinblick auf die Teilhabechancen der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger untersucht. Daraus wurde ein Teilhabeindex ermittelt. Bei einer Index-Spannweite von 100 Punkten, die für maximale Teilhabechancen stehen, bewegen sich die statistischen Bezirke der Stadt zwischen 14,38 und 89,22 Punkten. Das macht erschreckend deutlich, wie tief gespalten unsere Stadt ist.

Ulrich Hamacher, Geschäftsführer der Diakonie in Bonn, ist besorgt über die soziale Spaltung in seiner Stadt. (Foto: Sabine Damaschke)

Ulrich Hamacher, Geschäftsführer der Diakonie in Bonn, ist besorgt über die soziale Spaltung in seiner Stadt.

Wie zeigt sich diese soziale Spaltung im Stadtbild?

Wir haben Stadtteile wie das Bonner Talviertel, in dem es schöne Altbauten, Cafés und Grünanlagen gibt. Dort leben die einkommensstarken Bürger und die Arbeitslosigkeit ist mit nur zwei Prozent sehr niedrig. Andere Stadtteile wie Tannenbusch bestehen aus Hochhausblöcken und teilweise maroden Straßen. Dort liegt die Arbeitslosigkeit bei 16,6 Prozent und die Quote der Hartz-IV-Bezieher bei 42 Prozent. Die Corona-Krise hat die sozialen Ungerechtigkeiten verschärft. Als die Ausgangsbeschränkungen kamen und Schulen und Kitas geschlossen wurden, traf das die einkommensarmen Familien besonders hart.

Wie haben Sie als Diakonie versucht zu helfen?

Wir haben immer wieder auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die einkommensarme Familien, aber auch alte und einsame Menschen gerade jetzt haben. Die Spendenbereitschaft war sehr hoch und hat uns gezeigt, welche Solidarität in unserer Stadt möglich ist. Ein Großhändler etwa hat 1.500 Smartphones für bedürftige Kinder gespendet, damit sie mit ihren Lehrern und Mitschülern kommunizieren konnten. Unsere Aktion "Wortspenden" ist sehr gut angenommen worden. Jüngere Menschen haben Briefe für ältere Bürger geschrieben, die isoliert in ihren Wohnungen und Pflegeheimen waren oder auch Einkäufe für sie übernommen.

Wo sehen Sie die Kommunalpolitik in der Pflicht, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen?

Wir haben in Bonn 105 Schulen mit knapp 52.000 Schülerinnen und Schülern. Doch sie lernen keineswegs unter gleichen Bedingungen. In den sozial benachteiligten Stadtbezirken sind die Gebäude und die Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln – vor allem digital – deutlich schlechter. Das muss sich ändern. In den Brennpunktschulen müsste es kleinere Klassen und mehr pädagogisches Personal geben. Dafür müsste sich die Stadt beim Land stark machen.

Graffiti im armen Bonner Stadtteil Tannenbusch (Foto: Sabine Damaschke)

Graffiti im armen Bonner Stadtteil Tannenbusch: Jugendliche brauchen mehr Räume, in denen sie sich treffen können, fordert Ulrich Hamacher.

Wir brauchen in deutlich mehr Stadtteilen Quartiersmanager, die nachbarschaftliche Hilfen koordinieren. Die Angebote für Jugendliche in Brennpunktvierteln müssten ausgebaut werden. Es fehlen Treffpunkte mit Freizeitaktivitäten, die Pädagogen begleiten. Und es fehlt ganz dringend bezahlbarer Wohnraum.

Was erwarten Sie in der Wohnungspolitik von den Kommunalpolitikern?

In Bonn fehlen rund 20.000 Wohnungen, davon mindestens 10.000 günstige Wohnungen für ärmere Familien. Die Stadt hat nun im früheren Parlaments- und Regierungsviertel 900.000 Quadratmeter Baufläche ausgeschrieben, auf dem aber zur Hälfte Büros entstehen sollen. Gemeinsam mit dem NRW-Bündnis "Wir wollen wohnen!" haben wir jetzt ein Bürgerbegehren gestartet, in dem wir mindestens 75 Prozent neue Wohnungen fordern, von denen die Hälfte – das wären rund 3.000 – sozial gebunden sein müssen.

Als Diakonie sind Sie in Bonn schon lange mit dem Thema Kinderarmut unterwegs. Wie reagieren die Kommunalpolitiker darauf?

Die Stadt Bonn hat lange ignoriert, dass es sie hier gibt. Doch mittlerweile ist den Kommunalpolitikern aller Parteien bewusst, dass sie etwas dagegen tun müssen. Unsere Stadt hat über 1.000 Millionäre. Die durchschnittliche Kaufkraft je Haushalt liegt bei knapp 51.000 Euro jährlich – das ist mehr als in Köln oder Leverkusen. Dennoch leben hier über 20 Prozent der Kinder in Armut!

Mit dem "Runden Tisch gegen Kinderarmut" haben wir hier ein breites Bündnis aufgestellt und durchgesetzt, dass die Stadt die Offenen Ganztagsschulen besser ausstattet und ein kostenloses Mittagessen für Kinder aus Hartz-IV-Familien bezahlt. Es gibt hier viele Projekte gegen Kinderarmut, aber letztlich hat die Kommunalpolitik nur begrenzte Möglichkeiten. Wir brauchen endlich eine Kindergrundsicherung. Das wird aber auf Bundesebene entschieden. Nach all den Jahren bin ich leise optimistisch, dass sie bald kommen könnte.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: Pixabay und Sabine Damaschke.

Weitere Informationen

Bonn zählt mit rund 330.000 Einwohnern zu den 20 größten Städten in Deutschland. Die Einzelhandelsrelevante Kaufkraft der Stadt lag 2018 bei 7.600 Euro je Einwohner deutlich über dem NRW-Durchschnitt von 6.800 Euro. Etwa die Hälfte der Mehrpersonenhaushalte ist kinderlos.

Das Diakonische Werk Bonn und Region hat 430 Mitarbeitende und wird seit 1991 von Ulrich Hamacher geleitet. Seit 2006 setzt sich der studierte Soziologe besonders für Kinder aus einkommensarmen Familien in seiner Stadt ein.