Flüchtlingshilfe – Gute Beispiele
Im Einsatz für die Bahnhofsmission: Aminul Khan am Gleis
Aminul Khan streift die blaue Weste der Bahnhofsmission über. Zum zweiten Mal in diesem Monat übernimmt er eine Schicht an Gleis 2-5 des Dortmunder Hauptbahnhofes: Im hellen Missionsgebäude schenkt er heute Kaffee aus und bietet den am Bahnhof Gestrandeten ein offenes Ohr und Hilfe in allen Lebenslagen an. "Häufiger schaffe ich es wegen meiner Arbeit leider nicht mehr", sagt der 24-Jährige. "Ich werde aber mein Leben lang auch für die Bahnhofsmission arbeiten."
Dass er heute einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat, rettete ihn vor der schon beschlossenen Abschiebung in das Land seiner Geburt, aus dem er 2010 nach Deutschland geflüchtet war: Bangladesch. Denn: Nur wenige Asylanträge aus diesem Land werden in Deutschland nicht abgelehnt. "Es gibt ja keinen akuten Krieg", sagt auch Aminul Khan. "Ich hatte eigentlich gar keine Chancen hierzubleiben."
Eine Tasse Kaffee und eine Prise Mut - das findet Aminul Khan bei der Bahnhofsmission
Abschließen mit der Vergangenheit
Warum er 2010 nach Dortmund kam, möchte er nicht erzählen. Und auch nicht über die Flucht sprechen. "Mir geht es schlecht, wenn ich diese Erinnerungen hervorhole", sagt er in so gut wie perfektem Deutsch. "Es war furchtbar und ich will damit abschließen."
Nur so viel gibt er preis: Dass es Dortmund, ja überhaupt Deutschland, wurde, ist Zufall. Er musste weg, sagt er – und wollte nach Europa in ein besseres Leben. Damals ist er 17, kennt keinen Menschen in der Stadt, spricht kein Wort Deutsch und weiß nur, dass die Aussichten zu bleiben für ihn sehr gering sind. Er strengt sich trotzdem in der Schule an, erreicht später auch den Realschulabschluss mit Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe. "In den Ferien ging es mir aber besonders schlecht", erzählt er heute. "Ich hatte zu viel Zeit für meine Sorgen ohne die Arbeit und Ablenkung durch die Schule."
Eine Sozialarbeiterin in seiner Wohngruppe vermittelt ihm im Sommer 2012 einen Praktikumsplatz bei der Bahnhofsmission: Es werden sechs Wochen, die Aminul Khans Zukunftsaussichten und auch seine Sicht auf das Leben in dem Land, das seine Heimat werden soll, ändern. "Vor allem habe ich hier gelernt, den Mut nicht zu verlieren", betont er.
Gesichter der Armut: Obdachlose vor dem Dortmunder Bahnhof
Erstaunt über deutsche Armut
Dass es Armut in Deutschland gibt, damit hatte der junge Mann nicht gerechnet. Hier in der Bahnhofsmission am Dortmunder Hauptbahnhof begegnen ihm diejenigen, die in Deutschland auf der Straße leben – und durch soziale Netze gefallen sind, die es in Khans Herkunftsland überhaupt nicht gibt. "Armut in Deutschland ist anders als in Bangladesch", sagt er. "Es gibt hier zwar für jeden Sozialleistungen und Hilfsangebote, aber manche Menschen tragen so große innere Probleme mit sich herum, dass sie das nicht annehmen können."
Inzwischen versteht er die Geschichten der Armen in Dortmund gut. Nach seinem Praktikum blieb er bei der Bahnhofsmission, arbeitete dort oft und regelmäßig – bis heute. In Deutschland fallen Menschen durchs soziale Netz, "weil sie durch Krankheiten und Krisen den Mut verloren haben, nicht mehr an ein gutes Ende für sich glauben", meint Khan. "Man muss immer kämpfen, sonst verliert man im Leben." Das erklärt er noch heute den Hilfesuchenden – auch mit seiner eigenen Geschichte. Denn auch er kennt Traurigkeit und Mutlosigkeit, die so groß wirken, dass es scheinbar nicht mehr weitergeht und man morgens nicht mehr aufstehen will.
Mutmacherin Swetlana Berg, Leiterin der Bahnhofsmission Dortmund
Die Bahnhofsmission als "Familie"
"Es sah zwischendurch wirklich sehr düster für Aminul aus", sagt Swetlana Berg, Leiterin der Dortmunder Bahnhofsmission. "Eine Abschiebung rückte immer näher und ihm ging es entsprechend hundeelend." Berg und die anderen Kollegen sieht Aminul Khan als "meine Familie in Deutschland". "Hier habe ich mich zum ersten Mal wieder Zuhause gefühlt", sagt er. Die Mitarbeiter treffen sich auch außerhalb Arbeit regelmäßig. "Wir essen zusammen, interessieren uns füreinander und unterstützen uns."
Der junge Asylbewerber, der sich von Anfang immer so engagiert in die Arbeit stürzte, macht Swetlana Berg Sorgen. "Nicht aufgeben", sagt sie ihm immer wieder. Alle suchen fieberhaft nach Arbeit für Aminul Khan. Nach bezahlter, sozialversicherungspflichtiger Arbeit – für einen Geflüchteten mit unsicherem Aufenthaltsstatus eine besonders schwierige Aufgabe. Aber: "Nur ein richtiger Job konnte die Abschiebung noch verhindern", erzählt Berg. "Ein Ehrenamt ist ja keine Bleibeperspektive." Aber es schafft Perspektiven.
Angekommen im neuen Leben in Deutschland: Aminul Khan
Ausbildung trotz Ablehnung
"Ich bewerbe mich bei der Bahn", beschließt Aminul Khan. "Menschen beim Reisen unterstützen kann ich und mag ich, das ist das Richtige für mich." Angezogen mit seiner blauen Bahnhofsmissions-Weste geht er ins Gebäude nebenan und fragt, ob er den Bahnhofsmanager sprechen kann. "Da hatte ich meinen Mut wohl wieder", sagte Khan heute und lächelt.
Den Manager fragt er ohne weitere Umschweife, ob er ihm eine Empfehlung für eine Ausbildungsstelle schreiben kann. Mit Erfolg. Zusammen mit dem guten Realschulabschluss überzeugt der bereits abgelehnte Asylbewerber das Unternehmen. Er erhält als Antwort auf seine Initiativbewerbung umgehend einen Ausbildungsplatz als Servicemitarbeiter in Köln. Nach der Ausbildung kommt der unbefristete Vertrag – und mit ihm eine Aufenthaltserlaubnis.
Servicebetreuung im Bordbistro der Bahn macht Aminul Khan seitdem, zieht zum Beispiel auch mit Snack-Wagen durch die Abteile. Und: "Ich begrüße manchmal auch Menschen am Bahnsteig", sagt er. "Auch das kannte ich schon von der Arbeit bei der Bahnhofsmission in Deutschland." Hier hat er sich selbst immer willkommen gefühlt, "und das gebe ich jetzt bei der Arbeit für die Bahn und auch hier in der Bahnhofsmission weiter."
Text und Fotos: Miriam Bunjes