Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit
Endlich ist sie fertig: Die erste Umfrage zur Diskriminierung Wohnungsloser auf dem Wohnungsmarkt. Endlich ist wissenschaftlich bestätigt, was Arnd Liesendahl und Michael Müller, die Initiatoren der Studie, selbst erfahren mussten. "Für diejenigen, die am dringendsten eine Wohnung suchen, versagt der Wohnungsmarkt", fassen die Männer ihre Umfrage zusammen, die sie mit Unterstützung der Hochschule Düsseldorf, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sowie des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) auf den Weg brachten.
Herr Liesendahl, jetzt liegen die Ergebnisse Ihrer Studie vor. Was bedeutet diese Veröffentlichung für Sie persönlich?
Arnd Liesendahl: Ich war selbst als Wohnungsloser auf Wohnungssuche. Und ich kenne die Wut und die Enttäuschung, wenn einem Vermieter oder Makler zu verstehen geben, dass sie nicht an wohnungslose Menschen vermieten wollen. Ich kenne dieses Gefühl, das dann zurückbleibt. Und ich fand: Es muss etwas passieren. Es war an der Zeit, über die Erfahrungen zu berichten, die wohnungslose Menschen bei der Wohnungssuche machen, weil wir es leid sind, dass über dieses Thema nicht gesprochen wird. Jetzt wird darüber gesprochen.
Wohnen nun zusammen: Arnd Liesendahl und Michael Müller gründeten eine Wohngemeinschaft.
Sie haben selbst Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit gemacht. Wie erinnern Sie sich heute an diese Zeit?
Arnd Liesendahl: Ich habe fünf Jahre in Köln auf der Straße gelebt – und danach noch drei Jahre in der stationären Einrichtung der Wohnhilfen Oberberg in Gummersbach. Die Gründe dafür liegen in einer schweren Depression. Ich habe in dieser Zeit auf der Straße aber nie meine Routine verloren, ich habe weiter funktioniert. Das war vor allem für ein ganz entscheidendes Thema wichtig: die Sauberkeit. Ich habe keine Drogen genommen und bin auch nicht alkoholabhängig geworden. Als ich dann aber den Weg in die Therapie gefunden habe, hat der Arzt gesagt: Noch zwei Jahre und sie hätten das nicht überlebt. Für mich ging es also wirklich ums Überleben. Als ich dann nach einem langen Weg so weit war, mich auf Wohnungssuche zu begeben, begegnete mir blanke Diskriminierung. Das hat mich sehr geärgert. Und die ständige Ablehnung verändert einen. Sie macht krank, knackst die Psyche an.
Im vergangenen Jahr haben Michael Müller und ich zusammen eine Wohngemeinschaft gegründet. Zuvor hatten wir im Umkreis von etwa 80 Kilometern nach einer Wohnung gesucht. Wir haben mehr als 30 Wohnungen besichtigt, manchmal zwei am Tag. Das war eine Odyssee. Wir haben alles erlebt: verbale, ganz klar formulierte Ablehnung genauso wie Ausreden.
Wie ist es dann zu der Studie gekommen?
Arnd Liesendahl: Im vergangenen Jahr haben sich plötzlich viele verschiedene Türen geöffnet – erst die Umfrage und dann unsere Wohnung. Michael Müller und ich haben uns über die Wohnhilfe kennengelernt. Ich hatte dann die Idee, einen Fragebogen zu entwerfen, um andere wohnungslose Menschen nach ihren Erfahrungen zu fragen. Gemeinsam haben wir die Umfrage entworfen. Damals habe ich mich schon ehrenamtlich bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe im Sprecherrat der Facharbeitsgruppe Partizipation engagiert, wir hatten auch in unserer Stadt schon Erfolge für Wohnungslose erzielt. Als ich dann mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Hochschule Düsseldorf in einem Gespräch zusammensaß, in dem es um ein Digitalisierungsprojekt ging, brachte er die Zusammenarbeit mit einer Hochschule ins Gespräch. Diese Umfrage ist nun in Zusammenarbeit mit der Hochschule Düsseldorf mit Professor Christoph Gille und Professorin Anne van Rießen entstanden. Es ist die erste Umfrage, die sich mit dem Thema der Diskriminierung am Wohnungsmarkt beschäftigt. Solch eine Umfrage ist in dieser Form in Deutschland noch nicht durchgeführt worden.
Auf die Plakataktion - analog zu diesem Motiv - meldeten sich viele Menschen, um an der Umfrage teilzunehmen.
Wie sind Sie bei der Umfrage vorgegangen?
