Tag des Flüchtlings 2018
Harter Job: Flüchtlingsberater Marcus Franke sitzt täglich verzweifelten Flüchtlingen gegenüber.
Es gibt Tage, an denen fragt sich Flüchtlingsberater Marcus Franke, wie lange er in seinem Job noch durchhält. "Ich habe hier vor drei Jahren angefangen, um Menschen zu helfen, denen unser Staat Schutz verspricht, aber das gelingt mir immer seltener." Oft sitzen abgelehnte Flüchtlinge vor ihm, die einen Brief aus der Tasche holen, in dem sie zur Ausreise aufgefordert werden.
"Es geht fast nur noch um Abschiebungen", klagt Franke. "Viele Ablehnungen basieren auf gravierenden Fehlern im Asylverfahren, die uns dann monatelang beschäftigen." Zusammen mit seinen drei Kolleginnen in den Migrationsdiensten der Diakonie Wuppertal berät Franke rund 1.400 Flüchtlinge im Jahr. Eigentlich müsste ihre Zahl sinken. Kamen 2015 noch 9.500 Zuwanderer, davon rund 4.000 aus europäischen Staaten, so zählten die Behörden in Wuppertal 2017 nur noch 500.
Doch der Flüchtlingsberater hat zunehmend mit Menschen aus sicheren Herkunftsländern zu tun, die zwei Jahre oder länger in Wuppertal leben und nun abgeschoben werden sollen. Meist in den Balkan oder nach Ghana - und auch nach Nigeria oder Marokko, die nicht zu diesen sicheren Herkunftsländern zählen.
Oft sind die Kinder schon gut integriert, wenn der Ablehungsbescheid für die Familie kommt.
Verzweiflung bis zum Selbstmord
Derzeit betreut Franke sechs Frauen aus dem Westbalkan, die Schutz vor ihren gewalttätigen Ehemännern suchen. Darunter ist eine Klientin, die mit Mann und drei Kindern nach Deutschland kam und von ihrem Ehemann krankenhausreif geschlagen wurde. Nachdem er abgeschoben wurde, sollen nun auch sie und ihre drei Kinder zurückgehen.
"Nach Erhalt des Bescheids hat sie versucht, sich mit Medikamenten umzubringen", erzählt der studierte Sozialwissenschaftler. "Zu ihrer Familie kann sie nicht zurück, denn dort ist ihr gewalttätiger Ehemann. Und wenn sie mit den Kindern an einen anderen Ort geht, weiß sie nicht, wovon sie leben soll." Für die Behörden und das Verwaltungsgericht war das offenbar kein Problem: Der 17-jährige Sohn könne ja den Familienunterhalt verdienen, hieß es.
Ausführliche Begründungen für die Ablehnung des Asylantrags fehlen in vielen Bescheiden.
Textbausteine statt gründlicher Prüfung
Die Begründungen für Asylablehnungen würden immer absurder, meint der 37-jährige Flüchtlingsberater. Häufig aber bestehen sie aus Textbausteinen. "Es kommt vor, dass im Ablehnungsbescheid lediglich vermerkt ist, es sei nichts Asylrelevantes vorgetragen worden, während die Anhörung mehrere Stunden gedauert hat und von Tötungen von Familienmitgliedern berichtet wurde."
Damit zitiert er aus einem offenen Brief, den er gemeinsam mit den 86 Flüchtlingsberaterinnen und -beratern der Diakonie RWL und den Landeskirchen in Rheinland, Westfalen und Lippe formuliert hat. Denn was er täglich an Angst, Verzweiflung und Ohnmacht in seinem Büro erlebt, können alle Flüchtlingsberater bestätigen. Der Job ist zur Belastungsprobe geworden.
Der Job ist zur Belastungsprobe geworden, meinen Flüchtlingberaterin Judith Welkmann (Mitte), Marcus Franke und Diakonie RWL-Referentin Karin Wieder.
Zurück trotz Gefahr für Leib und Leben
"Ständig landen auf meinem Tisch Fälle, bei denen eine klare Rückkehrgefährdung vorliegt", berichtet Judith Welkmann. Bei der Diakonie Solingen berät sie seit 2015 jährlich rund 250 geflüchtete Menschen. Welkmann betreut einen Familienvater aus Tadschikistan, der dort eine verbotene Partei unterstützte und dafür Gefängnis und Folter erlitt. Der Bruder wurde sogar zu Tode gefoltert.
Den Vortrag des Familienvaters bei der Anhörung hielt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für unglaubwürdig. Nun soll er nach fast drei Jahren Aufenthalt in Deutschland mit Frau und Kindern, die bereits das Gymnasium besuchen, abgeschoben werden. Judith Welkmann hat einen Antrag bei der Härtefallkommission gestellt. Die Chancen, dass die Familie bleiben kann, stehen nicht schlecht.
Schließlich können Abschiebungen ausgesetzt werden, wenn sich abgelehnte Asylbewerber intensiv um ihre Integration bemüht haben, familiär in Deutschland gebunden sind, wenn Pässe fehlen oder schwerwiegende physische und psychische Krankheiten vorliegen.
Jedem Asylsuchenden steht ein individuelles Verfahren zu, betont Diakonie RWL-Flüchtlingsexpertin Karin Wieder.
Integration stärken statt Abschiebung forcieren
"In der öffentlichen Diskussion herrscht die Meinung vor, dass Asylbewerber mit einem negativen Asylbescheid sofort abgeschoben werden müssen", erklärt Karin Wieder, Flüchtlingsexpertin bei der Diakonie RWL. "Doch das ist oft nicht möglich, weil zum Beispiel ein Abschiebehindernis wie eine schwerwiegende Behinderung oder eine familiäre Bindung besteht oder von einer Gefahr für Leib und Leben im Herkunftsland auszugehen ist." Die Bundesrepublik beruft sich auf die UN-Menschenrechtscharta. Dies bedeute, so Wieder, dass sie jedem Asylsuchenden ein individuelles Verfahren garantiere.
So liegt die Erfolgsquote von Klagen gegen mangelhafte Asylverfahren bei rund 40 Prozent. Zum 30. September 2017 lebten rund 51.000 Menschen in NRW mit einer Duldung. "Angesichts dieser Zahlen wäre es erforderlich, eine neue Kraftanstrengung zur Integration von Geflüchteten in NRW auszurufen statt vor allem auf Abschiebung zu setzen", betont Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann gemeinsam mit der Freien Wohlfahrtspflege NRW aus Anlass des Weltflüchtlingstages am 20. Juni.
Viele Flüchtlinge leben in ständiger Angst vor der Abschiebung. (Foto: Freie Wohlfahrtspflege NRW)
Willkommenskultur – ein Fremdwort?
"Die deutsche Willkommenskultur ist zum Fremdwort geworden", beklagt Marcus Franke. "Viele Flüchtlinge verstehen die Welt nicht mehr. Sie dachten, dass sie nach gelungener Flucht auch als Fachkräfte gebraucht würden." So wie ein junger Marokkaner, der in seinem Heimatland als Christ verfolgt wurde und Geld sparte, um seinen Sprachkurs selbst zu finanzieren. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Bäcker.
Sein Asylantrag war bereits drei Stunden nach der Anhörung abgelehnt worden. Mit Frankes Hilfe erhielt er eine Ausbildungsduldung. Doch die Angst vor Abschiebung bleibt. "Ich erlebe hier Geschichten, die mich fassungslos machen", sagt Marcus Franke. "Wir reden von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, aber mit unserer Asylpolitik treiben wir Geflüchtete in Angst und Verzweiflung."
Text und Fotos: Sabine Damaschke