24. August 2023

Krankenhausreform

Druck statt Wertschätzung

Die Eckpunkte für eine Krankenhausreform stehen. Das entsprechende Gesetz soll zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Die konkrete Umsetzung in den Kliniken vor Ort soll danach schrittweise anlaufen. Doch noch gebe es viele Fragezeichen, klagen Verantwortliche aus dem Krankenhauswesen.

Eine erschöpfte Pflegekraft lehnt sich an die Wand.

Mitarbeitende in Krankenhäusern klagen häufig über mangelnde Wertschätzung.

Das Gesundheitsministerium hat eine Krankenhausreform angekündigt und mit ihr eine "Transparenz-Offensive", die im Januar 2024 starten soll. In vielen Krankenhäusern wachsen Unverständnis und Verärgerung. Der Wunsch nach einem Dialog wird laut – auch bei Ralf Wenzel im Luisenhospital in Aachen und Franz Hafner im Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg.

Herr Wenzel, Herr Hafner, wie geht es Ihnen und Ihren Kliniken? Welche Stimmung nehmen Sie wahr?

Ralf Wenzel Wir arbeiten mit Menschen. Jeden Tag. Und die aktuelle Diskussion signalisiert uns vor allem eines: fehlende Wertschätzung. Uns wird mangelnde Qualität vorgeworfen. Die Botschaft der Politik ist: Krankenhäuser behandeln ihre Patienten nur aus Geldgründen. Das ist das Gegenteil dessen, was uns hier jeden Tag antreibt. Die Politik setzt auf Druck statt auf Dialog. Und dieser Druck führt am Ende vor allem zu Überforderung: Das gilt für Mitarbeitende genauso wie für Führungskräfte. 

Franz Hafner Bei unseren Mitarbeitenden nehme ich eine große Enttäuschung wahr. Während der Pandemie wurden sie als Helden gefeiert, sie haben in einer Krisensituation großen Einsatz gezeigt. Und jetzt scheinen uns Politik und Bevölkerung vergessen zu haben. Viele haben gedacht, wir kehren nach der Pandemie in unseren Alltag zurück. Aber es ist eine andere Welt mit neuen Herausforderungen. Und gleichzeitig scheint nun eine leise Aufbruchsstimmung aufzukommen und die Überzeugung: Wir schaffen das! Es ist unsere Aufgabe als Geschäftsführung, die Mitarbeitenden mitzunehmen und sie gut zu informieren.

Franz Hafner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ev. Klinikum Niederrhein gGmbH.

Franz Hafner ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Ev. Klinikum Niederrhein gGmbH und sagt: "Wir haben fünf Standorte und sind mit unseren Strukturen gut aufgestellt."

Und wie geht es Ihnen wirtschaftlich?

Hafner Ich würde vorsichtig sagen: Wir haben keine Existenzängste. Das hat auch damit zu tun, dass wir fünf Standorte haben und mit unseren Strukturen gut aufgestellt sind. Aber natürlich können wir auch keinen unendlichen Budgetverlust hinnehmen. Deswegen bleibt der Blick nach vorne ein Blick in die Glaskugel.

Wenzel Wirtschaftlich geht es uns gut, weil wir schon vor dieser Entwicklung gezwungen waren, unsere Strukturen umzustellen und wirtschaftlich zu arbeiten. Aber die aktuelle Situation trifft uns hart: Die Sach- und Personalkosten sind um acht Prozent gestiegen. Krankenhäuer können aber nicht einfach Preise erhöhen. Die reguläre, gesetzlich regulierte Preissteigerung betrug im vergangenen Jahr 4,2 Prozent. Das bedeutet bei einem Jahresumsatz von 100 Millionen Euro ein Minus von drei bis vier Millionen Euro. Dazu kommt: Es gibt keine gesicherte Finanzierung. Wir müssen jedes Jahr um Geld kämpfen.

Für Laien ist es schwer ersichtlich, wohin die Krankenhausreform führen wird. Können Sie den Überblick behalten?

