Ambulante Suchthilfe Bonn
Net-Pilot Krystian
"Ich war selbst mal ein bisschen süchtig", bekennt Krystian. Sieben bis acht Stunden täglich hat er vor dem Computer gesessen. Doch das ist Vergangenheit. Heute ist der 15-jährige Schüler aktiver Handballer und trifft sich nachmittags auch wieder mit Freunden. Zu verdanken hat er das seiner Mutter, die ihm kurzerhand Computer und Handy abnahm.
"Damals war ich natürlich sauer", gibt Krystian zu. "Aber ich habe eingesehen, dass es gut war." Nun will er seine Erfahrungen weitergeben. Zusammen mit elf anderen Jugendlichen sitzt der hochgewachsene blonde Junge in einem Klassenraum der Johannes-Rau-Schule in Bonn, um sich zum "Net-Piloten" ausbilden zu lassen.
Bei dem Projekt von "update", der Fachstelle für Suchtprävention der Ambulanten Suchthilfe Bonn, lernen die zwei Mädchen und neun Jungen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, bei ihren Mitschülern Bewusstsein für die Gefahren von übermäßigem Internet-Konsum zu wecken. Die Ambulante Suchthilfe ist mit diesem bundesweit einzigartigen Modellprojekt Vorreiter in der Suchtprävention, wie schon mehrfach in der Zeit ihres rund zehnjährigen Bestehens. Am 24. Mai feiern das Diakonische Werk und die Caritas in Bonn ihre erfolgreiche Zusammenarbeit.
Die Ambulante Suchthilfe besteht aus fünf spezifischen Einrichtungen, die von der Suchtprävention für Kinder bis hin zur Behandlung von suchtmittelabhängigen Erwachsenen reichen. Als sich Diakonie und Caritas in Bonn 2005 entschlossen, bei der Suchtberatung zusammen zu arbeiten, gab es noch keine spezifische Sucht-Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche. "Zu dieser Zeit saßen Jugendliche noch zwischen den Erwachsenen in der Suchtberatung", sagt "update"-Leiterin Marion Ammelung. Die Suchthilfe machte es sich zur Aufgabe, junge Leute besser zu erreichen. Daher bietet die Fachstellte heute nicht nur Einzelberatungen für Jugendliche und Eltern an, sondern stellt auch spezielle Gruppenangebote für Jugendliche zur Verfügung. Ein Beispiel sind die "Net-Piloten", die bereits an sieben Bonner Schulen zum Einsatz kommen.
Reduan und Anselmo haben viel Spaß beim Rollenspiel
Ohne erhobenen Zeigefinger
In der Suchtprävention für Jugendliche sei es besonders wichtig, Problembewusstsein zu wecken ohne mit erhobenem Zeigefinger durch die Klassen zu gehen und als "Spaßbremse" aufzutreten, betont Projektleiter Andreas Pauly. Die zentrale Botschaft laute, so der Medienpädagoge: "Es ist okay, am Computer zu spielen oder soziale Kontakte über das Smartphone zu pflegen – solange es noch andere Freizeitbeschäftigungen gibt wie Sport oder Unternehmungen mit Freunden und der Familie." Das verstünden die Jugendlichen, beobachtet Pauly. Eine weitere Aufgabe der Net-Piloten wird es sein, an Gesprächen von Lehrern mit besorgten Eltern und ihrem Kind teilzunehmen.
In Rollenspielen üben die Schüler eine solche Situation: Reduan spielt den besorgten Vater. "Mein Sohn sitzt nur noch vor dem Computer." Der "Lehrer" Erik muss dem Vater leider bestätigen, dass sein Sohn im Unterricht unkonzentriert ist. Anselmo überlegt. Als Net-Pilot könnte er nun zum Beispiel auf das Angebot von "update" hinweisen. Denn die Präventions-Fachstelle der Ambulanten Suchthilfe hat verschiedene Beratungsangebote für Jugendliche und Eltern – von der Sprechstunde über eine Gruppe für Jugendliche, die exzessiv am Computer spielen, bis zur anonymen Online-Beratung.
"update"-Leiterin Marion Ammelung
Vorreiter im Bereich Prävention
Das Konzept der "Net-Piloten" testen neben der Fachstelle "update" der Ambulanten Suchthilfe in Bonn auch Beratungsstellen in Berlin und Rosenheim. Bei "update" laufen aber seit gut eineinhalb Jahren die Fäden des Modellprojekts zusammen, das von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert wird und nach vier Jahren Laufzeit wissenschaftlich ausgewertet werden soll.
"Das Besondere an uns ist, dass wir eine Schnittstelle zwischen Sucht- und Jugendhilfe sind“, betont Marion Ammelung. Denn die Ambulante Suchthilfe entsendet in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt Berater in Familien mit suchtkranken Eltern. Zudem gibt es spezifische Gruppen für Kinder aus suchtbelasteten Familien.
Wenn Jugendliche mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden, kommen Mitarbeitende, um noch am Krankenbett zu beraten. Und nicht zuletzt startete die Suchthilfe schon vor zehn Jahren ein damals innovatives mobiles Angebot. Der Bonner "event sprinter" ist bei Großveranstaltungen wie Karneval oder Open-Air-Konzerten vor Ort und erreichte allein im vergangenen Jahr 26.000 Menschen.
"update"-Team der Ambulanten Suchthilfe Bonn
Beispiel gelebter Ökumene
Seit Diakonie und Caritas beschlossen, ihre Suchtberatungsstellen zusammenzulegen, ist die Zahl der Mitarbeiter auf 65 angewachsen. Die Suchthilfe ist neben den Beratungsangeboten heute auch noch Träger einer Tagesklinik sowie einer Substitutions- und einer Diamorphinambulanz.
Dieses Wachstum hätte keiner der beiden Träger alleine stemmen können, sagt Achim Schaefer, gemeinsamer Bereichsleiter Integration und Rehabilitation des Diakonischen Werks und Caritasverbandes in Bonn. Auch in dieser Hinsicht hat die Ambulante Suchthilfe aus seiner Sicht Modellcharakter, nämlich als Beispiel gelebter Ökumene. Das Erfolgsrezept: "Jeder war bereit, aus seiner eigenen Kultur eine gemeinsame Kultur zu schaffen."
Text und Fotos: Claudia Rometsch