25. Mai 2020

Aktionswoche Schuldnerberatung 2020

Kinder in der Schuldenfalle

Wer in der Corona-Krise seinen Job verliert oder in Kurzarbeit geht, kann schnell in die Schuldenfalle geraten. Das gilt vor allem für Familien. Die bundesweite Aktionswoche Schuldnerberatung, die heute beginnt, richtet daher den Blick auf die Kinder. Sie leiden besonders unter dem Sparzwang und Druck der Gläubiger. Diakonie RWL-Expertin Petra Köpping erklärt, was es braucht, damit sie trotz Überschuldung gesund aufwachsen können.

  • Verzweifeltes Kind
  • Plakat der Aktionswoche Schuldnerberatung

Beim Thema Überschuldung sind Kinder eher selten im Fokus. Warum ist es Ihnen wichtig, sie jetzt in den Mittelpunkt der Aktionswoche Schuldnerberatung zu stellen?

In unsere Schuldnerberatungsstellen kommen viele alleinerziehende und einkommensschwache Familien. Es geht unseren Beraterinnen und Beratern nicht nur darum, ihnen bei Verbraucherinsolvenzanträgen zu helfen. Sie nehmen die gesamte Lebenssituation der Familien in den Blick – und dazu gehören auch die Kinder. Sie fragen danach, ob sie Taschengeld bekommen, an Schulausflügen teilnehmen können, die Unterrichtsmaterialien, die sie benötigen, haben oder sich Nachhilfe leisten können. Über das Bildungs- und Teilhabepaket gibt es Möglichkeiten, Gelder dafür zu beantragen. Dabei helfen unsere Mitarbeitenden. Viele Familien tun sich allerdings schwer damit, die Anträge zu stellen, weil sie sich für ihre Situation schämen und nicht wollen, dass ihre Überschuldung in der Schule bekannt wird.

Petra Köpping ist bei der Diakonie RWL für die Schuldnerberatung zuständig.

Petra Köpping ist bei der Diakonie RWL für die Schuldnerberatung zuständig. (Foto: privat)

Fällt denn dort nicht ohnehin auf, dass die Kinder aus einem armen Haushalt kommen?

Nicht unbedingt. In vielen überschuldeten Familien sparen die Eltern zunächst bei sich selbst, aber nicht bei ihren Kindern. Doch der ständige Sparzwang und die Angst vor den Forderungen der Gläubiger lasten schwer auf der gesamten Familie. Die Eltern sind oft angespannt und gereizt. Unter diesen Bedingungen erfolgreich für die Schule zu lernen, unbeschwert zu spielen und sich gut zu entwickeln, ist schwierig. Wenn sie älter sind, geraten sie oft selbst in die Überschuldung, weil sie den richtigen Umgang mit Geld nicht gelernt haben. Und sobald sie volljährig werden, macht man sie für die Überschuldung der Familie mitverantwortlich. Das ärgert uns besonders.

Das heißt, Kinder haften für ihre Eltern?

Ja, das ist bei Familien so, die im Hartz-IV-Bezug sind. Es gehört zur gängigen Praxis der Jobcenter, Rückforderungsbescheide gegen jedes Mitglied der sogenannten "Bedarfsgemeinschaft" zu erlassen. Wenn die Kinder volljährig werden, muss das Jobcenter die Mittellosigkeit des jungen Erwachsenen nicht von Amts wegen berücksichtigen, sondern nur wenn er oder sie sich darauf beruft. Das wissen viele Betroffene nicht. Sie werden aufgefordert, Vermögen offenzulegen – zum Beispiel das Sparbuch, das die Großeltern für ihre Ausbildung angelegt haben. Darauf kann dann zugegriffen werden, um die Schulden der Familie zu begleichen. Wir fordern, diese Überprüfung zu unterlassen. Schuldenfrei in die Volljährigkeit zu starten, ist schließlich ein Grundrecht. So hat das Bundesverfassungsgericht vor über 30 Jahren entschieden.

Sparen statt Schulden machen - Das sollten Kinder und Jugendliche schon in der Schule lernen.

Sparen statt Schulden machen - Das sollten Kinder und Jugendliche schon in der Schule lernen.

