Umfrage der Diakonie RWL
"Wenn ich eine Zeitarbeiterin in unserem Pflegedienst beschäftige, dann kostet diese Person fast das Doppelte – denn die Verleihfirma verdient kräftig mit." Oder: "Zum Teil werben Zeitarbeitsfirmen aggressiv um meine Mitarbeitenden: mit 3.000 Euro Handgeld, wenn sie wechseln, festen Arbeitszeiten ohne Schicht- und Wochenenddienste plus Dienstwagen." Und: "Oft bezahlen Zeitarbeitsfirmen über Tarif, sie sind damit interessant für Arbeitnehmer*innen und binden wertvolle Fachkräfte, die für unsere KiTa-Teams nicht mehr zur Verfügung stehen." Solche und ähnliche Rückmeldungen hat die Diakonie RWL von vielen ihrer Träger bekommen. Zeitarbeit nimmt in der sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen erheblich zu. Das hat eine Online-Befragung der Diakonie RWL unter ihren rund 5.000 Mitgliedseinrichtungen ergeben: Insgesamt 510 Fragebögen haben die Träger aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland beantwortet. Demnach tritt Zeitarbeit in jeder vierten Einrichtung auf, Tendenz steigend. Hier stellen wir die fünf wichtigsten Erkenntnisse vor.
Weil Personal fehlt, müssen in vielen Einrichtungen Zeitarbeitskräfte einspringen.
1. Die Herausforderung: Zu wenige Arbeitskräfte für zu viel Arbeit
Ursprünglich war Zeitarbeit dafür gedacht, den Betrieb in Belastungsspitzen aufrechtzuerhalten. Kam das Stammpersonal wegen temporärer Arbeitsverdichtung oder Krankheitsfällen an seine Grenzen, konnte flexibel und für einen kurzen Zeitraum Fachpersonal aus einer Verleihfirma hinzugebucht werden. Das hat sich geändert. Diakonische Träger melden seit Längerem hohen Bedarf an Arbeitskräften an. Offene Stellen bleiben länger vakant, teilweise können Pflegeeinrichtungen wegen des Personalmangels nicht alle Betten belegen. Ambulante Pflegedienste müssen Routen absagen, KiTas verkürzen Öffnungszeiten oder müssen tageweise Gruppen schließen. Da Zeitarbeitsfirmen hier flexibel unterstützen, folgt aus dem Arbeitskraftmangel: Zeitarbeit nimmt zu.
Wie stark, zeigt die Umfrage der Diakonie RWL: Von einer Verdopplung in den vergangenen drei Jahren berichten Krankenhäuser, Träger der stationären Altenhilfe und der KiTa-Bereich. Von Steigerungen um 150 Prozent berichten Träger der ambulanten Pflege sowie Wohnheime und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.
"Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine vertrauensvolle Bindung an das pädagogische Personal wichtig ist, sehen wir Zeitarbeit sehr kritisch", sagt Kirsten Schwenke.
2. Der Kompromiss: Zeitarbeit als Zwischenlösung
Was als Überbrückung in Arbeitsspitzen gedacht war, wird mehr und mehr zum Regelfall. "Ziel aller politischen Anstrengungen muss es sein, die Daseinsvorsorge im pädagogischen, pflegerischen und Gesundheitsbereich so zu finanzieren, dass die reguläre Beschäftigung wieder attraktiver wird", fordert Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL. Dabei geht es oft nicht nur um mehr Geld – sondern um bessere Arbeitsbedingungen wie sichere Dienstpläne mit geregeltem Frei und mehr Zeit für pädagogische oder pflegerische Handlungen.
Aktuell tritt Zeitarbeit in der Umfrage der Diakonie RWL bei zwei Dritteln der beantworteten Fragebögen von Krankenhäusern und in der stationären Altenpflege auf. Zwei von fünf Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nutzen Zeitarbeit. Auffällig ist, dass auch Bereiche betroffen sind, bei denen dies früher undenkbar war. So greift fast jede fünfte KiTa auf Zeitarbeiter*innen zurück sowie jede zehnte Einrichtung der stationären Jugendhilfe. "Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine vertrauensvolle Bindung an das pädagogische Personal wichtig ist, sehen wir Zeitarbeit sehr kritisch", sagt Kirsten Schwenke.
Die Mitglieder wurden zudem gefragt, ob sie mit Zeitarbeitenden eher Lücken bei Hilfs- oder bei Fachkräften füllen. Dabei ergibt sich in der stationären und ambulanten Pflege sowie bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen ein ausgewogenes Bild. In den Krankenhäusern, KiTas und erzieherischen Hilfen dominieren hingegen die zugebuchten Fachkräfte. Nur bei den sozialen Nothilfen wie der Wohnungsnotfallhilfe und bei den Offenen Ganztagsschulen (OGS) werden überwiegend Hilfs- und Ergänzungskräfte hinzugebucht.
In der stationären Altenpflege werden häufig Zeitarbeitende eingesetzt.
