Pflege für Menschen mit Demenz
Orange als Farbe der Lebensfreude - Chefarzt Christian Berg geht mit einem Pfleger über die Station "Vitalis".
Die Station "Vitalis" im Evangelischen Krankenhaus Mettmann ist kaum zu verfehlen: Statt steriler Klinik-Atmosphäre leuchten die Wände hier in Orange. "Das ist die Farbe der Lebensfreude. Und aus Studien wissen wir, dass sie aktivierend und stresslindernd wirkt", sagt der Ärztliche Direktor und Chefarzt Innere Medizin, Christian Berg.
Seit Oktober vergangenen Jahres werden auf der Station 15 Patienten mit Demenz behandelt, die wegen unterschiedlicher internistischer Diagnosen wie zum Beispiel Diabetes, Lungenentzündung oder Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurden. "Wir haben dieses Projekt ins Leben gerufen, weil wir gesehen haben, dass wir uns besonders um Patienten mit der Nebendiagnose Demenz kümmern müssen", erklärt Berg. "Mit dem Modellprojekt sind wir Vorreiter, weil wir das in einem normalen Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung etabliert haben. Das gibt es sonst nicht."
Zeit ist Geld in den Kliniken. Demenzpatienten stören oft die organisatorischen Abläufe. (Foto: pixabay)
Demenzpatienten kosten mehr Zeit
Dabei werden immer mehr Menschen mit Demenz in deutschen Kliniken behandelt: Insgesamt sind es jährlich 1,5 bis zwei Millionen. Davon wurden laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr nur 20.000 aufgrund der Diagnose Demenz in eine Klinik gebracht.
Für die Krankenhäuser, die oft ohnehin mit einer knappen Personaldecke arbeiten müssen, ist das ein zunehmendes Problem. "Diese Patienten stören im Krankenhaus das System", beobachtet Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEVK). Denn Demenzkranke brauchten mehr Zeit, man müsse sie beruhigen und alles langsamer erklären. Die organisatorischen Abläufe in den meisten Krankenhäusern ließen dafür aber keine Zeit.
Hinzu kommt: Demenzpatienten benötigten gerade zu den Tageszeiten mehr Aufmerksamkeit, wenn weniger Pflegekräfte da seien, nämlich nachmittags und abends, weiß Jessica Llerandi Pulido, Kaufmännische Leiterin des Evangelischen Krankenhauses Mettmann. "Das kann das Personal nicht schultern." Nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Pflegerinnen und Pfleger sei diese Situation belastend.
Freundlich und hell, aber auch sicher: Die Türen sind auf der Station als Bücherregale "getarnt", damit Demenzpatienten nicht weglaufen können.
Farbe und Blumen zur besseren Orientierung
Im Evangelischen Krankenhaus Mettmann können Demenzkranke mit internistischen Diagnosen deshalb nun auf der Station "Vitalis" versorgt werden. Die Station ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Sie ist zum einen so eingerichtet, dass demenzkranke Patienten sich besser orientieren können. Nicht nur der hohe Wiedererkennungswert der leuchtend orangen Flure trägt dazu bei. Hier haben die Zimmer nicht nur Nummern, sondern sind auch durch Blumen gekennzeichnet, weil sich Demenzkranke daran lange erinnern können.
Ein besonderes Problem in Krankenhäusern ist, dass Menschen mit Demenz oft weglaufen und dann nicht mehr wissen, wo sie sind. In der Station "Vitalis" sind deshalb Türen mit Hilfe von Fotofolien als Bücherregale "getarnt". Niederflurbetten verhindern Stürze unruhiger Patienten und ein schattenfreies Beleuchtungssystem erleichtert das Sehen.
Spielen, Singen, Kaffeetrinken - Im Gemeinschaftsraum der Station ist das möglich.
Betreuung durch Seniorenbegleiterinnen
Die Unruhe vieler Patienten in den Nachmittag- und Abendstunden wird auf der Station „Vitalis“ mit Hilfe von Seniorenalltagsbegleiterinnen aufgefangen. Sie machen Gesellschaftsspiele, singen, lesen vor oder trinken im Gemeinschaftsraum einen Kaffee mit ihnen.
Anders als auf gewöhnlichen internistischen Stationen kümmern sich außerdem vier Neurologen und Psychiater schwerpunktmäßig um die Patienten. Zusätzlich zur medizinischen Behandlung kommen Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden zu den alten Menschen. Zudem arbeiten auf der Station Pfleger mit gerontopsychiatrischer Zusatzausbildung.
"Es ist kaum zu glauben, wie positiv sich das auswirkt", sagt Llerandi Pulido. Normalerweise hätten Demenzpatienten eine Verweildauer im Krankenhaus, die 30 Prozent über dem Durchschnitt liege, weil es oft zu Komplikationen komme. "Bei Patienten auf unserer Demenzstation haben wir dagegen eine durchschnittliche Verweildauer."
Chefarzt Christian Berg ist "verhalten optimistisch", dass sein Modellprojekt eine Zukunft hat.
Hilfsangebote nach der Entlassung
Hinzu kommen besondere Angebote, um nach der Entlassung den sogenannten "Drehtür-Effekt" zu verhindern. Denn oft verkraften Demenzpatienten einen Krankenhaus-Aufenthalt schlecht oder die Pflege im Anschluss funktioniert nicht gut, sodass sie schon bald wieder eingeliefert werden müssen. Deshalb kooperierten die Ärzte im Evangelischen Krankenhaus Mettmann mit speziellen Praxen, um den Übergang in die Pflegeheime besser zu organisieren. Für Angehörige, die Demenzkranke zu Hause pflegen, gibt es eine Sprechstunde, um Hilfen für die Zeit nach der Entlassung zu organisieren.
Finanzieren muss die Klinik ihr außergewöhnliches Angebot derzeit noch selbst. "Obwohl die Krankenkassen und das Land NRW das Projekt toll finden, bleiben die Geldhähne zu", erzählt Berg. "Wir machen das als kirchlicher Träger dennoch aus einer gewissen Überzeugung heraus." Das Mobiliar der Station in heller Holzoptik wurde vom Förderverein des Krankenhauses bezahlt. Das Farbkonzept der Klinik für Demenzpatienten hat die Diakonie RWL finanziell unterstützt. Auch die Alzheimer Gesellschaft und die "Grünen Damen" des Krankenhauses haben Geld beigesteuert.
Für den Chefarzt steht allerdings fest: "Auf Dauer kann das Ganze nur weiter existieren, wenn wir die Kassen überzeugen, dass das finanziert werden muss." Berg zeigt sich vorsichtig optimistisch. "Derzeit laufen Gespräche."
Text: Claudia Rometsch, Fotos: Evangelisches Krankenhaus Mettmann