3. März 2016

Flüchtlingspolitik

Chaos in Asylbehörden - Zu viele unregistrierte Flüchtlinge

Bevor Flüchtlinge in die Kommunen verteilt werden, sollten sie eigentlich ihren Asylantrag gestellt haben. Doch in den Städten Nordrhein-Westfalens warten noch mindestens 100.000 Menschen darauf, durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registriert zu werden. Das Chaos in den Behörden gehe zu Lasten der Asylsuchenden und der Kommunen, kritisiert der Flüchtlingsexperte der Diakonie RWL, Dietrich Eckeberg.

Portrait

Diakonie RWL-Flüchtlingsexperte Dietrich Eckeberg wirbt dafür, neue Wege bei der Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden zu erproben.

Beim Bundesamt stapelt sich die Zahl der unerledigten Asylanträge. Hinzu kommen etwa 400.000 Asylsuchende, die bereits in den Kommunen leben, beim BAMF aber noch nicht bekannt sind. Dabei verspricht die Politik seit Monaten schnellere Asylverfahren. Was ist da los?

Das fragen sich die Flüchtlingsberater der Diakonie auch. Das Behördenchaos bei der Entgegenahme und Bearbeitung von Asylantragen nimmt kein Ende, obwohl mehr Personal eingestellt wurde und die Politik immer wieder betont, dass alles getan werden muss, um Asylanträge schneller zu bearbeiten. Unsere Flüchtlingsberatungsstellen in den Kommunen drängen seit mehr als einem Jahr darauf, dass das BAMF endlich die Asylanträge dieser Geflüchteten zunächst einmal überhaupt entgegennimmt. Uns ist aber bis heute leider kein Verfahren des BAMF zur Nachregistrierung bekannt. In den Kommunen sitzen Flüchtlinge, die seit durchschnittlich zehn Monaten in Deutschland sind, und immer noch keinen Asylantrag stellen konnten. Eigentlich sollen alle Flüchtlinge direkt nach Ihrer Ankunft in der Zeit der Erstaufnahme ihren Asylantrag stellen und erst dann auf die Kommunen verteilt werden. Doch allein in NRW gibt es rund 100.000 Menschen, denen dazu bisher gar keine Möglichkeit gegeben wurde.

Wie gehen die Beratungsstellen damit um?

Wir haben unter unseren kommunalen Flüchtlingsberatungsstellen zum Thema der fehlenden Nachregistrierung durch das BAMF eine Umfrage gemacht. Alle kennen das Problem und viele versuchen, eine Nachregistrierung zu erreichen. Manche Flüchtlingsberatungsstellen haben die betroffenen Flüchtlinge in einen Bus gesetzt und sind mit ihnen zu den Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gefahren. Aber sie wurden vom BAMF oft abgewiesen oder darauf verwiesen, dass es sich bei der Antragstellung um einen "Regelvorgang" handele, das BAMF in die Kommunen komme und sie warten müssten. Passiert ist dann nichts. Andere Berater telefonieren sich die Finger wund, kommen aber nicht an die verantwortlichen Mitarbeiter heran. Einige fanden in Einzelfällen eine Lösung über die Zentrale des BAMF in Nürnberg. Und schließlich gibt es Flüchtlinge und auch noch Beratungsstellen, die sich inzwischen überlegen, über Rechtsanwälte Untätigkeitsklagen gegen das Bundesamt einzureichen.

Welche Folgen hat es für die Flüchtlinge, wenn sie so lange warten müssen, bis sie ihren Asylantrag stellen können?

Die Flüchtlinge können ihr Leben nicht gestalten. Sie haben keinen Zugang zu den Sprachkursen Deutsch. Der Zugang zu beruflicher Ausbildung und Erwerbsarbeit ist grundlegend behindert. Arbeitgeber können diese Menschen nicht beschäftigen. Flüchtlinge etwa aus Syrien verlieren faktisch ihr Recht auf Familiennachzug, nur weil das BAMF sie weder registriert noch ihr Asylgesuch anhört.

Flüchtling sitzt im Büro einer Beraterin

Flüchtlinge warten viel zu lange, bis sie einen Asylantrag stellen können (Foto: Freie Wohlfahrtspflege NRW)

Ohne die "Aufenthaltsgestattung", die Flüchtlinge beim Stellen des Asylgesuches vom BAMF erhalten, werden die Asylsuchenden zum Nichtstun verurteilt. Das ist inhuman und es ist auch gefährlich. In der Bevölkerung entsteht dann leicht der Eindruck von "faulen und integrationsunwilligen Flüchtlingen", was Vorurteile schürt. Und die Kommunen zahlen die Zeche. Denn die Unterkünfte sind überfüllt mit Menschen ohne klare Perspektiven. Die Kommunen müssen diese Menschen unterbringen. Und die Sozialhilfe für nicht registrierte Flüchtlinge zahlen Land und Kommune, nicht der Bund.

Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Rückstau an unerledigten und noch gar nicht erfassten Asylanträgen in den Griff bekommt?

Nötig wäre, dass das BAMF endlich ein verlässliches Verfahren zur nachträglichen Registrierung gestaltet und mit den Landesinnenministerien abstimmt. Ein solches Verfahren sollte im Internet einsehbar und jeder Ausländerbehörde in den Kommunen bekannt sein. Und natürlich sind die Flüchtlinge selbst und die Flüchtlingsberatungsstellen zu informieren. Schließlich geht es um die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Grundrechtes auf Asyl. Die Zeit drängt. Denn die Geflüchteten verlieren durch das Chaos beim BAMF ihre Rechte. Eine pragmatische Lösung wäre, die Nachregistrierung über die Ausländerbehörden umzusetzen. Das müsste dann aber der Bund bezahlen.

In NRW soll die Antragstellung ja nun mit der Einrichtung einer zentralen Registrierungsstelle in Bochum schneller und effektiver werden. Mitarbeiter des Landes NRW und des BAMF werden dort laut einer Presseerklärung rund um die Uhr arbeiten. Ist damit das Problem gelöst?

Nein. Ich bin da skeptisch. In NRW kommen täglich rund 2.000 Flüchtlinge an, die bisher in fünf Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes verteilt werden. Nun sollen alle mit Bussen zu dieser neuen Registrierungsstelle hin und wieder in ihre Unterkunft zurückgefahren werden, denn Übernachtungsmöglichkeiten sind dort nicht vorgesehen. Ich frage mich, ob dieser enorme logistische Aufwand in Zeiten des elektronischen Datenaustauschs wirklich nötig ist. Eigentlich müsste doch die Akte fahren und nicht der Mensch! Außerdem birgt eine solche zentrale Stelle die Gefahr, dass sie bei der kleinsten Epidemie, die aufgrund von Krankheiten ja leicht ausbrechen kann, geschlossen werden muss.

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