Aktionsjahr Kinderarmut
Mehr als 2,8 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut. Doch wir bemerken sie nicht, denn sie haben ein Dach über dem Kopf und laufen nicht in Lumpen herum. Wer aber genau hinschaut, kann sie sehen: Die Kinder, die im kalten Winter eine Sommerjacke tragen, die ihre erste Mahlzeit in der Schule oder bei der Tafel bekommen, die niemals mit ins Freibad oder Kino gehen. Die Diakonie Dinslaken will mit ihrer aktuellen Kampagne "Kein Kind in Armut" auf das prekäre Aufwachsen vieler Kinder aufmerksam machen.
"Wir möchten die Menschen wachrütteln. Das Thema in den Mittelpunkt rücken, damit sich unsere Gesellschaft ändert", sagt Alexandra Schwedtmann, Geschäftsführerin der Diakonie im Kirchenkreis Dinslaken. "Dann wird es leichter, Mehrheiten zu finden" – Mehrheiten für eine Kindergrundsicherung, die von Schwedtmann vor allem gefordert wird, weil sie aus ihrer Sicht eine gebündelte Unterstützung wäre, wo derzeit viele Einzelhilfen nur verstreut bis versteckt und mit teils großem bürokratischen Aufwand zu erhalten seien.
Kinderzeichnungen illustrieren die Kinderzitate
Mit Plakaten an insgesamt 17 Litfaßsäulen, an Kindergärten und an Kirchengemeinden schafft die Diakonie Dinslaken Aufmerksamkeit. Alle Zitate auf den Plakaten sind mit einer Kinderzeichnung illustriert. Julia Benning und Guido Meyer vom Netzwerk Ziele und Zeichen, die auch schon die Kampagne "Menschenskirche" konzipiert hatten, war es wichtig, sich "nicht vorwurfsvoll und mit dem moralischen Zeigefinger" an die Öffentlichkeit zu wenden. "Wir gehen von den Kindern aus", sagt Guido Meyer, "und gucken uns an, wie es ihnen geht."
Jedes Kind hat das Recht auf ein Aufwachsen in sozialer Sicherheit. Dennoch leben 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut.
Bei Plakaten allein wird es aber nicht bleiben. Es folgt ein Fachtag für alle Diakonie-Mitarbeitenden, bei dem der Kölner Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge, der 2017 für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte, einen Vortrag halten wird. Der Tag soll, so Alexandra Schwedtmann, dazu dienen, "uns zunächst intern auf eine Haltung zu verständigen". Später ist ein Symposium für Multiplikatoren wie für interessierte Laien vorgesehen, das von Studierenden der Sozialen Arbeit an der niederländischen Saxion Hogeschool vorbereitet wird. Und im Herbst startet in Kooperation mit der Evangelischen Akademie im Rheinland eine Vortrags- und Diskussionsreihe, zu der unter anderem auch der frühere rheinische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, erwartet wird.
Fair produzierter Hoodie und Aktionsplan an der Kita
Aber auch Kinder und Jugendliche selbst sind eingebunden. So gestalten Kunstschüler des Mercator-Gymnasiums in Duisburg mit Unterstützung des Teams der Düsseldorfer Textilfirma Boldbrands einen fair produzierten Hoodie als öffentliches Statement gegen Kinderarmut. Der Erlös fließt an finanzschwache Kinder.
Für Familien mit Kindern gibt es mehr als 150 einzelne Leistungen im Sozial- und Steuerrecht. Die Diakonie Dinslaken setzt sich stattdessen ab der Geburt eines Kindes für eine einheitliche Leistung für jede Familie ein.
Stellvertretend für die Evangelische Kinderwelt im Kirchenkreis setzt die Dinslakener Kita am Park einen Aktionsplan für armutssensibles Handeln um. So wird zum Beispiel bei Geburtstagen auf mitgebrachten Kuchen und Geschenktütchen verzichtet, sondern in der Einrichtung ein Kuchen mit dem Kind gebacken. Räumlichkeiten für die Geburtstagsfeier können zur Verfügung gestellt werden. Und kein Kind bringt eine Brotdose mit, sondern es gibt in der Kita ein Frühstücksbuffet. Es gehe nicht darum, Gleichheit vorzugaukeln, "sondern die Kita als Raum zu nutzen, um Teilhabe zu leben", sagt Pfarrerin Susanne Jantsch, Assessorin im Kirchenkreis Dinslaken.
Kinder als Armutsfaktor
"Kinder sind ein Armutsfaktor in Deutschland", beklagt Sozialarbeiterin Schwedtmann. "Aber ich will, dass sie in dieser Gesellschaft willkommen sind." 2,8 Millionen Kinder in Armut sind für sie nicht etwa Beleg dafür, dass die betroffenen Familien selbst schuld an ihrer Lage sind, sondern "dass viele Kinder mit schlechteren Chancen starten". Zur Linderung würden in dieser Gesellschaft zwar viele soziale Pflaster geklebt. "Aber wir wollen, dass gar kein Verbandskasten mehr notwendig ist."
Text: Ekkehard Rüger, Redaktion: Ann-Kristin Herbst,
Fotos: Diakonie im Evangelischen Kirchenkreis Dinslaken, Pixabay, Shutterstock