17. Januar 2023

Armut

Kinder leiden mit

Hohe Energiekosten und steigende Verbraucherpreise: Viele Familien stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand, sagt Heike Moerland, Armuts-Expertin  vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). Meist haben sie keine Reserven, auf die sie in Krisenzeiten zurückgreifen können. Deshalb müssen sie bei den täglichen Ausgaben genau hinsehen und mit noch mehr Einschränkungen klar kommen. Ein Gespräch über Familien an der Armutsgrenze.  

  • Ein blasser Junge liegt traurig auf dem Sofa.
  • Ein Mädchen schaut in den nahezu leeren Kühlschrank.
  • Ein kleiner Junge mit Rucksack schaut von außen durch eine geschlossene Glastür.
  • Heike Moerland, Armuts-Expertin der Diakonie RWL.
  • Vater und Tochter wärmen sich unter einer Wolldecke.

In den vergangenen Monaten sind nicht nur die Energiepreise gestiegen. Wie verändert die derzeitige Situation das Leben von Familien an der Armutsgrenze?

Heike Moerland Viele Familien stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Briefe der Stadtwerke oder Energieversorger liegen bei ihnen auf dem Tisch.  Zahlreiche Anbieter haben ihre Abschlagszahlungen erhöht. Andere haben die Verträge gekündigt; die neuen Verträge bedeuteten dann deutlich höhere Preise. Für Familien, die Sozialleistungen bekommen, werden Heizkosten in der Regel übernommen. Strom hingegen ist zwar im Regelsatz enthalten, wird aber nicht laufend an die steigenden Stromkosten angepasst. Gleichzeitig steigen die Preise für Lebensmittel – während das Geld der Familien aber nicht mehr wird.

Eine verzweifelte Mutter hält ihre Hände vors Gesicht, während die Tochter traurig nach einer Scheibe Toastbrot greift.

In vielen Familien reicht das Geld nicht einmal für Lebensmittel.

Welche Möglichkeiten bleiben Familien in dieser Situation?

Familien, die mit Sozialleistungen auskommen müssen, haben keine Reserven, auf die sie zurückgreifen können. Sie müssen deshalb noch genauer hinsehen und noch mehr Einschränkungen hinnehmen. Da geht es nicht um große Sprünge, den Jahresurlaub oder große Anschaffungen. Es geht um das Nötigste: um den Wocheneinkauf, also um Lebensmittel. Und selbst dafür reicht das Geld nicht mehr aus.

Ein Junge hat Turnschuhe mit Löchern an.

Armut in Familien bedeutet auch, dass einfach kein Geld für neue Kinderschuhe vorhanden ist.

Und was bedeutet das für die Kinder?

Ganz praktisch bedeutet Armut in Familien, dass kein Geld für neue Schuhe da ist oder dass die Kosten zum Schuljahresbeginn für betroffene Familien nicht zu stemmen sind.
Im Zweifelsfall ist Armut erst mal nicht sichtbar, weil viele Familien sehr kreativ werden, um nicht zu zeigen, wie es ihnen geht. Armut in den Familien führt aber dennoch zu sozialer Ausgrenzung: Die Kinder entwickeln Vermeidungsstrategien. Sie nehmen die Einladung zum Geburtstag ihrer Freunde im Kindergarten oder in der Schule nicht mehr an, weil sie sich kein Geschenk leisten oder nie selbst zum Geburtstag einladen können. Oder sie laden ihre Freunde nicht mehr zu sich nach Hause ein.

Spielt Geld denn auch für die Jüngsten schon eine Rolle?

Kinder nehmen Armut früh wahr. Sie haben vor allem ein Gespür dafür, dass sich ihre Eltern Sorgen machen. Sie nehmen wahr, dass die Eltern jeden Cent umdrehen. Im Kindergarten spielt es vielleicht noch nicht so eine große Rolle, welche Kleidung sie tragen. Aber spätestens in der Schule bekommen solche Themen dann Gewicht.

Ein kleiner Junge nimmt sich ein Buch aus dem Bücherregal.

Bildung für alle: Von der Stadtbücherei bis zum Schwimmbad muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die Kinder aus bedürftigen Familien nicht ausgrenzt, fordert Expertin Heike Moerland. 

Welche Unterstützung brauchen Familien in dieser Situation?

In dieser Situation hilft einfach erstmal Geld. Wir fordern eine einheitliche finanzielle Grundförderung, die das Existenzminimum aller Kinder abdeckt. Die Diakonie hat gemeinsam mit dem Bündnis Kindergrundsicherung ermittelt, dass einkommensabhängig bis zu 746 Euro pro Kind nötig wären. Und es braucht eine durchlässige Infrastruktur. Wenn alle gleich viel bekommen, ist das lange nicht gerecht: Kindergärten in Stadtvierteln, in denen vor allem Menschen mit wenig Geld leben, brauchen eine größere finanzielle Ausstattung als andere Einrichtungen. Von der Stadtbücherei bis zum Schwimmbad: Es muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die Kinder aus bedürftigen Familien nicht ausgrenzt. Wir halten auch eine Soforthilfe für wichtig. Leider ist die Fortführung des Neun-Euro-Tickets, um die Mobilität sicherzustellen, erstmal gescheitert. Mit diesem Ticket hätten Kinder auch die Möglichkeit gehabt, am Wochenende mit ihren Familien mal etwas anderes zu erleben als im Alltag.

Können auch Erzieherinnen und Erzieher helfen?

Sensibilität tut gut. Dann geht es darum, wie Eltern, denen das Geld fehlt, angesprochen und unterstützt werden können. Und Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer können mehr Aktivitäten planen, die kein Geld kosten, aber trotzdem Spaß machen.

Theresa Demski führte das Interview. Der Text ist im evangelischen Elternmagazin "Zehn14" erschienen. Fotos: Andreas Endermann/Diakonie RWL, Pixabay, Shutterstock

Heike Moerland leitet das Geschäftsfeld „Berufliche und soziale Integration“ beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.

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Heike Moerland
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