Armutsbekämpfung im Saarland
Der Aktionsplan zur Armutsbekämpfung sollte eigentlich schon im Januar 2020 fertig sein. Jetzt ist er mitten in der Corona-Krise veröffentlicht worden. Hat das einen Unterschied gemacht?
Auf jeden Fall. Die Pandemie und die Folgen des Lockdown zeigen uns ganz deutlich, wie dringend wir uns auch weiterhin um das Thema Armut kümmern müssen. Mit dem Aktionsplan erzielte das Saarland deshalb bundesweit Aufmerksamkeit.
Jobs sind weggebrochen. Mit der Schulschließung gab es keinen zentralen Unterstützungsfaktor mehr, der eine besondere Rolle für Kinder aus belasteten Familien spielt. Auch haben Kinder aus einkommensschwachen Familien kein Mittagessen und Obst mehr in der Schule bekommen. Als Diakonie erhielten wir schon 14 Tage nach dem Lockdown Anfragen von Familien, ob wir ihnen mit Lebensmitteln aushelfen. Wir konnten hautnah miterleben, dass die staatlichen Sozialleistungen nicht ausreichen und wir eine Aufstockung der Grundsicherung brauchen. Armut ist nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein strukturelles Problem, das sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene angegangen werden muss.
Anne Fennel ist seit 2018 sozialwissenschaftliche Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes an der Saar. (Foto: Diakonie Saar)
Am saarländischen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung hat die Sozialministerin gemeinsam mit Verbänden, Landkreistag, Städte- und Gemeindetag und weiteren Akteuren zwei Jahre lang gearbeitet. Die Diakonie war an diesem Prozess beteiligt. Sind Sie zufrieden?
Es ist ja bereits der zweite Aktionsplan im Saarland. Und er stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber dem ersten dar. Das liegt sicherlich daran, dass ihn die Sozialministerin zur Chefsache erklärt hat. Und ganz sicher hat die Beteiligung anderer Ministerien und weiterer Akteure, wie zum Beispiel die Wohnungswirtschaft, zum Gelingen beigetragen. Es liegen zwei Jahre harten und fairen Ringens hinter uns. Das zeigt aber auch, dass es die Beteiligten ernst meinten und an realistischen, umsetzbaren Lösungen interessiert waren. So ist nun ein Aktionsplan entstanden, der genau hinschaut und realistisch ist. Es soll differenziert gefördert werden und nicht nach dem Gießkannenprinzip. Es war uns wichtig, dass die Maßnahmen direkt bei von Armut betroffenen Menschen ankommen und dort nachhaltig spürbar sind. Ob das gelingt, wird sich jetzt zeigen. Und wir werden weiter daran arbeiten. Ja, insofern bin ich zufrieden.
Stromsparcheck-Projekt der Diakonie Saar: Berater Ahmad Salma zeigt sein Materiallager.
Welche Schwerpunkte setzt der Aktionsplan?
Es geht um die vier großen Themen Kinderarmut, Mobilität, bezahlbares Wohnen und Beschäftigungsförderung. Zu den Sofortmaßnahmen, die wir beschlossen haben, gehören eine landesweite Energiesicherungsstelle, die Privatpersonen berät und auch finanziell unterstützt, die ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Dazu wird ein "Notfallfonds Stromsperren" für einkommensschwache Haushalte eingerichtet. Das Saarland hat hier bereits mit dem Projekt "Stromsparcheck" eine Struktur geschaffen, die nun weiter unterstützt wird.
Zum Thema "Mobilität" wird es ein Sozialticket für den öffentlichen Nahverkehr geben. Für Kinder von Geringverdienern wird künftig ein beitragsfreies Mittagessen möglich sein. Wir bauen ein Pilotprojekt für "Frühe Hilfe" in Geburtskliniken aus und richten weitere Kinderhäuser in sozial benachteiligten Stadtteilen ein, die in enger Kooperation mit den Schulen und Eltern ganzheitliche Bildung, Hausaufgabenbetreuung, Essen und Freizeitangebote vorhalten.
Kostenloses Frühstück in der Grundschule - Auch dafür engagiert sich die Diakonie in Sarbrücken.
Welcher Schwerpunkt des Aktionsplans war Ihnen besonders wichtig?
Alle Themen greifen ineinander. Deshalb haben wir uns als Diakonie auch bei allen Schwerpunkten engagiert. Gleichzeitig sehen wir beim Thema "Kinderarmut" eine besondere Herausforderung. Jedes fünfte Kind im Saarland wächst in einem einkommensarmen Haushalt auf. In der Hauptstadt Saarbrücken ist es sogar jedes dritte Kind. In Stadtteilen, in denen sich günstiger Wohnraum ballt, leben sehr viele finanziell arme Familien auf engstem Raum. Soziale Problemlagen ballen sich, es entstehen neue Probleme, die sich massiv auf die Kinder und deren Entwicklungsmöglichkeiten auswirken. Es fehlt eine gute soziale Durchmischung.
Langfristig müssen wir gemeinsam mit Stadtplanern und Bauherren, aber auch mit Politik und dem Bauministerium daran arbeiten, dass in den Stadtteilen und Quartieren attraktiver Wohnraum für unterschiedlich finanzstarke Bürgerinnen und Bürger entsteht. Dafür braucht es nicht nur Geld, sondern vor allem ein Umdenken. Insgesamt wichtig ist mir, dass wir die von Armut betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen lassen und stärker in unsere Planungen und Konzepte einbinden.
Die dörfliche Idylle trügt. Der Abbau der Stahlindustrie hat viele Menschen im Saarland arm gemacht.
Die Pandemie zeigt uns wie unter einem Brennglas, welche sozialen Probleme es schon lange gibt. Manche sehen dadurch eine Chance auf Veränderung, andere befürchten, dass die ökonomische Krise, die jetzt folgt, unseren Sozialstaat massiv einschränken wird. Was denken Sie?
Natürlich befürchten wir auch im Saarland einen deutlichen ökonomischen Abwärtstrend. Hier leben viele Menschen von der Auto- und Stahlindustrie. Das Saarland ist zwar stark in der Forschung und Entwicklung von Projekten, die mit "Künstlicher Intelligenz" zu tun haben. Aber das kompensiert nicht den Verlust vieler Arbeitsplätze.
Gleichzeitig bin ich optimistisch. Ich denke, dass diese Corona-Krise den Wunsch nach Solidarität und einem starken Sozialstaat in unserer Gesellschaft verstärkt hat. Mich hat es positiv überrascht, wie konstruktiv in der Pandemie nach Lösungen für Menschen am Rand dieser Gesellschaft gesucht wird. Der saarländische Aktionsplan zur Armutsbekämpfung ist ein guter Auftakt, diesen Weg entschlossen weiter zu gehen.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: Sabine Damaschke
Zweiter Aktionsplan Armutsbekämpfung im Saarland:
Diakonie RWL-Reportage zur Kinderbildungsarbeit in Saarbrücken
Diakonie RWL- Interview zur Armut im Saarland:
Soziale Hilfen
Anne Fennel ist seit 2018 sozialwissenschaftliche Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes an der Saar. Vorher hat die 52-jährige Sozialpädagogin sieben Jahre das Diakonische Werk Worms-Alzey der Diakonie Hessen geleitet. Viele Jahre war sie in der Jugendhilfe tätig und verantwortete stationäre, teilstationäre und ambulante Maßnahmen. Die Diakonie Saar vertritt etwa 100 soziale Einrichtungen mit rund 1.400 Mitarbeitenden im ganzen Saarland.