17. Mai 2019

Aktionswoche Alkohol

Was tun, wenn der Kollege trinkt?

"Kein Alkohol am Arbeitsplatz" lautet das Motto der Aktionswoche Alkohol, die am 18. Mai startet. Experten schätzen, dass zehn Prozent aller Beschäftigten – von der Geschäftsführung bis zur Aushilfskraft – zu viel trinken. Sie fehlen bis zu 16-mal häufiger als die Gesamtbelegschaft. Das bedeutet wirtschaftliche Einbußen und Mehrarbeit für Kolleginnen und Kollegen. Ralph Seiler, Suchtexperte der Diakonie RWL, erläutert, was Betriebe tun können.

Ralph Seiler, Suchtexperte der Diakonie RWL

Ralph Seiler, Suchtexperte der Diakonie RWL, geht von einem steigenden Beratungsbedarf in den kommenden Monaten aus.

Natürlich sollte am Arbeitsplatz nicht exzessiv getrunken werden. Aber was ist schlimm daran, wenn man mal am Geburtstag ein Glas Sekt ausgibt? Fördert das nicht das Betriebsklima?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, den eigenen Alkoholkonsum zu reflektieren – zu Hause und auch am Arbeitsplatz. Und für mich gilt: Alkohol ist nur bedingt ein Genussmittel. Es ist ein Zellgift und verursacht gesundheitliche Probleme. Das sollte uns allen klar sein. Und klar sein muss auch, was es für Suchtkranke bedeutet, wenn es beim Geburtstag Sekt gibt und sie begründen müssen, warum sie nicht mittrinken. Wir könnten da sensibler sein. Für mich ist es eine große Chance, wenn ein Betrieb sich damit auseinandersetzt, welche Regelungen es beim Thema "Alkohol" geben soll. Eine Möglichkeit ist, dies in einer Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitervertretung festzuhalten und gemeinsam darüber zu diskutieren. Dabei kann in einer solchen Vereinbarung auch gemeinsam festgelegt werden, ob und in welcher Form es auch  Ausnahmen geben kann – zum Beispiel beim Betriebsfest.

Der Flachmann im Büro, das Bier auf dem Bau – Über das Thema Alkohol am Arbeitsplatz hört man in der Öffentlichkeit nicht mehr viel. Sind die Deutschen gesundheitsbewusster geworden?

Es gehört inzwischen immer mehr zum Allgemeinwissen, dass Alkohol schädlich für die Gesundheit ist. Trotzdem gehen Suchtexperten davon aus, dass rund zehn Prozent aller Beschäftigten aus gesundheitlicher Sicht zu viel trinken. Fünf Prozent von diesen Personen trinken demnach riskant und weitere fünf Prozent sind suchtgefährdet oder bereits abhängig. Das geht durch alle Branchen. Vielleicht ist es ruhiger um das Thema geworden, weil immer mehr Arbeitgeber – wie auch viele diakonische Träger und Einrichtungen – in Betriebsvereinbarungen Regelungen dazu erarbeitet haben. 

Sektgläser: Alkohol wird oft als harmlos wahrgenommen.

Ex-Banker Joachim rutschte in die Alkoholsucht, um den permanenten Erfolgsdruck im Job zu kompensieren.

Welche Folgen hat es, wenn Mitarbeitende zu viel trinken?

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Suchtproblematik fehlen bis zu 16-mal häufiger als die Gesamtbelegschaft. Das bedeutet wirtschaftliche Einbußen für den Betrieb und deutliche Mehrarbeit für Kolleginnen und Kollegen. Doch auch gesamtgesellschaftlich kostet Alkohol am Arbeitsplatz enorm viel Geld: Durch Arbeitsausfälle, Frühberentung oder Rehabilitation entstehen der Volkswirtschaft geschätzte Kosten von 30,15 Milliarden Euro. Und auch im Zusammenhang mit Berufsausbildungen gelten Alkoholprobleme als die häufigste Ursache bei Fehlzeiten, Leistungseinbußen und Arbeitsunfällen im Betrieb.

Wenn ich bemerke, dass ein Kollege oder eine Kollegin ein Alkoholproblem hat, was sollte ich tun? Schweigen oder meinen Verdacht beim Arbeitgeber ansprechen?

Wir gehen davon aus, dass jeder Fünfte direkt oder indirekt etwas mit Sucht zu tun hat, denn die Betroffenen sind nicht nur die Suchtkranken selber, sondern auch Angehörige oder eben Kollegen. Es ist immer hilfreich, wenn es zum Thema "Alkoholsucht" transparente Vereinbarungen im Betrieb gibt und klar ist, an wen man sich bei einem Verdacht wenden kann. Und es ist besser, wenn dies ein geschulter Ansprechpartner ist, der nicht gleichzeitig der Vorgesetzte ist. Natürlich gibt es unter Kollegen auch Konkurrenz und man muss aufpassen, dass niemand fälschlicherweise angeschwärzt wird.

Aber letztlich geht es darum, die Beobachtungen und auch Vermutungen offen anzusprechen. Ein entsprechend offenes und vertrauensvolles Betriebsklima, in dem Probleme nicht gedeckt oder verschwiegen werden, ist für alle Beteiligten natürlich förderlich. Es gibt Anzeichen für vermehrten Alkoholkonsum wie Fehlzeiten, Unkonzentriertheit, Veränderung in der Arbeitsleistung. Aber auch eine Fahne auf der Arbeit oder das heimliche Bunkern von Alkoholvorrat. Auch wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege plötzlich verändert oder zurückzieht, kann dies ein Anzeichen sein.

Die Diakonie bietet Beratung für suchtgefährdete Mitarbeiter an. (Foto: Freie Wohlfahrtspflege NRW)

Wie hilft Diakonie Suchtkranken oder suchtgefährdeten Mitarbeitern?

Unsere diakonischen Suchtberatungsstellen vor Ort sind grundsätzlich für alle Betroffenen Ansprechpartner. Auch die über 500 Suchtselbsthilfegruppen der Blaukreuz-Verbände und der Freundeskreise Suchthilfe stehen als erste Ansprechpartner direkt zur Verfügung. Viele unserer Sucht- und Drogenberatungsstellen  haben darüber hinaus Verträge mit Betrieben und bieten – im Rahmen einer Betriebsvereinbarung – Suchtberatung für deren Mitarbeitende an. Der Arbeitgeber hat hier eine Fürsorgepflicht.

Oft gelingt Hilfe für suchtgefährdete Mitarbeiter auch im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsförderung. Dabei geht es schließlich nicht nur um Fitnesskurse oder Rückenschule. Wenn wir Gesundheit am Arbeitsplatz fördern möchten, gehört das Thema "Sucht" dazu. Alkoholkonsum kann immer dann zum Problem werden, wenn er gezielt zur Stimmungsveränderung eingesetzt wird. Jeder sollte darüber nachdenken und sich fragen: Wann und wieviel und in welchen Situationen trinke ich?

Müsste Politik konsequenter gegen Alkohol vorgehen?

Es gibt kein Land, in dem man so billig und unkontrolliert rund um die Uhr Alkohol kaufen kann. Tankstellen verkaufen ja mehr Alkohol als Benzin. Die Politik nutzt die wissenschaftlich belegten und in vielen anderen Ländern auch umgesetzten Möglichkeiten der Reduzierung des Alkoholkonsums nicht.

Das Gespräch führte Sabine Portmann.

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