Aktionswoche Schuldnerberatung 2016
Schnelle und kostenfreie Beratung bei Schulden fordert Diakonie RWL-Referentin Petra Köpping.
Das Motto der bundesweiten Aktionswoche, die vom 6. bis 10. Juni stattfindet, besteht diesmal aus zwei Sätzen: "Schulden machen krank" und "Krankheit macht Schulden". Was verbirgt sich hinter diesen Sätzen?
In dieser Aktionswoche, an der sich die Diakonie bundesweit beteiligt, möchten wir einerseits darauf aufmerksam machen, dass überschuldete und einkommensarme Menschen im Vergleich zu anderen ein höheres Risiko haben, krank zu werden. Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen, dass Überschuldung oft Stress und psychischen Druck auslöst, der seelisch und körperlich krank macht. Andererseits führt eine Erkrankung auch häufig dazu, dass Schulden gemacht werden. Und zwar nicht nur, weil man weniger oder gar nicht mehr erwerbstätig sein kann und plötzlich nicht mehr sein Haus abbezahlen kann. Ein zunehmendes Problem sind Beitragsschulden in der Krankenversicherung.
Wie wirken sich diese besonderen Schulden aus?
Sie verschlimmern die Situation überschuldeter Menschen, die privat versichert oder freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Wenn sie ihre Beiträge gar nicht oder nicht vollständig zahlen, müssen sie in den sogenannten Notlagentarif wechseln und haben keinen Anspruch mehr auf das volle Leistungspaket der Kassen. Sie werden also nicht mehr angemessen medizinisch versorgt, und damit steigt das Risiko einer langfristigen und chronischen Erkrankung. Während es in der Gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist, die Beitragsschulden auf Null zu setzen und eine Ratenzahlung für einen neuen Tarif zu vereinbaren, kommt man in der Privaten Krankenversicherung ohne die Begleichung aller Schulden nicht aus dem Notlagentarif heraus. Das ist nur möglich, wenn jemand Sozialhilfe bezieht. Von den Beitragsschulden bei der Krankenversicherung sind aber zunehmend Rentner und Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen betroffen.
In einer Studie der Universität Mainz klagen mehr als 40 Prozent der befragten überschuldeten Menschen über massive Angstzustände und Depressionen. Was macht ihnen denn Angst?
Sie haben vor allem Angst, gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden, wenn Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen von ihrer Überschuldung erfahren. Eltern fürchten häufig, dass das Jugendamt ihnen die Kinder wegnimmt, weil sie überschuldet sind. Oft besteht auch die Sorge, der Gerichtsvollzieher könne lebensnotwendige Gegenstände oder Nahrungsmittel wegpfänden. Die falsche Vorstellung, dass überschuldete Menschen mit Kindes- oder Nahrungsentzug bestraft werden, hält sich hartnäckig. Es hat damit zu tun, dass Schulden in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema sind, mit dem sich viele Menschen nicht beschäftigen und über das sie wenig wissen.
Plakat der diesjährigen Aktionswoche (Copyright: Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung)
Wie können Schuldnerberatungsstellen dabei helfen, überschuldete Menschen besser vor Krankheit zu schützen?
Ganz entscheidend ist es, den Klienten ihre Ängste zu nehmen und ihnen wieder eine Perspektive für ihr Leben zu geben. Unsere Berater schauen gemeinsam mit den überschuldeten Menschen, wo sie staatliche finanzielle Unterstützung bekommen können, zum Beispiel Wohngeld. Dann werden Briefe an die Gläubiger verschickt und über die Höhe der Tilgung verhandelt. Ein Pfändungsschutzkonto kann eingerichtet werden, damit die Existenz gesichert ist. All das bedeutet eine enorme Entlastung für die betroffenen Menschen und hat eine gesundheitsfördernde Wirkung. Das hat eine Studie der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften im vergangenen Jahr deutlich belegt.
Für die Diakonie ist diese Studie ein weiteres Argument, den Zugang zu einer sozialen Schuldnerberatung auszubauen. Haben denn nicht alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf Beratung?
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts im Jahr 2011 hat sich die Situation verschärft. In vielen Kommunen können nur noch diejenigen eine Beratung in Anspruch nehmen, die arbeitslos gemeldet sind, Hartz IV oder aufstockende Sozialhilfe beziehen oder bei denen eine besondere Hilfebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch XII festgestellt wurde, etwa im Fall einer psychischen Erkrankung. Wir setzen uns für einen bundesweiten individuellen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung ein.
Was bedeutet das im Hinblick auf die Finanzierung der Beratungsstellen?
Der Bund muss hier mit ins Boot. Derzeit bezahlen die Länder die Insolvenzberatung, während die Städte und Gemeinden für die Schuldnerberatung aufkommen müssen. Aber der Anteil der Kommunen gilt als eine freiwillige Leistung. Gerade überschuldete Städte, die sich in der Haushaltssicherung befinden, haben die Finanzierung der Beratungsstellen massiv heruntergefahren. Das ist fatal, denn in Deutschland gibt es derzeit rund sieben Millionen überschuldete Menschen. Unsere 80 Schuldnerberatungsstellen mit ihren mehr als 200 Mitarbeitenden in NRW und im Südrhein haben im vergangenen Jahr über 50.000 Menschen beraten. Tendenz steigend. Die Beratungsstellen müssen also dringend ausgebaut werden.