Es gibt aber auch viele Jugendliche, die selbst Schulden machen. Wie können die Schuldnerberatungsstellen hier helfen?

Es ist ein Problem, dass wir diese Jugendlichen oft nicht erreichen. Von der kostenlosen, sozialen Schuldnerberatung profitieren ja nur rund 15 Prozent aller überschuldeten Bürger. Das sind Erwerbslose, Hartz-IV-Bezieher oder Menschen, bei denen eine besondere Hilfsbedürftigkeit, etwa durch eine Behinderung, festgestellt wurde. Sie kommen meist dann, wenn sie schon in der Schuldenfalle sitzen. Wir brauchen ein Recht auf soziale Schuldnerberatung, denn dann könnte auch stärker präventiv beraten werden, damit es gar nicht erst zu einer Überschuldung kommt. Dazu gehört für mich auch, dass Kinder und Jugendliche in den Schulen in finanzieller Bildung unterrichtet werden. Hier gibt es zwar vereinzelt gute Projekte, aber die werden selten vom Land gefördert und sind keineswegs flächendeckend vorhanden.

Wenn ein "gutes Aufwachsen trotz Überschuldung" möglich sein soll, wie es die diesjährige Aktionswoche in ihrem Motto fordert, braucht es aber doch mehr als eine gute Prävention.

Das ist richtig. Unser Staat gibt eine Menge Geld für Familien aus. Aber viele Leistungen kommen gerade bei denjenigen, die sie dringend brauchen, nicht an. So wird Familien im Hartz-IV-Bezug das Kindergeld abgezogen. Da nützt es dann wenig, dass – wie jetzt in der Corona-Krise – ein zusätzlicher Kinderzuschlag bis 185 Euro beantragt werden kann.

Bei den Schuldnerberatungsstellen der Diakonie RWL melden sich viele Alleinerziehende.

Überschuldet und mit der Bürokratie überfordert: Bei den Schuldnerberatungsstellen der Diakonie melden sich viele Alleinerziehende, so wie Charlotte, die von der Kölner Beraterin Maike Cohrs betreut wird. (Foto: S. Damaschke)

Für alle besonderen Leistungen müssen Anträge gestellt werden, was rund 40 Prozent der einkommensschwachen Familien nicht tun. Erstens sind die Anträge oft kompliziert formuliert, und zweitens gibt es eine Menge Einschränkungen, wer überhaupt einen Anspruch auf was hat. Drittens sind die Gelder dann oft nicht ausreichend. Das erleben wir oft beim Bildungs- und Teilhabepaket.

Wir brauchen eine eigenständige Kindergrundsicherung, die abgekoppelt ist von allen anderen familien- und sozialpolitischen Leistungen, damit sie tatsächlich den Kindern zugutekommt.

Wie arbeiten die Schuldnerberatungsstellen in der Pandemie? Haben sie überhaupt geöffnet?

Bislang gab es fast überall eine Notbesetzung. Viele Beraterinnen und Berater haben mobil gearbeitet. Aber nach und nach öffnen die Stellen wieder. Dafür werden gerade Konzepte erarbeitet. Plexiglasscheiben, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel stehen bereit. Wir rechnen damit, dass mehr Menschen zu uns kommen werden, die sich während der Corona-Krise verschuldet haben. Schon jetzt gibt es Anfragen von Solo-Selbstständigen, die mit ihrem Kleinstjob Altschulden abgezahlt haben und in der Krise Geld vom Staat erhalten, das die Gläubiger aber direkt pfänden wollen. Unsere langjährige Forderung, die soziale Schuldnerberatung auszubauen, ist dringender denn je. 

Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Petra Köpping
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
Weitere Informationen

In Deutschland gibt es rund 1.450 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, knapp 290 davon in NRW. Unter dem Dach der Diakonie RWL arbeiten zwischen Bielefeld und Saarbrücken über 80 Schuldnerberatungsstellen, die im vergangenen Jahr über 48.000 Menschen beraten haben. Insgesamt sind in Deutschland laut Schuldneratlas fast sieben Millionen Menschen, also knapp 10 Prozent der Menschen, überschuldet. Mit einer Quote von 11,69 Prozent liegt NRW deutlich über dem Bundesdurchschnitt.