15. Oktober 2020

Soziale Beratung von Geflüchteten

Fördervorgaben gefährden Hilfen

Geflüchtete haben ein Recht auf Schutz und faire Asylverfahren. Das Land NRW fördert daher die Flüchtlingsberatung der Wohlfahrtsverbände. Doch jetzt gefährden unzureichende Fördervorgaben insbesondere die Arbeit in den Landesunterkünften. Die Diakonie Paderborn-Höxter hat ihren Ausstieg aus der Asylverfahrens- sowie Psychosozialen Erstberatung und den Beschwerdestellen bereits beschlossen.

  • Flüchtling sitzt nachdenklich in einer Unterkunft (Foto: Shutterstock)

Schon in der Landesunterkunft eine psychosoziale Beratung für geflüchtete Menschen anzubieten – das war für Jutta Vormberg, Vorständin der Diakonie Paderborn-Höxter, von Anfang an ein "Herzensprojekt". Viel Zeit und Mühe ist in das 2014 gestartete Modellprojekt in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Borgenteich geflossen. Eine erfahrene Psychologin betreut dort die Geflüchteten, von denen viele durch Gewalterfahrungen traumatisiert sind.

"Sie erkennt, wo das Trauma zu einer psychischen Erkrankung geführt hat, sorgt für eine Stabilisierung und stellt die Weichen für weiterführende Hilfen", erklärt Jutta Vormberg. Vor zwei Jahren übernahm das Land das innovative, kirchlich gestartete Modell als ein Pilotprojekt, das ab 2021 auf alle anderen Zentralen Unterbringungseinrichtungen übertragen werden soll. Jetzt steht genau dieses Projekt der Diakonie durch eine unzureichende Finanzierung vor dem Aus.

Portrait

Jutta Vormberg leitet die Diakonie Paderborn-Höxter und engagiert sich als Vorsitzende des Fachverbandes Migration und Flucht in der Diakonie RWL. (Foto: Carls/Diakonie RWL)

"Fassungslos" über nicht erfüllbare Vorgaben

"Ich bin fassungslos über die neuen Fördervorgaben des Landes", sagt Jutta Vormberg. "Wir haben erfolgreich ein Modellprojekt für psychosoziale Hilfen auf den Weg gebracht. Seit vielen Jahren beraten wir Geflüchtete im Asylverfahren und haben auf Bitten des Landes ein Beschwerdemanagement aufgebaut. Jetzt müssen wir unser gesamtes Beratungsangebot zum 31. Dezember in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen in Borgenteich und Bad Driburg einstellen."

Der Grund: Während das Land NRW bis dato 99 Prozent der tatsächlichen Personalkosten bei der Flüchtlingsberatung in Landesunterkünften refinanzierte, sollen die Wohlfahrtsverbände ab Januar 2012 bis zu 15.000 Euro Eigenmittel pro Vollzeitstelle erbringen. „Wir reden hier von insgesamt fünf Vollzeitstellen und über 60.000 Euro an zusätzlichen Eigenmitteln“, erklärt Jutta Vormberg.

"Unsere Asylgesetzgebung ist sehr komplex und die Situation geflüchteter Menschen schwierig", betont sie. "Da braucht es erfahrene Mitarbeitende, die nüchtern und auf einem fachlich basierten Niveau beraten und agieren, damit Geflüchtete faire Asylverfahren erhalten. Und die müssen wir auch entsprechend bezahlen."

Taschenrechner mit spitzem Bleistift (Foto: pixabay.de)

Da hilft auch kein Rechnen "mit spitzem Bleistift": Unter den neuen Förderbedingungen des Landes können die Träger ihre soziale Flüchtlingsberatung nicht finanzieren. 

Wechsel zu privaten Anbietern?

Die neuen Förderungen seien innerhalb der aktuellen Tarifstrukturen und der damit verbundenen massiven Erhöhung der Eigenmittel für die Träger nicht leistbar, kritisiert auch der Vorstand der Diakonie Mark-Ruhr, Pfarrer Martin Wehn. Er warnt vor einem massiven Rückzug der Wohlfahrtsverbände mit ihren erfahrenen und fachlich versierten Mitarbeitenden und einem "Wechsel durch die Hintertür" zu privaten Anbietern mit Dumpinglöhnen.

Insgesamt 134 Stellen sind bei den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege von den unzureichenden Förderbedingungen in den Landesunterkünften betroffen: 81 in der Asylverfahrensberatung, 38 Beschwerdestellen (Teilzeit), 26 Stellen in der Psychosozialen Erstberatung und fast 30 in der Ausreise- und Perspektivberatung.

Fachlich gelten ab Januar 2021 ebenfalls neue Vorgaben, die die Verbände mit Sorge betrachten. So ist etwa die enge Zusammenarbeit mit dem Ehrenamt nicht mehr so wie bisher vorgesehen. Auch die standortübergreifende Fachbegleitung bei der Asylverfahrensberatung oder den Beschwerdestellen steht auf der Kippe, was die Qualität der Arbeit deutlich beeinträchtigen kann.

Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann

Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann appelliert an das Flüchtlingsministerium, die Fördervorgaben zu überdenken. (Foto: Carls/Diakonie RWL)

Nachbesserung des Förderprogramms gefordert

"Mit der Neuausrichtung des Förderprogramms 'Soziale Beratung von Geflüchteten' gefährdet das Flüchtlingsministerium die unabhängige, der Humanität und den Menschenrechten verpflichtete Flüchtlingsberatung und ihre funktionierenden Beratungsstrukturen für geflüchtete Menschen", kritisiert Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Wir wünschen uns, dass das Ministerium seinen Förderaufruf überdenkt. Das gilt vor allem für die Förderbeträge und die Förderung der fachlichen Qualität durch überregionale fachliche Angebote, etwa im Bereich der Fachbegleitung der Asylverfahrensberatungsstellen."

Jutta Vormberg betont als Vorsitzende des Fachverbandes Migration und Flucht der Diakonie RWL, sie sei gegenüber der Landesregierung "gesprächsbereit". Doch als Diakonie-Vorständin sieht sie auch ihre Verantwortung als Arbeitgeberin. Ihre Mitarbeitenden brauchen Sicherheiten über den 31. Dezember hinaus. Vormbergs Vorschlag: "Das Ministerium sollte zentrale Vorgaben des veröffentlichten Förderaufrufes verändern, für Träger eine Übergangsregelung schaffen und die Fristen für die Antragstellung deutlich verlängern." Ansonsten sei zu befürchten, dass erfahrene Träger keine Anträge mehr stellen würden.

Für sich spricht Jutta Vormberg von einem "immensen Vertrauensverlust" gegenüber dem Land. Und sie betont die Verantwortung des Landes, aber auch der gesamten Gesellschaft gegenüber geflüchteten Menschen. "Sie haben ein Recht auf Schutz, gute Begleitung und faire Verfahren. All das sehen wir jetzt in Gefahr."

Text: Sabine Damaschke; Fotos: Shutterstock, pixabay.de