Wenzel Wir sind gar nicht in der Lage, hinterher zu kommen und jede Seite zu lesen, die uns erreicht. Wir versuchen, zu folgen. Aber wir haben inzwischen fünf Vorschläge der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ erhalten mit jeweils 50 bis 60 Seiten. Vieles bleibt unkonkret, es gibt viele Fragezeichen. Eines ist ganz wesentlich: Ist der Bund überhaupt zuständig und maßgeblich? Wir haben in NRW einen neuen Krankenhausplan erarbeitet. Sehr strukturiert und im Dialog. Damit sind wir gut aufgestellt.

Hafner Was wir wissen, ist: Die Kosten-Erlös-Schere öffnet sich immer weiter. Wir haben ein staatlich reguliertes Preissystem. Die Kosten steigen gleichzeitig um acht bis zehn Prozent. Und vom Gesundheitsminister wissen wir: Es gibt kein zusätzliches Geld. Wir gehen also von einer Finanzierungslücke aus. Währenddessen hat die NRW-Krankenhausplanung schon künftige Leistungsgruppen und Anforderungen definiert. Die Krankenkassen haben dazu ihr Votum abgegeben. Darauf können wir also schon setzen, während der Bund die Fragen nach der Vergütungsstruktur noch völlig offengelassen hat.

Ralf Wenzel ist Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Krankenhausvereins zu Aachen und leitet das Luisenhospital.

"Die Ideen aus dem Gesundheitsministerium sind nicht alle falsch", sagt Ralf Wenzel. "Aber der Weg dahin ist bisher nicht klar."

Was würde die Krankenhausreform für Ihr Haus bedeuten?

Wenzel Ich kann im Moment nicht sagen, was diese Pläne für die Zukunft bedeuten. Was wir wissen: Die Zeiträume sind unrealistisch. Es gibt kein Umsetzungskonzept. Wir als Krankenhaus wollen Reformen – sowohl mit Blick auf das System der Fallpauschalen als auch auf die Kooperation mit anderen Häusern. Und wir arbeiten jetzt schon mit dem Uni-Klinikum in Aachen als Maximalversorger zusammen. Die Ideen aus dem Gesundheitsministerium sind nicht alle falsch. Die Vorhaltevergütung ist zum Beispiel ein guter Aspekt: Krankenhäuser bekommen Geld, um eine bestimmte Leistung vorhalten zu können. Aber der Weg dahin ist bisher nicht klar.

Hafner Wir bereiten uns auf eine Zentralisierung verschiedener Fachbereiche vor. Das bedeutet: Im Moment bieten wir zum Beispiel die Bauchchirurgie an drei Standorten an – um möglichst bevölkerungsnah zu sein. Künftig wird es bestimmte Leistungsgruppen nur noch an zwei Standorten geben. Ähnliches gilt für die Orthopädie: Heute halten wir Hüft- und Knie-Endoprothetik an zwei Standorten vor, künftig nur noch an einem. Patienten müssen dann auch mal 30 statt zehn Minuten Anfahrt hinnehmen, das ist bei uns in der Region nicht so dramatisch. 

Ein Ärzte-Team operiert im OP-Saal einen Patienten.

In vielen Krankenhäusern fehlt Personal. Es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu finden und auszubilden. 

Und was brauchen Sie dafür von der Politik, Herr Hafner?

Hafner Ich würde mir wünschen, dass wir bei diesem Prozess mehr Unterstützung von der Politik bekommen. Das Land NRW hat 2,5 Milliarden Euro Fördergelder für die Umstrukturierung freigegeben, aber es gibt keine Information, wie wir dieses Geld beantragen können. Das wichtigste Thema ist weiterhin das Personal. Zum ersten Mal ist der Oktoberkursus an unserer Pflegeschule noch nicht voll belegt. Es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu finden und auszubilden. Und auch hier bekommen wir wenig Unterstützung von der Politik: Fachkräfte aus dem Ausland müssen bis zu ein Jahr auf ihre Anerkennung warten, während die Not bei uns immer größer wird. Wir sollten die Fachkräfte mit Wertschätzung empfangen, statt ihnen auf unseren Ämtern das Gefühl zu geben, dass sie nicht willkommen sind. Natürlich geht mein Appell auch an die Bundesregierung, dass endlich die inflationsbedingte hohe Kosten-Erlös-Schere – sowohl was den Sach- als auch Personalaufwand betrifft – geschlossen wird. Alle anderen Branchen erhöhen ihre Preise, nur unser Preissystem deckt die Kostensteigerungen bei weitem nicht ab. 

