Austausch mit Staatssekretärin Serap Güler
Deutschland ist manchmal ein sehr bürokratisches Land. Wer zuwandert hat eine große Bandbreite an unterschiedlichen Ansprechpartnern: das Jobcenter, das Sozialamt, die Ausländerbehörde, die Migrationsfachdienste und das Schulamt. Sie alle helfen Migrantinnen und Migranten dabei, sich zurecht zu finden und ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Aber häufig sind die unterschiedlichen Stellen vor Ort mit den vielen relevanten Akteuren nicht ausreichend vernetzt, kritisierte Serap Güler, Staatssekretärin für Integration, beim Austauschgespräch in der Diakonie RWL. Die Integration des Einzelnen sei dadurch oft langwierig und kompliziert. Deshalb hatte die NRW-Koalition das Modellprojekt "Einwanderung gestalten" auf den Weg gebracht.
Zwölf Modellkommunen erprobten über zwei Jahre hinweg, wie Einwanderung und Integration - strategisch zunächst zu einzelnen thematischen Schwerpunkten - gesteuert werden können. Anhand von Einzelfällen wurden konkrete Schritte im Integrationsprozess entwickelt und überprüft. Dazu wurde auch ein Handlungskonzept - das sogenannte Case Management - eingesetzt.
Diakonie-RWL-Vorstand Thomas Oelkers und Geschäftsfeldleiter Manfred Hoffmann während des Gesprächs mit Staatssekretärin Serap Güler.
Kommunen bei der Integrationsarbeit stärken
Daraus entwickelte sich das ganz große Vorhaben der Landesregierung - Das "Kommunale Integrationsmanagement", das ab Juli 2020 flächendeckend starten soll. Dafür werden allein für das zweite Halbjahr des kommenden Jahres 25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, für 2021 dann 50 Millionen und 2022 sogar 75 Millionen Euro. "Ich kenne keine von den zwölf Modellkommunen, die das Konzept nicht toll fand", berichtete Güler. Jetzt gelte es, das Konzept nach und nach auf alle kreisfreien Städte und Landkreise zu übertragen. Jedoch gehe es nicht nur um einzelne thematische Schwerpunkte, wie in der Modellphase, sondern jetzt werde das gesamte Handlungsfeld Integration auf kommunaler Ebene neu gestaltet.
"Die strategische Ausrichtung der Integrationsarbeit gehört auf jeden Fall in die Hände der Kommunen", betonte Geschäftsfeldleiter Manfred Hoffmann. Denn im Sinne eines "Ansatzes zur Dezentralisierung" könnten die Kommunen so auf die unterschiedlichen Bedürfnisse vor Ort eingehen, stimmte Diakonie-RWL-Vorstand Thomas Oelkers zu.
Gemeinsam mehr erreichen: Migrationsexpertin Ioanna Zacharaki setzt sich dafür ein, dass die Träger eng zusammenarbeiten.
Lokale Projekte unterstützen
"Integrationsarbeit in der Kommune kann nur im Rahmen verbindlicher Netzwerkstrukturen vor Ort, also gemeinsam, klappen", mahnte Ioanna Zacharaki, Referentin für Migration und Flucht bei der Diakonie RWL. "Die Migrationsfachdienste der Freien Wohlfahrtspflege arbeiten bereits seit 2005 mit dem Case und Fall-Management und haben eine große Erfahrung", sagte Referentin Antonia Annoussi. Doch im Modellprojekt "Einwanderung gestalten" sei teilweise nicht mit den Integrations- und Migrationsdiensten der Freien Wohlfahrtspflege zusammengearbeitet worden. Die bestehenden und bewährten Angebote der Integrationsagenturen, der Jugendmigrationsdienste und der Migrationsberatung für Erwachsene der Freien Wohlfahrtspflege müssten miteinbezogen werden.
