17. Juli 2019

Klinikstudie der Bertelsmann-Stiftung

"Weniger ist noch lange nicht besser"

Seit Jahren wird darüber gestritten, ob es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt. Jetzt hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung die Debatte neu entfacht. Die Wissenschaftler schlagen vor, mehr als jede zweite Klinik zu schließen und die übrigen Häuser besser auszustatten. Elke Grothe-Kühn, Leiterin des Geschäftsfeldes Krankenhaus und Gesundheit bei der Diakonie RWL, hält diese Idee für realitätsfremd. Die evangelischen Kliniken arbeiten bereits auf hohem Niveau, betont sie in ihrem Kommentar.

Portrait

Elke Grothe-Kühn leitet das Geschäfrtsfeld Krankenhaus und Gesundheit bei der Diakonie RWL.

In der aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung fordern verschiedene Gesundheitsökonomen einen völligen Umbau der Krankenhausversorgung in Deutschland. Mehr als 800 Krankenhäuser, mithin fast 60 Prozent aller bestehenden deutschen Kliniken, seien überflüssig und sollten aus Sicht der Wissenschaftler geschlossen werden. Die Qualität würde sich dadurch erheblich verbessern, da die verbleibenden Krankenhäuser mehr Erfahrung und eine bessere Ausstattung hätten. Als Gesundheitsexperten der Diakonie RWL widersprechen wir der durch die Studie quasi zum Merksatz erhobenen Gleichsetzung "kleineres Krankenhaus = schlechtere Qualität". Diese einfache Formel ist nicht haltbar.

In der Studie und der medialen Berichterstattung wird so getan, als sei die Krankenhauslandschaft in Deutschland ein monolithischer Block, der sich mit verzweifelten Selbstbeharrungskräften jedweden Veränderungen und jedwedem Kapazitätsabbau widersetzt. Es schwingt der Vorwurf mit, jedes kleine Krankenhaus wolle "alles machen" und würde sich jeglicher Spezialisierung und Zentralisierung verweigern. Aber genau das Gegenteil ist seit Jahren der Fall.

Kleiner, aber gut vernetzt

Von den derzeit 57 evangelischen Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen gehören 43 einem Verbund an oder sind aus Fusionen hervorgegangen. 39 dieser evangelischen Kliniken werden von diakonischen Verbünden getragen. Sie sind daher vernetzt mit Einrichtungen der Pflege und Altenhilfe, der Behindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Rehabilitation. Viele Träger haben unter großem Einsatz von Eigenmitteln Spezialisierungen ausgebildet und widmen sich in besonderem Maße vulnerablen Patientengruppen. Nicht Erlösmaximierung, sondern die optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten steht dabei im Vordergrund.

Insgesamt 22 Mitgliedshäuser betreiben Psychiatrie und Psychosomatik oder Kinder- und Jugendpsychiatrie. 14 evangelische Krankenhäuser haben einen Versorgungsauftrag für Geriatrie. 28 evangelische Krankenhäuser bieten Geburtshilfe an, von denen acht als Perinatalzentrum Level 1 für die hochkomplexe Frühgeborenenversorgung ausgewiesen sind. 21 Krankenhäuser sind als Brustzentrum-Standorte zertifiziert oder an einem Brustzentrum beteiligt.

Operation

Auch in kleineren evangelischen Kliniken wird auf hohem medizinischen Niveau gearbeitet, betont Elke Grothe-Kühn.

Konzentrationen und Spezialisierungen

Zehn evangelische Kliniken betreiben eine sogenannte "Stroke Unit" für die qualifizierte akute Schlaganfallbehandlung. In elf evangelischen Krankenhäusern gibt es Palliativstationen für die schmerzlindernde Behandlung schwerstkranker Patientinnen und Patienten.

Für sämtliche erwähnte Angebote gilt, dass sie in dem noch nicht vollständig abgeschlossenen Krankenhausplan 2015 NRW ausdrücklich bestätigt, zum großen Teil sogar gestärkt und ausgebaut worden sind. Für unsere Mitgliedskrankenhäuser ist es seit vielen Jahren selbstverständlich, sich sowohl im eigenen Verbund als auch mit anderen Häusern in der jeweiligen Region hinsichtlich ihrer Disziplinen abzustimmen und sich von Abteilungen zu trennen, in denen andere Häuser stärker sind. Konzentrationen und Spezialisierungen sind ein kontinuierlicher Prozess, genauso wie im äußersten Fall auch Standortschließungen. 16 ehemals evangelische Krankenhäuser sind allein in NRW in den letzten 20 Jahren ausgeschieden.

Aber gewissermaßen reißbrettartig Massenschließungen von Krankenhäusern das Wort zu reden, wie es die Macher der Bertelsmann-Studie tun, schürt unnötig Ängste und geht komplett an der Sache vorbei. 

Kommentar: Elke Grothe-Kühn