Drogenkonsumraum
Torsten Polesch hält Drogenkonsumräume für einen wichtigen Bestandteil der Suchthilfe.
Eine Zwölfer, eine Sechzehner und ein Pfännchen – was nach Bestellung im Baumarkt klingt, hören die Mitarbeitenden des Drogenkonsumraums der Krisenhilfe Bochum regelmäßig. Dabei handelt es sich nicht um Schrauben, sondern die Nadelgrößen von Spritzen.
Damit setzen sich Drogenabhängige hier einen Schuss - in sauberen Räumen statt in dreckigen Hauseingängen oder öffentlichen Toiletten und unter Aufsicht von Mitarbeitenden, die als Ersthelfer ausgebildet sind. "Ich kenne viele, die gestorben sind, weil sie sich in Parks, auf der Straße oder zu Hause mit dreckigen Spritzen infiziert haben", erzählt Torsten Polesch, der seit 22 Jahren in der Drogenhilfe arbeitet und den Konsumraum der Krisenhilfe leitet. Für ihn sind Drogenkonsumräume ein wichtiger Bestandteil der Suchthilfe, weil sie dazu beitragen, Todesfälle und Infektionen zu vermeiden.
Knapp 1.300 Menschen starben 2017 bundesweit an den Folgen ihres Drogenkonsums, 203 davon in Nordrhein-Westfalen. Torsten Polesch ist überzeugt, dass es ohne die 18 Konsumräume, die es mittlerweile in 15 deutschen Städten gibt, deutlich mehr wären.
Die Krankenschwestern Nadine Siebers und Esther Nock (v.l.) leisten medizinische Ersthilfe.
Kritik an "rechtsfreiem Raum"
Kritiker bezeichnen die Konsumräume dagegen häufig als "rechtsfreie Räume" und bezweifeln, dass sie tatsächlich Leben retten. Der Konsum von Drogen ist in Deutschland zwar nicht eindeutig strafbar, wohl aber der Besitz und Erwerb.
Als im Jahr 2000 das Betäubungsmittelgesetz geändert wurde, gab es endlich eine rechtliche Grundlage für die Konsumräume. In NRW sind sie über eine Sonderregelung des Landes erlaubt. Die meisten der 70 bis 80 Süchtigen, die täglich den Drogenkonsumraum in Bochum nutzen, sind Männer zwischen 35 und 40 Jahren. Manche kommen nur einmal während der Öffnungszeiten von 9 bis 13 Uhr, andere bis zu viermal.
Manche gingen danach auch zur Arbeit und lebten ein ansonsten normales Leben, erzählt Polesch. "Wer Heroin unter sterilen Bedingungen konsumiert, kann heute alt werden", bestätigt Jonas Muß. Der Student ist Mitarbeiter, seit er die Arbeit während eines Praktikums kennengelernt hat.
Mit einem Beatmungsbeutel helfen die Mitarbeiter des Drogenkonsumraums bei Atemstillstand.
Hilfe bei Überdosis und Atemstillstand
Insgesamt arbeiten im Konsumraum und dem Cafébereich nebenan zwei Sozialarbeiter, zwei Krankenschwestern und neun Honorarkräfte, von denen die meisten wie Jonas Muß Sozialarbeit studieren. Die Krankenschwestern helfen bei Wunden und wenn es zu Notfällen kommt. Eine Ärztin bietet täglich eine Sprechstunde an.
"Hilfe, die dringend notwendig ist, denn Drogenkranke gehen ja nicht zum Arzt", so Polesch. Immer wieder schätzen Abhängige ihre Dosis falsch ein und spritzen zu viel Heroin. Dann kommt es zu einer verlangsamten Atmung oder einem Atemstillstand. "Wir sprechen die Menschen im Konsumraum an, damit sie nicht einschlafen und weiteratmen", sagt Muß. Kommt es zu Komplikationen, steht ein Beatmungsbeutel zur Verfügung. Der wird auf das Gesicht gedrückt und pumpt Sauerstoff in den Körper. "Einmal im Monat üben wir nach der Teamsitzung das Notfalltraining."
Student Jonas Muß unterstützt Drogenabhängige bei Alltagsproblemen und ist einfach für sie da.
Unterstützung im Alltag
Der Ton in der Einrichtung ist rau. Man rede nicht um den heißen Brei herum, betont Muß. "So wie du aussiehst, glaube ich nicht, dass du die nächsten zwei Jahre überlebst", sagt er hin und wieder bewusst zu einem Drogenabhängigen. Manchmal wirkt das.
Denn es geht im Konsumraum nicht nur darum, hygienische Bedingungen für die Sucht zu schaffen, sondern auch um die Vermittlung von Therapien, ein warmes Essen und Unterstützung in alltäglichen Fragen. So verteilt Jonas Muß im Cafébereich Kaffee oder Mittagessen für 50 Cent und hilft, wenn jemand das Anschreiben der Behörde nicht versteht. Oder er beantragt eine Ratenzahlung, wenn eine Strafe wegen Schwarzfahren bezahlt werden muss.
Die Einrichtung ist gut vernetzt mit den Drogenberatungsstellen vor Ort. "Die Abhängigen haben nur die Drogenszene und diesen ständigen Beschaffungsdruck", weiß er. "Wir sind einfach für sie da."
Saubere Spritzen und sterile Bedingungen helfen Todesfälle und Infektionen zu vermeiden.
Vernachlässigung und Gewalt
Viele Menschen, die Jonas Muß und Torsten Polesch betreuen, haben Vernachlässigung oder Gewalt erlebt und sind psychisch erkrankt. Meist bewilligen ihnen die Krankenkassen nur eine Therapie. Wird diese abgebrochen, sei es schwer, eine zweite oder eine dritte zu erhalten, erzählt Torsten Polesch.
"Wer drogenabhängig ist, braucht aber mehrere Therapien." Der Weg aus der Sucht sei ein langer Prozess und hart. Dennoch ermuntert der Sozialarbeiter immer wieder zu Entzug und Therapie. Einige wenige schaffen den Absprung. Er hat schon Menschen in der Stadt getroffen, die fragen: "Erkennst Du mich noch?" Und dann von Frau und Kindern erzählen. Im Drogenkonsumraum zählen aber eher die kleinen Erfolge. Letztens hat jemand zu ihm gesagt: "Fünf Minuten mit Dir zu reden, rettet mich über den Tag", ein anderer meinte: "Ohne Dich wäre ich schon lange tot." Es sind solche Sätze, die Torsten Polesch jeden Morgen gerne zur Arbeit gehen lassen.
Text: Sabine Portmann / Fotos: Krisenhilfe Bochum, Sabine Portmann