31. Juli 2019

Evangelische Betreuungsvereine

Das Ringen um faire Bezahlung

Betreuungsvereine, die sich um kranke oder alte Menschen kümmern, stehen unter großem Druck. Ihre gesetzlichen Betreuer tragen eine hohe Verantwortung, werden für ihre Arbeit aber nicht angemessen bezahlt. Jetzt hat der Bund ihre Stundensätze um etwa 17 Prozent angehoben. Das verschafft den Vereinen etwas Luft, hilft ihnen auf Dauer aber nicht, sagt Alexander Engel, der für die Betreuungsvereine der Diakonie RWL zuständig ist.

Jahrelang haben die Betreuungsvereine für eine höhere Vergütung gekämpft. Jetzt gibt es seit dem 27. Juli etwa 17 Prozent mehr. Wie sind die Reaktionen in den Vereinen?

Es ist ein erster Erfolg. Unsere Betreuungsvereine haben ordentlich Lobbyarbeit betrieben und sind auf Politiker zugegangen. Und die erkennen inzwischen, welche gesellschaftliche Relevanz die Vereine haben. Viele unserer rund 300 Betreuer sind aber dennoch enttäuscht. Sie hatten sich mehr Geld und eine dynamische Anpassung der Vergütung erhofft. Die Erhöhung der Stundensätze reicht bei weitem nicht aus, um die Betreuungsvereine finanziell auf sicheren Boden zu stellen. Zumal die Gelder nicht in vollem Umfang dort ankommen. Die Pauschalen für die Betreuung von langjährigen Klienten wurden nur geringfügig erhöht. Das sind aber vor allem die Menschen, um die wir uns kümmern. Wir rechnen nur mit einer Steigerung der Stundensätze von 11 bis 13 Prozent. Die nächsten zwei Jahre werden die Vereine einigermaßen überstehen können – dann wird es wieder kritisch. Es ist ein kurzes Luftholen.

Warum war die Erhöhung denn so wichtig?

Seit fast 14 Jahren wurden die Stundensätze der gesetzlichen Betreuer nicht angepasst. Sie lagen bei höchstens 44 Euro pro Stunde. Die Mitarbeitenden in den Vereinen haben aufgrund der schlechten Refinanzierung oft mehr Betreuungen übernommen, aber da gibt es natürlich Grenzen. Häufig mussten die Diakonischen Werke oder Kirchenkreise die Arbeit querfinanzieren. Das können sich viele auf Dauer nicht leisten. In den vergangenen sechs Jahren haben fünf der evangelischen Betreuungsvereine der Diakonie RWL geschlossen – ein weiterer wird gerade abgewickelt. Ein Zustand, der so eigentlich nicht tragbar ist, denn die Betreuungsvereine übernehmen eine staatliche Pflichtaufgabe.

Alexander Engel arbeitet im neuen Großraumbüro des Zentrums Recht der Diakonie RWL. Dort kann er direkt die nötige Fachliteratur nachschlagen.

Viele Menschen wissen nicht, was die Betreuungsvereine genau machen. Wie unterscheiden sich Betreuungsvereine von Berufsbetreuern?

Bis 1992 gab es das Vormundschaftsrecht. Nach einer Gesetzesänderung bildeten sich drei Stränge der rechtlichen Betreuung heraus. Es gibt ehrenamtliche Betreuungen durch das direkte private Umfeld, etwa durch Eltern, Kinder oder Verwandte, aber auch durch Menschen, die sich in diesem Bereich aus mitbürgerlicher Verantwortung engagieren. Daneben kann das Gericht Betreuer bestimmen, die freiberuflich in diesem Feld arbeiten. Häufig sind das Rechtsanwälte oder Verwaltungsangestellte.

Der dritte Strang besteht aus den Betreuungsvereinen der Wohlfahrtsverbände. In NRW und Rheinland-Pfalz sind das derzeit rund 270. In diesen Vereinen arbeiten größtenteils Sozialarbeiter. Die Betreuungsvereine garantieren einen festen Mitarbeitenden-Pool mit klaren Vertretungsregeln. Außerdem sorgen sie für kontinuierliche Fortbildung, Supervision und eine Versicherung der Mitarbeitenden und damit für eine Qualitätskontrolle der Arbeit.

Die Betreuungsvereine sollen auch Ehrenamtliche unterstützen und schulen.

Ganz genau, denn rund 60 Prozent der Menschen mit gesetzlicher Betreuung haben ehrenamtliche Betreuer. Die meisten sind Verwandte oder Familienangehörige. Nur 40 Prozent der betroffenen Menschen werden von hauptberuflichen Betreuern unterstützt.

Die gesetzliche Betreuung ist sehr anspruchsvoll. Ehrenamtliche müssen viel Engagement, Zeit und Fachwissen mitbringen. Die Betreuungsvereine helfen Angehörigen, Vorsorgebevollmächtigten und ehrenamtlichen Betreuern dabei. Sie bieten Schulungen an, geben aber auch bei rechtlichen Fragen und schwierigen bürokratischen Vorgängen wertvolle Tipps.

Frau auf Plakat

Mit der Kampagne "Würde-Bewahrer" haben die evangelischen Betreuungsvereine auf ihre vielen ehrenamtlichen Helfer aufmerksam gemacht.

In Deutschland benötigen rund 1,3 Millionen Menschen eine rechtliche Betreuung. Der Großteil hat eine psychische Erkrankung oder Behinderung. Das Bundesteilhabegesetz will nun für mehr Selbstbestimmung und Teilhabe sorgen. Hat das auch Auswirkungen auf die rechtliche Betreuung?

In der Tat kommt jetzt auf alle rechtlichen Betreuer mehr Arbeit zu. Das neue Bundesteilhabegesetz verlangt detaillierte Anträge von ihnen. Menschen, die in stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung leben, müssen erstmals einen Antrag auf Grundsicherung stellen. Konten müssen eingerichtet und Mietverträge unterschrieben werden. Die Betreuungsvereine helfen auch da weiter. Was es zu beachten gilt, haben wir jetzt in einer Handreichung für ehrenamtliche Betreuer zusammengefasst.

Was spricht denn für ehrenamtliche Betreuer?

Bei der gesetzlichen Betreuung geht es nicht darum, über den Kopf des Betreuten hinweg zu entscheiden, sondern ihn dabei zu unterstützen und ein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Das können Ehrenamtliche oft besonders gut, denn sie haben mehr Zeit für persönliche Begegnungen. Es ist jedoch ein sehr forderndes Ehrenamt. Man muss sich immer wieder mal mit Behörden auseinandersetzen. Ohne die entsprechende Hilfe von Betreuungsvereinen trauen sich das viele nicht zu.

Das Gespräch führten Sabine Damaschke und Ann-Kristin Herbst.