Arnd Liesendahl: Aus unseren neun Fragen wurden 26 Fragen, die sich an Menschen richten, die Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit und Diskriminierung am Wohnungsmarkt gemacht haben. Auch Menschen mit Behinderung haben wir in diesem Zusammenhang befragt. Es geht im Fragebogen auch darum, welche Barrieren bei der Wohnungssuche aufgetaucht sind – von einer fehlenden Postadresse bis hin zu Kautionszahlungen, von der Schufa-Auskunft bis hin zur Angabe über Krankheiten. Wir haben auch nach Nachweisen gefragt, die es erschweren, eine Wohnung zu finden. Die Menschen, die wir gefragt haben, haben auch ganz konkret von Situationen berichtet, in denen sie während der Wohnungssuche diskriminiert wurden: Manchmal sagen einem die Makler oder Vermieter ins Gesicht, dass sie nicht an Wohnungslose vermieten. Manchmal erfinden sie bereits am Telefon Ausreden.
Und wir wollten erfahren, ob sich Menschen, die bei der Wohnungssuche diskriminiert worden sind, dann an vorhandene Beschwerdestellen gewendet haben. Insgesamt haben wir rund 500 Personen erreicht und konnten davon 291 Befragungen verwerten. 200 Teilnehmer waren wichtig, um aussagekräftig sein zu können. Wir haben dafür unser eigenes Netzwerk genutzt. Die Hochschule in Düsseldorf war der wichtigste Kontakt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe hat 1.200 Einrichtungen angeschrieben. Eine riesige Resonanz hatten wir auf eine Plakataktion, mit der wir aufgerufen haben, mitzumachen. Daraufhin gab es viele Befragungen, die face-to-face stattgefunden haben. Die wissenschaftliche Auswertung erfolgte dann durch die Hochschule Düsseldorf.
Welche Erkenntnisse haben Sie durch die Studie gewonnen?
Arnd Liesendahl: Die wesentliche Erkenntnis ist für mich keine Überraschung, auch wenn ich die Höhe des Prozentsatzes dann doch nicht erwartet hatte: Mehr als 70 Prozent der Befragten haben angegeben, schon einmal bei der Wohnungssuche diskriminiert worden zu sein. Davon 75 Prozent aufgrund von Wohnungslosigkeit. Wir sind bei den Berichten der Befragten offener Diskriminierung begegnen, die wir in der Studie so auch wortgetreu wiedergeben.
Was kann diese Studie nun verändern?
Arnd Liesendahl: Ich hoffe, Makler, private Vermieter und Immobiliengesellschaften können aufgeweckt werden. Wir haben oft erlebt, dass gesagt wird: "Nein, bei uns gibt es keine Diskriminierung. Alle werden gleichbehandelt." Es gibt sie aber doch. Und das muss sich ändern. Und wir wünschen uns auch, dass wohnungslose und wohnungssuchende Menschen erfahren, dass sie Diskriminierung nicht einfach hinnehmen müssen. Es gibt Beschwerdestellen. Deswegen ist es uns so wichtig, dass alle Menschen Zugang zu dieser Studie haben.
"Menschen sollten für Menschen da sein", fordert Arnd Liesendahl.
Und sind mit der Studie auch politische Forderungen verbunden?
Arnd Liesendahl: Eindeutig ja. Dabei geht es uns einerseits um die generelle Wohnungssituation: Wo es zu wenig Wohnraum auf dem Markt gibt, werden wohnungslose Menschen immer im Nachteil sein. Weitere Diskriminierungsmerkmale, die wir festgestellt haben, sind zu wenig Geld der Wohnungssuchenden sowie Rassismus. Ganz oben auf der Liste der Benachteiligten am Wohnungsmarkt stehen Menschen mit Behinderungen.
Im Moment sind diese Menschen nicht nur die letzten in der Schlange, sondern die Wohnungstüren gehen auch dann nicht auf, wenn niemand anderes in der Schlange steht. Wir brauchen deswegen andererseits Extra-Zugänge für bestimmte Gruppen von Wohnungssuchenden: Quoten- oder Ausnahmeregelungen, Übernahmegarantien durch Jobcenter und Sozialämter. Außerdem benötigen wir flächendeckend geschulte Sozialmakler und Immobilienfachkräfte, die die Situation dieser Personen kennen und Zugänge zu Wohnungen vermitteln können.
Und das Bild Wohnungsloser und Obdachloser in der Öffentlichkeit muss sich enorm verändern. Zum Positiven. Seit Jahren gibt es keine Besserung der prekären Situation, im Gegenteil: Hilfesuchende werden immer stärker in ein schlechtes Bild gerückt.
Mein Fazit ist: Menschen sollten für Menschen da sein. Und es wird Zeit, dass die Gesellschaft erkennt: Jeder wohnungslose und obdachlose Mensch hat seine eigene Geschichte. Wir fordern ein Ende stupider Vorverurteilungen.
Die Fragen stellte Theresa Demski. Fotos: Theresa Demski/Shutterstock
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Soziale Hilfen
Die Studie wurde innerhalb eines Jahres umgesetzt. Sie ist weitestgehend aus Eigenmitteln des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf finanziert. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe haben die Studie finanziell unterstützt . Die Ergebnisse stehen unter diskriminierungneindanke.de zur Verfügung.