Impfungen für Wohnungslose
Vor einem Monat hat die NRW-Landesregierung alle Kommunen aufgefordert, die Impfungen für wohnungs- und obdachlose Menschen voranzubringen. War das ein Appell mit Wirkung?
Ja, das finde ich schon. Wir haben rund 63.000 Wohnungs- und obdachlose Menschen in Nordrhein-Westfalen und Ende April waren nach Schätzungen der Freien Wohlfahrtspflege etwa zehn Prozent geimpft. In einigen Kommunen wie Oberhausen hatte die Stadt schon Anfang des Jahres festgelegt, dass diese Menschen höchste Priorität in der Impfreihenfolge haben. In anderen Städten ist dagegen wenig passiert. Ein Problem bestand vor allem darin, dass Impfstoff knapp war und es einen Auslieferungsstopp von Johnson & Johnson gab, dem bevorzugten Impfstoff für diese Gruppe. Seit er zur Verfügung steht, geht es gut voran. In manchen Städten wie etwa Dortmund sind die Impfungen für Wohnungslose sogar schon abgeschlossen. In den letzten Wochen ist viel passiert.
Jan Orlt, Diakonie RWL-Experte für Wohnungslosenhilfe, beim Online-Interview.
Warum wird vor allem der Impfstoff von Johnson & Johnson eingesetzt?
Er hat den großen Vorteil, dass nur einmal geimpft werden muss. Das verringert den organisatorischen Aufwand für die Einrichtungen der stationären und ambulanten Wohnungslosenhilfe, in die mobile Ärzteteams nur für eine Impfung kommen müssen. Auch für die Streetworker, die den Kontakt zu Menschen auf der Straße halten, ist es natürlich leichter, wenn sie nur zu einer Impfung einladen und den Menschen dann dabei helfen, dorthin zu kommen und die Formalitäten zu erledigen.
Aus der stationären Wohnungslosenhilfe für Frauen der Diakonie Düsseldorf hören wir zum Beispiel, dass viele froh sind, nur einmal geimpft werden zu müssen und dies die Impfbereitschaft erhöht hat. Mitarbeitende der Diakonie Essen berichten dagegen auch von einer Skepsis gegenüber Johnson & Johnson. Einige Wohnungslose hatten Angst als "Versuchskaninchen" zu dienen, weil der US-Pharmakonzern den Impfstoff nach Meldungen über Thrombosefälle zunächst vom Markt genommen hatte und er nun in NRW zuerst in der Wohn- und Obdachlosenhilfe eingesetzt wird. Aber diese Bedenken konnten meistens ausgeräumt werden.
Werden denn überhaupt alle wohnungs- und obdachlosen Menschen mit dem Impfangebot erreicht?
Von unseren diakonischen Einrichtungen und Hilfsangeboten kann ich sagen, dass sie zu 90 Prozent wissen, wie und wo sie diese Menschen erreichen. Das gehört zur aufsuchenden Sozialarbeit. Zu vielen besteht schon seit Jahren Kontakt und oft auch ein Vertrauensverhältnis. Zwar hat es auch vereinzelt Aufklärungskampagnen mit Plakaten oder digital - etwa von der Berliner Charité - gegeben, aber in vielen Fällen war das nicht nötig, weil unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gut informiert und aufgeklärt haben.
Frühstücksraum des Café Pflaster, einer Einrichtung für Wohnungslose des Diakoniewerks Mönchengladbach. Dort wurden bis Mitte Mai rund 300 Menschen geimpft.
Erklären Sie damit die hohe Impfbereitschaft?
Die Impfbereitschaft ist tatsächlich hoch. Vor dem "Café Pflaster", einem Frühstückscafé für Wohnungslose der Diakonie in Mönchengladbach, standen die Menschen sogar für eine Impfung an. Auch das Impfangebot der Diakonie Düsseldorf in der Berger Kirche ist sehr gut angenommen worden.
Mitarbeitende berichten uns, dass viele wohnungs- und obdachlose Menschen, die sie betreuen, chronische Erkrankungen haben und unter psychischen oder Suchterkrankungen leiden. Wenn sie sich mit dem Coronavirus infizieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, schwer daran zu erkranken. Die Leiterin der Wohnungslosenhilfe für Frauen, Stefanie Volkenandt, vermutet, dass die hohe Impfbereitschaft mit dem stressigen Leben wohnungsloser Menschen zu tun hat. Wenn sie sich mit einem Piks schützen und vor einer schweren Erkrankung in Sicherheit bringen könnten, hätten sie eine Sorge weniger, meint sie.
Für die Impfungen müssen sich alle Bürger ausweisen und Formulare ausfüllen. Schreckt dieser bürokratische Aufwand nicht ab?
Es ist richtig, dass viele Menschen, die wohnungs- oder obdachlos sind, negative Erfahrungen mit Behörden, Gesundheitsämtern und Ärzten gemacht haben. Die Hürde, zu Vorsorgeuntersuchungen oder auch Impfungen zu gehen, ist normalerweise hoch. Doch mit den mobilen Impfteams, die zu den Menschen in die Einrichtungen und Tagesstätten kommen, ist es gelungen, ein niederschwelliges Angebot zu machen. Unsere Sozialarbeitenden helfen beim Ausfüllen der Formulare. Und wenn Ausweispapiere fehlen – etwa der Impfausweis oder die Krankenkassenkarte – wird trotzdem geimpft und dies dann dokumentiert. Das läuft erstaunlich unbürokratisch. Davon profitieren auch unsere Mitarbeitenden, von denen sich viele direkt mitimpfen lassen.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke.