1. August 2017

Diakonisch im Ausland: Jens Sannig

Dem Elend Afrikas das Herz öffnen

Ein riesiger Drahtzaun schottet Marokko von Europa ab. Afrikanische Flüchtlinge sterben bei dem Versuch, ihn zu überwinden. Andere bleiben in Marokko und leben dort im Elend. Jens Sannig findet das skandalös. Der Superintendent des Kirchenkreises Jülich unterstützt mit seinem Kirchenkreis und der Diakonie RWL Flüchtlingsprojekte der Evangelischen Kirche in Marokko. In unserer Sommerreihe stellt er sie vor.

Portrait

Jens Sannig

Die Situation der Flüchtlinge in Nordafrika hat Sie nicht losgelassen, seit Sie 2007 zum ersten Mal in Marokko waren. Seitdem helfen Sie konkret in Projekten, werden aber auch nicht müde, in Deutschland und Europa darüber zu informieren. Was wollen Sie damit erreichen?

In Europa machen wir unsere Grenzen für Migranten aus Afrika dicht. Das hat verheerende Auswirkungen auf die Menschen, die aufgrund von Kriegen, Gewalt und Hungersnöten aus afrikanischen Staaten nach Europa fliehen wollen und völlig entkräftet und traumatisiert in Marokko stranden. Viele sterben an ihren Verletzungen oder bei dem Versuch, den sieben Meter hohen Todeszaun an der Grenze nach Europa zu überwinden. 

Kein Tor nach Europa, sondern meterhoher Stacheldraht:  Grenzzaun in Marokko

Wer überlebt, ist behördlichen Repressalien und großem Mangel ausgesetzt, denn die Regierung und ein Großteil der Bevölkerung will die Flüchtlinge nicht. Sie leben daher unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Straße oder in Elendsquartieren – ohne Nahrung, Arbeit und medizinische Versorgung. Wir haben als Europäer einen Anteil daran und sind deshalb auch in der Pflicht zu helfen. Genau darauf möchte ich aufmerksam machen.

Zelte, Wasser und Nahrung für die Flüchtlinge

Seit 2010 hat Ihr Kirchenkreis eine Partnerschaft mit der Evangelischen Kirche von Marokko. Wie helfen die Gemeinden den Flüchtlingen?

Sie versorgen sie mit Nahrung, Decken und Notunterkünften wie Zelten. Sie helfen ihnen aber auch dabei, Dokumente und Ausweispapiere zu bekommen, damit sie nicht mehr als Illegale leben müssen. Sie organisieren medizinische Hilfen, denn viele Flüchtlinge haben schwere Verletzungen, aber kein Geld für Medikamente oder einen Arzt. Hinzu kommen Microprojekte und berufliche Qualifizierungen, damit sie Geld verdienen können. 

Autowerkstatt, in der Flüchtlinge ausgebildet werden

Eine Arbeitserlaubnis erhalten die allerwenigsten Flüchtlinge, also bleibt ihnen nur die Möglichkeit, Dienstleistungen auf dem Schwarzmarkt anzubieten. Sie arbeiten als Friseur, Tischler, Schlosser oder Schuhmacher. Außerdem unterstützt die Kirche schwarzafrikanische Studierende mit Stipendien, damit sie, wenn ihnen die finanziellen Mittel ausgehen, nicht ebenfalls in der Illegalität landen. Viele Studierende engagieren sich in der Kirche für die Flüchtlinge.

Eine der elf Kirchengemeinden in Marokko

Wie unterstützen Sie Ihre Partnerkirche bei all diesen Projekten?

Wir helfen natürlich mit Geld, denn obwohl die Kirche in Marokko etwa die Hälfte ihres Gesamthaushaltes für die Versorgung der Flüchtlinge einsetzt, reicht das bei weitem nicht aus. Letztlich kann nur jedem dritten der schätzungsweise rund 200.000 Flüchtlinge im Land geholfen werden. Wir beraten aber auch, wenn es um Konzepte für die Projekte geht und darum, was an Sozialarbeit überhaupt mit welchen und wie vielen Personen geleistet werden kann. In den elf Gemeinden der Evangelischen Kirche arbeiten nur zwei bezahlte Theologen. Die Gemeinde besteht vor allem aus Studierenden, Schwarzafrikanern und Europäern, die dort für einige Jahre in europäischen Unternehmen arbeiten. 

Lager im Wald

Statt in den Wäldern zu campen, sollen junge Flüchtlinge in Familien untergebracht werden

Gemeinsam mit dem Rheinischen Verband evangelischer Kitas der Diakonie RWL, dessen Vorsitzender Sie sind, haben Sie jetzt noch ein weiteres Projekt für Kinder und Jugendliche auf den Weg gebracht. Worum geht es dabei?

Für zunächst drei Jahre konnten wir mit Hilfe der EKD, der EKiR und dem Rheinischen Verband für evangelische Kindertagesstätten die Finanzierung für ein Wohnprojekt sichern, das unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Obdach und Hilfe zukommen lassen will. Wir wollen bis zu 15 Kinder oder Jugendliche bei anderen Flüchtlingen in der Kirchengemeinde unterbringen und den Wohnraum für alle und den Lebensunterhalt finanzieren. Zudem bekommen sie Unterstützung von Sozialarbeitern. Hier sollen sie zur Ruhe kommen und eine Entscheidung treffen, wie es weitergehen soll. Wir wollen dafür sorgen, dass sie zur Schule gehen können. In öffentlichen Schulen ist das mittlerweile möglich, Privatschulen wären schlicht zu teuer.

Schlafendes Baby auf einer bunten Decke

Für in Marokko geborene Flüchtlingskinder gibt es inzwischen eine Geburtsbescheinigung

Die Christen gehören zu einer kleinen Minderheit im muslimischen Marokko. Wie reagieren die Behörden darauf, dass sie sich so stark für Flüchtlinge engagieren?

Das wird mittlerweile nicht nur toleriert, sondern vom marokkanischen Königshaus sogar unterstützt. Wichtig ist den Behörden nur, dass die Evangelische Kirche nicht missioniert. Seit dem Frühjahr erhalten Kinder, die in Marokko geboren werden, eine Geburtsbescheinigung. Die staatliche medizinische Versorgung hat sich etwas für Flüchtlinge geöffnet. Wer nachweisen kann, dass er sich seit fünf Jahren im Land befindet – sei es durch einen dokumentierten Arztbesuch oder ein Polizeiprotokoll – hat Aussichten auf eine Anerkennung. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Integration wächst langsam in Marokko. Das führe ich auch auf das Engagement unserer Evangelischen Partnerkirche und unserer europäischen Netzwerkarbeit mit der UN-Flüchtlingshilfe sowie Kirche und Diakonie zurück.

Gelebte Nächstenliebe: Flüchtlinge im Gottesdienst

Sie fliegen drei bis viermal im Jahr nach Marokko, führen viele Telefonate mit der Partnerkirche, Spendern und Netzwerkpartnern. Als Superintendent haben Sie sicher noch viele andere Aufgaben. Warum tun Sie sich das an?

Ich könnte Ihnen jetzt eine lange Antwort darüber geben, wie fasziniert ich von den Christen in Marokko, ihrer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft bin, die ich unterstützen möchte. Ich kann von Menschenwürde und Menschenrechten reden, die keine Grenze haben. Ich gebe Ihnen aber eine kurze, schlichte Antwort: Die Flüchtlinge in Marokko sind unsere Geschwister.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: Kirchenkreis Jülich