30. Mai 2018

Asylverfahren

Bamf-Skandal: Fließbandentscheide und die Folgen

Die Kritik an der Arbeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wird immer lauter. Sie hat gestern sogar den Innenausschuss des Bundestags beschäftigt. Unter dem Druck, Asylverfahren im Schnelldurchgang abzuarbeiten, habe sich das Bamf abgeschottet, kritisiert Diakonie RWL-Flüchtlingsexpertin Karin Asboe. Mit negativen Folgen für Flüchtlinge, Gerichte und die Verfahrensberatung.

Portrait

Karin Asboe

Seit Ende April bekannt wurde, dass eine leitende Mitarbeiterin des Bamf in Bremen unter Verdacht der "Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung" steht, verdichtet sich die Kritik an der Behörde. Die Medien sprechen vom Bamf-Skandal. Wie konnte es zu dieser Krise kommen?

Die Beschleunigung der Asylverfahren hatte für die Politik höchste Priorität. Von 600 Entscheidungen am Tag im Januar 2015 steigerte sich das Bamf bis Februar 2016 auf täglich 2.600. Weil die Behörde trotzdem noch mehr als 670.000 offene Asylfälle vor sich herschob, wurden Tausende neue Mitarbeiter eingestellt, aber die Einarbeitung vernachlässigt. Im Juni 2017 enthüllte ein Bericht, dass mehr als 2.500 Mitarbeiter keine Qualifizierungsmaßnahmen absolviert hatten.

Es fehlten auch qualifizierte Dolmetscher, so dass Übersetzungsfehler vorprogrammiert waren. Von den 5.000 Dolmetschern wurden letztes Jahr wieder 2.000 entlassen. Das Ergebnis sehen wir jetzt unter anderem an den vielen Gerichtsurteilen gegen Bamf-Entscheidungen.

Ihrer Ansicht nach ist es also versäumt worden, frühzeitig mehr Personal einzustellen und es gut zu qualifizieren. Mit dieser hohen Zahl an Asylanträgen hatte aber niemand gerechnet.

Es ist richtig, dass der starke Zustrom an Flüchtlingen nicht absehbar war. Doch viele Flüchtlingsexperten, darunter auch die Fachleute der Diakonie, haben schon 2006 in einem Memorandum darauf verwiesen, dass die Zahl der Asylbewerber wieder steigen wird und eine Verbesserung der Qualität bei Anhörungen und Entscheidungen gefordert.

Wir haben das gleiche Szenario mit dem Bamf bereits Anfang der 1990er Jahre erlebt, als Flüchtlinge aus dem Balkan zu uns kamen. Auch damals hatte die Behörde viel zu wenig Mitarbeiter und hat schnell fachfremdes Personal eingestellt und kaum geschult. Damals entstand aus gutem Grund unsere Verfahrensberatung, um die Asylsuchenden in den geplant schnellen und komplizierten Verfahren zu beraten. Leider ist aus dieser Krise nichts gelernt worden und wir erleben sie heute wieder.

Der Chef des Gesamtpersonalrates beim Bamf fordert inzwischen öffentlich eine "Entschleunigung der Asylverfahren“. Halten Sie das unter diesem Innenminister für realistisch?

Ich denke, es führt kein Weg an einer Entschleunigung vorbei. Wenn Asylentscheidungen auf einer fundierten Grundlage getroffen werden, landen weniger Fälle vor Gericht. Derzeit sind noch mehr als 360.000 Verfahren bei den Verwaltungsgerichten anhängig. Das kostet Zeit und Geld. Zudem sind viele Mitarbeitende am Anschlag. Sie kritisieren selbst, dass dringend notwendige Schulungen abgesagt wurden, um mehr Zeit für Entscheidungen zu haben. Auch die Mitarbeiter fordern, man müsse künftig der Qualität den Vorrang geben.

Lupe mit Stempeln "abgelehnt" oder "genehmigt"

Entscheidungen hinter verschlossenen Türen: Das Bamf ist für Verfahrensberater immer schwerer zu erreichen.

Eine weitere Konsequenz des enormen Drucks scheint eine Abschottung des Bamfs zu sein. Darüber klagen die Verfahrensberater der Diakonie. Was genau ist da los?

Unsere Verfahrensberater, die Flüchtlinge in den Landeseinrichtungen in Asylfragen betreuen, erreichen die Außenstellen des Bamf schon seit einiger Zeit sehr schlecht. Oft geht niemand ans Telefon und Mails landen in einem sogenannten "Service-Referat" in der Zentrale in Nürnberg. Bis von dort eine Antwort kommt, etwa zum aktuellen Stand eines Asylverfahrens, kann es lange dauern.

Wenn ein Entscheider in einer Außenstelle bestimmte Unterlagen anfordert, zum Beispiel ein ärztliches Attest, erreicht es ihn zu spät oder geht sogar ganz verloren. Für die Flüchtlinge kann das die Ablehnung ihres Antrages bedeuten, weil sie ihrer Mitwirkungspflicht angeblich nicht nachgekommen sind. Wenn sie dagegen Einspruch erheben, weil sie die Dokumente ja eingereicht haben, landen auch diese Fälle unter Umständen vor Gericht.

War es früher einfacher für Verfahrens- und Flüchtlingsberater, einen direkten Draht zu den Bamf-Mitarbeitern herzustellen?

Die starke Zentralisierung des Bamf hat auf jeden Fall zu einer Anonymisierung geführt. Es werden immer mehr bürokratische Hürden eingebaut. So müssen unsere Verfahrensberater seit einigen Wochen sogar eine Ausweiskopie ihres Personalausweises oder Passes einreichen, wenn sie eine Auskunft zum Asylverfahren eines Flüchtlings erhalten möchten, den sie betreuen. Dabei werden sie alle vom NRW-Landesprogramm gefördert und sind berechtigt, eine Auskunft zu erhalten. So wird nicht nur Misstrauen geschürt. Ich frage mich auch, ob dieses Verfahren mit dem persönlichen Datenschutz vereinbar ist.

Sie haben 1980 bei der Diakonie als "Beraterin für asylsuchende Ausländer" angefangen und gehen nun am 15. Juni in den Ruhestand. Welche Bilanz ziehen sie nach 38 Jahren Flüchtlingsarbeit?

Es ist eine gemischte Bilanz. Einerseits gab es damals in NRW gerade mal zehn Flüchtlingsberater. Heute haben wir allein in der Verfahrensberatung in den Landeseinrichtungen 138 Stellen. Dazu kommen rund 230 Mitarbeiter in den regionalen Flüchtlingsberatungsstellen. Ich habe Netzwerke aufgebaut, zum Beispiel 1986 den Flüchtlingsrat NRW mitgegründet. Eine weitere Aufgabe sah ich darin, Flüchtlingsberater und Mitarbeiter der Ausländerbehörden und des Bamf zusammenzubringen. Unsere Behördentagungen und Bundesamtstagungen waren schnell ein Erfolg. Darauf bin ich stolz.

Andererseits funktioniert dieses Zusammenspiel, der kurze und schnelle Draht zwischen Bamf und Beratern, in den letzten drei Jahren immer schlechter. Nach einer kurzen Zeit der Willkommenskultur erleben wir wieder mehr Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Das bedrückt mich. Die Flüchtlingshilfe ist eine Sisyphos-Arbeit. Viele Jahre habe ich den Stein hochgerollt. Das überlasse ich jetzt guten Gewissens anderen.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

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