Jahreswechsel im Gefängnis
Im Gefängnis sind die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr gewöhnlich stille Tage. Eine große Party zum Abschluss des Jahres gibt es hier nicht, nur ein Besuch auf der Zelle eines anderen Häftlings ist möglich. Doch die Veranstaltungen und Besuche rund um Weihnachten geben Kraft für die einsamen Tage. In diesem Jahr ist das anders. "Ich betreue hier Väter, die ihre Kinder schon seit neun Monaten nicht mehr gesehen haben", erzählt Thomas Wendland von der Straffälligenhilfe der Diakonie für Bielefeld.
Der 58-jährige Sozialpädagoge ist für das 2007 gestartete Projekt "Freiräume" zuständig, das inhaftierten Vätern und Müttern und ihren Kindern einen familienfreundlichen Strafvollzug in der JVA Bielefeld ermöglichen soll. Mit seinem Team bietet er Vater-Kind- und Mutter-Kind-Gruppen im Gefängnis an, organisiert familienfreundliche Besuche und Familienwochenenden. Davon profitierten in den vergangenen Jahren über 300 inhaftierte Eltern sowie 270 Kinder. Jedes Jahr gibt es kurz vor Heiligabend eine große Abschlussveranstaltung mit bis zu 50 Angehörigen, Geschenken, einem Weihnachtsmann und vielen Umarmungen.
Mit Maske und Mama im Gefängnis den Papa besuchen - darauf haben viele Familien lieber verzichtet.
Lieber ohne Kinder zu Besuch
Auf all das musste in diesem Jahr verzichtet werden. Nach strikten Besuchsverboten im ersten Lockdown des Frühjahres sind Besuche inzwischen zwar wieder möglich, aber nur unter strengen Auflagen. Und die tun vielen Kindern nicht gut. Ein- bis zweimal monatlich dürfen die Gefangenen maximal zwei Besucher für eine halbe Stunde sehen – hinter Plexiglas und mit Maske in einem Raum, in dem vier weitere Gefangene mit ihrem Besuch sitzen. Berührungen sind strengstens verboten. Der Geräuschpegel ist hoch.
"Viele Mütter haben mir gesagt, dass sie ihren Kindern das nicht antun wollen und deshalb lieber alleine kommen", erzählt Wendland. "Für die Kinder ist diese angespannte Atmosphäre so belastend, dass einige in Tränen ausgebrochen sind. Ein Mädchen ist sogar zusammengebrochen, während sie ihren Vater besuchte." Was bleibt, sind Videos.
Thomas Wendland in seinem Büro in der JVA Bielefeld-Brackwede (Foto: privat)
Videogrüße statt Umarmungen
Regelmäßig ist Thomas Wendland in diesem Jahr zu den Familien gefahren und hat Videogrüße für die inhaftierten Angehörigen aufgenommen und ihre Videobotschaften auf einer DVD mitgebracht. Mit den inhaftierten Vätern hat er ebenfalls Videoclips erstellt. Statt einer gemeinsamen Weihnachtsfeier gab es in diesem Jahr eine "Videobäckerei" mit der Vätergruppe, die er beim Plätzchenbacken für ihre Familien gefilmt hat.
"Für die Gefangenen war das ein einsames Jahr", sagt der Sozialpädagoge. "Zumal es in der Bielefelder JVA bislang noch nicht mal die Möglichkeit der Videotelefonie gibt." Das Gefängnis in Bielefeld-Brackwede hat 542 Haftplätze im geschlossenen Vollzug, davon sind nur 60 mit Frauen belegt. In der JVA Bielefeld-Senne und den umliegenden kleineren Aussenstellen befinden sich rund 1.600 Menschen im offenen Vollzug. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr durften diese das Gefängnis zu sogenannten Langzeiturlauben nicht verlassen, sondern nur telefonieren.
Mal eben mit der Familie telefonieren - im Gefängnis braucht es dafür eine Genehmigung. Seelsorger Hauke Faust hat öfter dafür gesorgt, dass sie schnell erteilt wird.
Kurzes Telefonat beim Seelsorger
In den Justizvollzugsanstalten in Duisburg-Hamborn und Kleve dagegen gab es die Möglichkeit, einmal pro Monat ein einstündiges Gespräch mit Angehörigen per Skype zu beantragen. Auch nach dem Lockdown wurden die Videoanrufe zusätzlich zu den eingeschränkten Besuchen in der Anstalt gestattet.
"In der Pandemie haben sich viele Gefangene Sorgen um ihre Familien gemacht und wollten kurz wissen, wie es ihnen geht", erzählt Gefängnisseelsorger Hauke Faust. "Ich habe sie dann nach Rücksprache mit den Beamten häufiger in meinem Büro telefonieren lassen." Überhaupt sei er in diesem Jahr viel in den Gefängnistrakten unterwegs gewesen, um Gespräche zu führen. "Es ist ja fast niemand mehr von außen rein gekommen", sagt der Theologe. "Freizeitangebote mit Ehrenamtlichen mussten ausfallen. Also sind Beamte und mein katholischer Kollege und ich eingesprungen."
Seelsorger Hauke Faust in der Kapelle der JVA Kleve (Foto: Ev. Kirchenkreis Kleve/Schmelting)
Geduld statt Widerstand
So organisierte Faust Kicker-Turniere für die jeweils rund 240 Gefangenen im geschlossenen Vollzug der beiden Haftanstalten und eine Fotoaktion. Unter strengen Hygieneauflagen bot er Gottesdienste in der Kapelle an, die auf eine halbe Stunde beschränkt wurden. Statt 40 können nun maximal 20 Gefangene teilnehmen, und es gibt Wartelisten.
"Offenen Ärger über die strengen Regeln habe ich bisher nicht erlebt", sagt Faust. "Im Gegenteil. Die Männer reagieren mit viel Geduld und Verständnis, denn viele haben Sorge vor einem Corona-Ausbruch im Gefängnis."
In der Pandemie konnten sich die Familien mit den Inhaftierten nicht treffen. Doch mit Schnelltests wäre jetzt wieder mehr möglich, meint Thomas Wendland.
Mehr für Familienbesuche tun
Auch Thomas Wendland beobachtet eine eher "fatalistische Haltung" als ein Aufbegehren. "Viele wissen, dass sie mit Kritik und Widerstand nicht weit kommen", so der Sozialpädagoge. "Doch mich ärgert es schon, dass die Gefängnisse in der Diskussion um Schnelltests überhaupt nicht vorkommen. Dabei würden sie familienfreundliche Besuche wieder ermöglichen, die vor allem für Kinder enorm wichtig sind."
Nun hoffen alle auf die Impfungen und darauf, dass 2021 auch hinter Gittern wieder ein "normales Leben" möglich wird.
Text: Sabine Damaschke; Fotos im Slider: JVA Bielefeld-Brackwede
Familienhilfe in Haft der Diakonie für Bielefeld
Gefängnisseelsorge im Evangelischen Kirchenkreis Duisburg
Die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede
Recht
In NRW sind knapp 15.000 Menschen in 36 Justizvollzugsanstalten inhaftiert. Etwa zwei Drittel von ihnen haben Kinder. Schätzungen zufolge sind davon rund 80.000 minderjährig.