Jede Kommune entscheide selbst, welche Träger wie stark eingebunden würden, betonte Güler. Es gehe darum, den Kommunen die Chance zu geben, eigene Schwerpunkte zu setzen. Im Rahmen des Modellprojekts "Einwanderung gestalten" gab es beispielsweise besondere Projekte, wie die Begleitung von Migranten in Bibliotheken. Ähnliche Einzelvorhaben sollten auch ab Juli 2020 in den Kommunen entstehen.
Die Kommunen könnten, aus diakonischer Sicht, mit ihren Partnern in den Netzwerken vor Ort am besten entscheiden, welcher Akteur für welche Aufgabe besonders geeignet sei, fügte Manfred Hoffmann an. In den Migrationsfachdiensten der Freien Wohlfahrt hätten sich der Austausch und das enge Zusammenarbeiten bereits bewährt. Er lud Serap Güler ein, im kommenden Jahr zwei Diakonische Werke zu besuchen, in denen Integrationsagenturen, Jugendmigrationsdienste und Migrationsberatung für Erwachsene unter einem Dach stattfinden.
Im Austausch bleiben: Die Referentinnen Christiane Grabe (links) und Susanna Thiel sprachen über ihre Arbeit.
Jungen Menschen Vorbilder geben
Nicht nur strategisch müsse Integration vorangetrieben werden, sondern auch symbolisch: Integrationserfolge müssten sichtbarer werden, so Güler. "Die Integration in Deutschland ist unterm Strich viel besser als ihr Ruf", sagte die Staatssekretärin. Junge Menschen bräuchten greifbare Vorbilder. Mit der Landeskampagne #IchDuWirNRW werden Menschen gezeigt, die angekommen sind. Die Porträtierten arbeiten unter anderem als Straßenbahnfahrer oder sind im öffentlichen Dienst als Polizisten angestellt. Außerdem will Güler mit der Kampagne für die Einbürgerung werben.
Die Integrationsagenturen der Freien Wohlfahrt hätten ebenfalls viele Geschichten von sogenannten "Local Heroes" – Menschen, die in Deutschland Fuß gefasst haben, sagte Referentin Christiane Grabe. Mit Aktionen vor Ort könnte die Kampagne auch von Seiten der Integrationsagenturen unterstützt werden.
Probleme lösen: Thomas Oelkers betonte gegenüber Serap Güler, dass die Diakonie RWL ein verlässlicher Partner sei.
Drei Millionen Euro für die Pflege von Migranten
Einige dieser "Local Heroes" arbeiten in der Pflege. Mehrsprachiges Pflegepersonal werde dringend gebraucht, betonte Güler. Das mehrsprachige Fachpersonal helfe Senioren mit Migrationshintergrund dabei, sich in den Alten- und Pflegeheimen wohlzufühlen und dort anzukommen. Durch die Fachleute mit multikulturellem Hintergrund würden in den Einrichtungen ganz selbstverständlich auch muslimische und andere Feiertage zusätzlich zu den christlichen gefeiert. Drei Millionen Euro würden für die Pflege von Migranten zur Verfügung gestellt. In dieser Woche sei der Integrationshaushalt verabschiedet worden, berichtete Serap Güler. Mit 110 Millionen Euro habe sich der Haushalt fast verdoppelt. "So viel Geld hatten wir noch nie", freute sich die Staatssekretärin. "Ich will kein Sonderprogramm. Stattdessen wollen wir eine Brücke zum Ministerium Arbeit, Gesundheit und Soziales schlagen", sagte Güler.
"Wir müssen früh ansetzen in Sachen Integration. Nicht erst, wenn die Leute in Pflege gehen", kommentierte Antonia Annoussi. Beide Seiten – Senioren ohne und mit Migrationserfahrung – müssten vorbereitet werden. Die Migrationsexperten und Staatssekretärin Güler einigten sich darauf, im engen Austausch zu bleiben. "Wir wollen nicht nur auf Schwierigkeiten und Probleme hinweisen, wir wollen der Partner sein, mit dem Probleme gelöst werden", betonte Thomas Oelkers zum Abschluss des Treffens.
Text und Fotos: Ann-Kristin Herbst