3. Das Problem: Träger bleiben auf den hohen Kosten für Zeitarbeit sitzen
Ein großes Problem sind die hohen Kosten, die mit jeder hinzu gebuchten Arbeitskraft einhergehen. Diese kosten zwischen 20 bis 50 Prozent mehr als das Arbeitgeberbrutto bei einer Festanstellung. "Eine Pflegefachkraft mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient bei der Diakonie ohne Schicht- und Wochenendzuschläge etwa 48.000 Euro im Jahr", sagt Kirsten Schwenke. Für eine vergleichbare Zeitarbeitskraft müssten die Betriebe zwischen 60.000 und 85.000 Euro bezahlen. "Diese Mehrkosten bekommen unsere Träger von den Pflegekassen nicht refinanziert." Je nach Größe des Trägers können sich die offenen Beträge von mehreren Hunderttausend Euro auf bis zu einstelligen Millionenbeträgen summieren.
Der Geschäftsführer eines Altenpflegeheims berichtet: "Ich habe einen Kollegen an eine Zeitarbeitsfirma verloren. Direkt, nachdem er bei uns ausgestiegen war, konnte ich ihn wieder für unser Team buchen – allerdings für das eineinhalbfache des Geldes, das ich für ihn als unmittelbarer Arbeitgeber gezahlt hatte. Auf diesen Kosten bleibe ich sitzen. Zeitarbeit ist teuer und schwächt uns."
4. Die gesellschaftliche Frage: Geld wird dem Sozialsystem entzogen
Zusätzlich zu diesem Problem weist Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke noch auf einen weiteren Punkt hin: "Die Politik muss die Frage beantworten, ob Steuergeld sowie Geld der Kranken- und Pflegekassen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gedacht ist, in diesen Dimensionen an nicht-gemeinnützige Privatfirmen überwiesen werden soll." Denn wenn jährlich Millionen Euro dem Sozialsystem entzogen werden, verlassen diese nicht nur den regionalen Wirtschaftskreislauf, sondern verbleiben als Gewinne bei Investoren. "Dieses Geld fehlt in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, um unsere Arbeit zukunftssicher aufzustellen – etwa bei der Digitalisierung oder Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels." Das schade langfristig der Allgemeinheit.
Ein Kompromiss könnte sein: Die Kosten deckeln, damit Forderungen der Zeitarbeitsfirmen nicht in Wucher ausarten.
5. Die Lösungen: Zeitarbeit regulieren und Regelsysteme stärken
Solange Einrichtungen auf Zeitarbeit angewiesen sind, muss diese refinanziert werden. Hilfreich wäre, die Kosten zu deckeln, damit Forderungen der Zeitarbeitsfirmen nicht in Wucher ausarten. Als Orientierung könnten die Stundensätze dienen, die die Diakonie ihrem eigenen Personal zahlt und die im Branchenvergleich stets mit an der Spitze stehen. Auch trägereigene Personalpools sollten ermöglicht und refinanziert werden. Seit vielen Jahren machen die Unikliniken damit sehr gute Erfahrungen.
Wünschen sich Zeitarbeiter*innen wieder einen regelhaften Job in einem festen Team, dann sollte dies so leicht wie möglich gestaltet werden: Verträge, die wie bisher Ablösesummen oder Karenzzeiten vorschreiben, sollten verboten werden.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich mit Cai-Nicolas Ziegler, Geschäftsführer einer mit 60.000 Mitarbeitenden großen Zeitarbeitsfirma im Medizinwesen, ein Branchenvertreter für eine regulierte Zeitarbeit ausgesprochen hat. "Die Politik muss verhindern, dass die Leiharbeit in der Pflege überhandnimmt", sagte er dem Evangelischen Pressedienst Mitte März. Ziegler schlägt vor, die Zeit, die Leiharbeiter*innen im selben Betrieb beschäftigt werden dürfen – derzeit sind das 18 Monate – zu verkürzen. "Die Politik sollte unterbinden, dass aus einer Klinik abgeworbene Mitarbeiter dort wieder unmittelbar von Leiharbeitsfirmen eingesetzt werden können", fordert er.
Auf einen wichtigen Aspekt, den die Landesregierungen selbst regeln könnten, weisen diakonische Träger aus der stationären Pflege hin: "Wir müssen uns mit einer Umlage an der Ausbildung der Pflegekräfte beteiligen. Das finden wir richtig und das machen wir gern. Zeitarbeitsfirmen beteiligen sich daran nicht, werben dann aber die von uns ausgebildeten Pflegekräfte ab – das ist nicht gerecht."
In Richtung Bundesregierung schicken viele diakonische Träger eine klare Bitte: "Wir können dem Arbeitskräftemangel nur mit Zuwanderung begegnen. Die Zugänge zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt müssen dringend erleichtert werden."
Für RWL-Vorständin Kirsten Schwenke ist das Fazit aus der Mitgliederbefragung klar: "Auf absehbare Zeit werden viele Träger auf Zeitarbeit angewiesen sein, um unseren Klient*innen und Bewohner*innen umfassend helfen zu können. Gemeinsam mit den politischen Entscheider*innen müssen wir uns aber darüber verständigen, wie unsere Sozialsysteme so gestärkt werden, dass Zeitarbeit unattraktiver wird. Sie muss sinnvoll so gesteuert werden, dass sie unseren Mitgliedern hilft, auch weiterhin Belastungsspitzen abzudecken. Und sie muss so bezahlt werden, dass ihnen Luft zum Atmen bleibt."
Text: Franz Werfel, Fotos: Andreas Endermann/Diakonie RWL, LAG FW NRW, Shutterstock