Ein leeres Bett auf der Intensivstation.

Einige Krankenhäuser  bereiten sich auf eine Zentralisierung verschiedener Fachbereiche vor. 

Sie sagen, Sie seien reformwillig, Herr Wenzel. Was würden Sie denn brauchen? Wie sieht Ihre Vision aus?

Wenzel Wir wollen ein regionaler, in der Bevölkerung verankerter Gesundheitsanbieter sein, der in Abstimmung mit dem Universitätsklinikum arbeitet. Wir sind in Aachen gut erreichbar und nicht alle Leistungen müssen in einem Universitätsklinikum angeboten werden. Das sollte die Politik unterstützen: In NRW gelingt das ganz gut. Währenddessen sagt der Bund: Kleinere Häuser müssen weg. Wir brauchen für die Reformen eine gesicherte Übergangsphase. Dazu kommt: Der Druck auf kirchliche Häuser ist besonders hoch. In kommunalen Krankenhäusern werden Defizite mit öffentlichen Mitteln – etwa aus dem Landeshaushalt – ausgeglichen. Wir werden im Regen stehen gelassen. Das ist eine Ungleichbehandlung.

Eine Skulptur zeigt eine Hand, die ein Kind hält.

Unabhängig von einer Religionszugehörigkeit haben kirchliche Krankenhäuser den Menschen im Blick. 

Wie bewerten Sie Ihre Position als evangelische Einrichtung in diesen Zeiten, Herr Hafner?

Hafner Ich glaube, wir haben dadurch auch einen Vorteil. Bei uns in Duisburg arbeiten viele diakonische Einrichtungen Hand in Hand. Wir unterstützen uns und agieren wie ein Konzern. Und gleichzeitig können wir dem Patienten eben dieses Netzwerk anbieten. Damit sind wir kommunalen oder privaten Anbietern gegenüber im Vorteil. Und wir müssen als kirchliche Einrichtung keine Gewinne abschöpfen. Natürlich müssen wir genug Geld verdienen, aber die ökonomischen Vorgaben sind moderater als beispielsweise in Privatkliniken.

Was bedeutet Ihnen inhaltlich Ihr evangelisches Profil?

Wenzel Unsere christliche Grundorientierung spiegelt sich jeden Tag im Krankenhaus wider. Unabhängig von einer Religionszugehörigkeit haben wir den Menschen im Blick. Wir wollen helfen, das treibt uns an. Und damit hat sich das Krankenhaus seit 1867 ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung verdient. In unserer christlichen Pflegeschule vermitteln wir die Eckpunkte dieses Wertesystems. Wir kümmern uns mehr als wir müssten – das gilt auch für die Seelsorge im Haus, die Patienten und Mitarbeitenden zugutekommt. Und das gilt auch für den Umgang mit Angehörigen, zum Beispiel durch den Sozialdienst und spezielle Pflegekräfte. 

Hafner Es ist uns wichtig, den evangelischen Geist im Umgang miteinander zu spüren. Dabei geht es um Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden. Außerdem spielt Seelsorge bei uns eine große Rolle und ist stark im Alltag integriert. Die Zuwendung für den Patienten haben wir im Leitbild verankert: Wir arbeiten ganzheitlich und sehen den Menschen. 

Das Interview führte Theresa Demski. Fotos: EVK, Pixabay, Grace Winter/Pixelio, privat, Shutterstock, Vladimir Fedotov/Unsplash

Ihr/e Ansprechpartner/in
Silvia Raffel
Geschäftsfeld Krankenhaus und Gesundheit
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Zur Person

Ralf Wenzel ist Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Krankenhausvereins zu Aachen. Der Betriebswirt leitet das Luisenhospital und ist seit 1995 im Krankenhauswesen tätig.

Franz Hafner ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Ev. Klinikum Niederrhein gGmbH – dazu gehören Krankenhausstandorte in Duisburg, Oberhausen und Dinslaken, zwei Pflegeinrichtungen und eine wachsende Zahl angeschlossener Arztpraxen.