Zentrum für Seltene Erkrankungen Bethel
Die 12-jährige Bercem sitzt im Rollstuhl und kann schlecht atmen. Sie leidet unter "Muskeldystrophie Typ Ullrich", einer seltenen Erkrankung, von der nicht einmal neun von einer Million Menschen betroffen sind. Nachts muss Bercem eine Maske tragen, die ihre Atmung unterstützt. Um bei einer Krise sofort eingreifen zu können, ist Tag und Nacht jemand bei ihr. Das Mädchen aus Bielefeld hat häufig eine Lungenentzündung und muss sich dann ins Kinderzentrum des Evangelischen Klinikums Bethel begeben.
"Hab ich Lungenentzündung, dann will ich nur Ruhe, Ruhe, Ruhe", sagt sie. Diese Ruhe bekommt Bercem in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Bethel. Sie ist nur eine von vielen Patientinnen und Patienten, die Professor Eckard Hamelmann, Direktor der Klinik, regelmäßig sieht. Jede Woche erreichen ihn als Sprecher des "Zentrums für Seltene Erkrankungen"des Klinikums etwa zwei bis vier Anfragen von Betroffenen. Weil rund vier Millionen Menschen in Deutschland unter den etwa 8.000 Seltenen Erkrankungen leiden, die es gibt, bezeichnet der Mediziner sie als eine Art "Volkskrankheit". Laut Definition der EU gilt eine Krankheit dann als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.
Die zwölfjährige Bercem leidet unter der Muskeldystrophie Typ Ullrich. Sie wird regelmäßig im Klinikum Bethel behandelt.
Langer Leidensweg bis zur Diagnose
Bercem ist bei Eckard Hamelmann, der sich darauf spezialisiert hat, gut aufgehoben. Doch grundsätzlich erschwert die Seltenheit der einzelnen Erkrankungen die medizinische Versorgung betroffener Patientinnen und Patienten. Aufgrund der spärlichen Untersuchungsdaten und mangelnder Erfahrung gelingt eine genaue Diagnose oft erst spät. Entsprechend verzögert setzt die Therapie ein, die manchmal auch zu unspezifisch ist. Die Möglichkeiten zur gezielten Prävention, Beratung oder Behandlung werden häufig verpasst oder sind noch nicht ausreichend erforscht oder belegt. Die Patientinnen und Patienten haben zu oft einen langen Leidensweg zu bewältigen, bis sie eine Diagnose bekommen.
Viele, die sich in Bethel melden, sind schon bei zahlreichen Ärzten gewesen. "Wir versuchen, möglichst innerhalb unseres Zentrums Lösungen zu finden", erläutert Hamelmann. "Doch wenn das nicht geht, verweisen wir auf externe Kapazitäten. Wir sagen nicht: Wir können alles, sondern: Wir wissen, wo jemand ist, der das gerade Erforderliche gut kann. Diese Adresse können wir Patienten dann geben." Das Zentrum in Bethel gehört einem Netzwerk der bundesweit 30 Zentren für Seltene Erkrankungen an.
Teil des "Universitätsklinikums OWL der Universität Bielefeld": Das Klinikum Bielefeld der Stadt Bielefeld und der Stadt Halle/ Westf. kooperiert mit dem Ev. Klinikum Bethel und dem Klinikum Lippe bei der Ausbildung der Medizinstudierenden.
Hoher Anspruch an die Forschung
Große Hoffnungen verbindet der Professor nun mit dem neuen Universitätsklinikum OWL, dem der Campus Bielefeld-Bethel mit dem Evangelischen Klinikum Bethel und dem Krankenhaus Mara angehört. "Das Ziel für das Jahr 2022 ist es, ein universitäres Kompetenzzentrum der Level-A-Kategorie und damit der höchsten Versorgungsstufe aufzubauen", betont er.
Neue Professuren für Physiologie, Biochemie und Humangenetik sollen entstehen. "Sie sollen Hand in Hand mit klinischer Forschung und Grundlagenforschung bei der Diagnostik und Therapie von seltenen und neuen seltenen Krankheiten mithelfen können", sagt Hamelmann. Auf bestmöglichem Niveau soll das geschehen, der Anspruch ist hoch. Eckard Hamelmann formuliert es so: "Wir wollen sozusagen in der Bundesliga mitspielen."
Wer sich auf Seltene Erkrankungen spezialisiert, muss immer mit spitzem Stift rechnen. Für die Forschung ist Bethel auf Drittmittel angewiesen.
Finanzielle Unterstützung nötig
Finanziell lukrativ ist eine Spezialisierung auf Seltene Erkrankungen nicht. Denn für Anamnese und Diagnostik muss ein vergleichsweise sehr hoher zeitlicher Aufwand veranschlagt werden. Es bedarf zudem großer Expertise, um herauszufinden, welche individuellen Möglichkeiten der Therapie es für Patienten geben könnte. "Deshalb lässt sich damit kein Geld verdienen", bestätigt Hamelmann. Das Evangelische Klinikum Bethel setzt dennoch auf das Zentrum. Was dort geschieht, entspricht schließlich dem ursprünglichen Bethel-Gedanken: Menschen zu helfen.
Dafür wird das Zentrum anderweitige finanzielle Unterstützung benötigen und sich um sogenannte Drittmittel bemühen. Das sind Gelder, die zur Förderung von Forschung und Entwicklung sowie des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Lehre zusätzlich zum regulären Haushalt von öffentlichen oder privaten Stellen eingeworben werden können. Möglichst viele Drittmittel sollen künftig in das Zentrum fließen. Damit Menschen wie Bercem und anderen mit Seltenen Erkrankungen künftig bestmöglich geholfen werden kann.
Text: Philipp Kreutzer/bethel, Redaktion: Sabine Damaschke, Fotos: Philipp Kreutzer/bethel, Klinikum Bielefeld und pixabay.
NRW-Netzwerk der Zentren für seltene Erkrankungen
Krankenhaus und Gesundheit
Zentrum für seltene Erkrankungen
Vor drei Jahren ist am Evangelischen Klinikum Bethel das "Zentrum für Seltene Erkrankungen Bielefeld" entstanden. Es handelt sich dabei nicht um eine eigene Abteilung, sondern ein virtuelles Kompetenznetzwerk, in dem Expertisen aus sämtlichen Bereichen des Klinikums Bethel zusammenfließen. Das Zentrum selbst wiederum gehört dem Netzwerk der bundesweit 30 "Zentren für Seltene Erkrankungen" an. Professor Eckard Hamelmann ist Sprecher des Zentrums in Bethel.