Erziehen statt nur bestrafen
Für Lukas fängt bald ein neuer Abschnitt an: Der 16-Jährige beginnt eine Ausbildung im Tief- und Straßenbau. Darauf freut er sich. Vor einem halben Jahr sah es für ihn noch ganz anders aus: Er wurde wegen Körperverletzung vom Jugendgericht zu einer sogenannten Betreuungsweisung beim Diakonie-Projekt Tat und Rat verurteilt. Und genau die war es, die für eine Wende sorgte.
Tat und Rat ist ein Projekt der Diakonie Saar zur Ableistung verschiedener jugendgerichtlichen Weisungen. Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, werden meist erst einmal nicht zu Arrest verurteilt, sondern zu bestimmten Maßnahmen. Der Erziehungsgedanke steht bei ihnen im Vordergrund. Zu den Maßnahmen, die bei Tat und Rat abgeleistet werden können, gehören Betreuungsweisungen, Arbeitsstunden und Anti-Aggressivitäts-Training. Etwa 160 Jugendliche werden jedes Jahr bei Tat und Rat betreut.
"Im Jugendgerichtsgesetz geht es nicht so sehr um Strafe, vielmehr ist es vom Erziehungsgedanken geprägt", so Heike Moerland, Leiterin des Geschäftsfelds Berufliche und soziale Integration bei der Diakonie RWL. Damit erklärt sich, dass bei Tat und Rat Gesprächsangebote und positives Erleben im Vordergrund stehen. "Das Angebot ist ein wichtiges Element in der Kriminalprävention: Wenn Jugendliche durch die Kurse lernen, ihr Leben im positiven Sinne in die eigene Hand zu nehmen und straffrei bleiben, hat die Gesellschaft einen großen Nutzen davon."
Gemeinsam kochen und essen als Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, Miteinander zu erfahren.
Arbeitsstunden als Chance
Die Betreuungsweisung ist nicht der erste Kontakt, den Lukas zu Tat und Rat hat. Zuvor wurde er schon einmal verurteilt – zu Arbeitsstunden, die er auch hier verbracht hat. Die Jugendlichen leisten diese an Wochenenden oder in Ferienkursen ab. Meist bekommen sie 30 oder 60 Stunden, das bedeutet zwei oder vier Wochenenden, an denen sie beide Tage bei der Diakonie verbringen.
"Dabei geht es vor allem darum, über das gemeinsame Tun ins Gespräch zu kommen", sagt Jana Winter vom Projekt Tat und Rat der Diakonie Saar. Nach einer Vorstellungsrunde unternehmen die Jugendlichen an jedem Tag verschiedene Dinge. So arbeiten sie etwa mit einem Schreiner handwerklich oder werden kreativ, es gibt Seminare zu Themen, die die Jugendlichen beschäftigen, oder Aktionen aus dem Bereich Erlebnispädagogik. Mal wird mit Kameras losgezogen, mal gemeinsam Sport getrieben oder Musik gemacht. Auch beim Kindergartenfest haben die Jugendlichen schon geholfen – um eben auch anderen etwas Gutes zu tun.
Mittags wird gemeinsam gekocht und gegessen – auch eine Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. "Es geht viel um das soziale Miteinander", sagt Jana Winter. Die Mitarbeitenden von Tat und Rat lernen die Jugendlichen kennen, bekommen auch mit, worüber sie sich untereinander unterhalten und können so weitere Hilfe anbieten, wenn sich abzeichnet, dass Bedarf da ist. Immer wieder entdecken die Jugendlichen dabei Fähigkeiten, von denen sie vorher nicht wussten, und knüpfen neue Kontakte.
"Wir helfen bei allem möglichen – von Ausweis beantragen über Wohnung suchen, Bewerbung schreiben bis zum Arztbesuch begleiten", sagt Jana Winter (links).
Nächste Stufe: Betreuungsweisung
Die Betreuungsweisung ist oft die nächste Stufe, wenn Jugendliche erneut straffällig werden. Sie dauert meist ein halbes oder ganzes Jahr, die Jugendlichen werden dabei einzeln betreut. "Oft geht es erstmal darum, wie es mir gerade so geht", sagt Lukas. Er könne dann erzählen, was ihn beschäftigt und Fragen stellen, die sich seit dem letzten Gespräch ergeben haben. Jede Woche hat er so einen Termin. Besonders rund um die Suche nach einem Ausbildungsplatz hat ihm das sehr geholfen, denn da hatte er viele Fragen.
"Wir helfen bei allem möglichen – von Ausweis beantragen über Wohnung suchen, Bewerbung schreiben bis zum Arztbesuch begleiten", sagt Jana Winter. Auch Biografiearbeit und Tataufarbeitung gehören dazu. Weil es eine Eins-zu-eins-Betreuung ist, können die Mitarbeitenden des Projekts ganz konkret auf den Jugendlichen und das, was er braucht, eingehen.
Die Jugendlichen lernen als Gruppe, ihre Gefühle zu verstehen.
Training gegen Aggressivität
Das dritte Angebot von Tat und Rat sind Anti-Aggressivitäts-Trainings. Jugendliche, die mehrfach wegen Gewalt und Körperverletzung aufgefallen sind, werden vom Jugendgericht hierhin geschickt. In drei Phasen geht es darum, Gewalt in Zukunft zu vermeiden und Konflikte anders lösen zu lernen. Zu Beginn wird mit den Jugendlichen einzeln gesprochen, festgestellt, wie häufig, wann und warum sie Gewalt anwenden.
In der zweiten Phase verbringen sie drei Termine zusammen als Gruppe, lernen Gewaltformen, Gefühle und Emotionen zu verstehen und trainieren ihre Frustrationstoleranz. Sie befassen sich in dieser Phase auch mit der Perspektive der Opfer und schreiben etwa einen Brief an die Person, die sie verletzt haben. In der letzten Phase, ein halbes Jahr später, reflektieren die Jugendlichen, was sie gelernt haben und wie sie das in ihrem Alltag anwenden konnten.
Die Jugendlichen formulieren ihre Wünsche für ein straffreies Leben: Ein fester Job, eine Ausbildung, eine Reise.
Leben ohne weitere Taten
Ist ihre Zeit bei Tat und Rat vorbei, dürfen sich die Jugendlichen trotzdem weiter melden, wenn sie Hilfe brauchen. Wie viele von ihnen später nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt kommen, weiß Jana Winter nicht. Sollten sie noch einmal verurteilt werden, kann es auch sein, dass sie eine Maßnahme in einem anderen Projekt durchführen müssen. Es gibt aber auch welche, denen sie noch einmal auf der Straße begegnet oder die irgendwann einfach so wieder vorbeikommen.
Lukas hat sich fest vorgenommen, sich künftig besser unter Kontrolle zu haben. Es habe auch schon Situationen gegeben, in denen er früher wieder zugeschlagen hätte. "Jetzt laufe ich einfach weiter", sagt er. Wie das geht, hat er auch bei den Kursen in seinen Arbeitsstunden gelernt. Jetzt will er seine Ausbildung nicht aufs Spiel setzen. Und er weiß auch: Beim nächsten Mal muss er womöglich in Arrest. "Da war ich schon mal eine Woche. Das will ich nicht nochmal."
Text: Caro Scholz, Fotos: Diakonie Saar