Drogenhilfe
Der junge Mann kramt die Utensilien aus der roten Box. Nur wenige Handgriffe - und schon ist er fertig, räumt auf. Löffel, Spritze, Verpackung sortiert er in die Müllfächer und das Reinigungsbad. Mit einem Desinfektionstuch putzt er die weiße Tischplatte, zieht seinen schwarzen Hoodie von der Stuhllehne und nimmt seine blaue Umhängetasche – dann ist er auch schon wieder durch die Tür. Andere sind nicht so schnell. "Sie nutzen die Gelegenheit und quatschen mit mir, erzählen aus der Szene", berichtet Kerstin Eeltink.
Die rote Box enthält alles für einen sterilen Drogengebrauch.
Die rote Box
Die Krankenschwester sitzt im Drogenkonsumraum (DKR) für Langzeitabhängige der Suchthilfe der Diakonie An Sieg und Rhein dabei, während der Klient sich Heroin spritzt. Die rote Box enthält alles für einen sterilen Drogengebrauch. Die Anwesenheit der Krankenpflegerin bedeutet: Sollte der Konsument ein Problem bekommen, ist sie sofort mit Erster Hilfe zur Stelle. Aus kleinen Anmeldezetteln und Personalkarten kennt sie die Basics über die einzelnen Klient*innen. Wer substituiert ist. Wer Hepatitis hat.
Der Drogenkonsumraum für akut Abhängige ist besonders. "Gerade in dem für den ländlichen Bereich einmaligen Angebot eines Drogenkonsumraums wird deutlich, dass hier niemand abgewiesen wird", lobt Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL), die Arbeit der Diakonie An Sieg und Rhein. Der Raum ist angegliedert an das Café Koko in Troisdorf, das ein Kontaktladen ist, in dem die Klient*innen unbürokratisch kostenfreie bzw. kostengünstige lebenspraktische und gesundheitsfördernde Hilfen erhalten. Sie bekommen dort nicht nur saubere Spritzen, sondern sie können dort auch duschen, ihre Wäsche waschen, sich aufwärmen oder abkühlen. Auch Getränke und eine warme Mahlzeit gibt es im Café Koko. Eine Servicekraft hat an diesem Mittag Dienst hinter der Theke. Er gibt Essen aus, das er selbst gekocht hat. Die Nudeln mit indischer Curry-Sauce kosten 1,20 Euro. Das Essen geht gut weg.
Bisher wurden also insgesamt 1,8 Millionen Euro bei der Diakonie RWL beantragt, und die ersten Bewilligungen sind bereits ausgezahlt.
Beratung
Aber nicht jeder Gast isst. Einer schläft auf dem schwarzen Sofa am Kopf des Raums. Andere kommen, um sich an der Theke Spritzen abzuholen. An der Fensterseite hängt ein TV-Bildschirm von der Decke. In der "Sozialarbeiter-Ecke" sitzt Viktor Berglesow mit einem Klienten. Dieser hat eine Strom- und Heizkostennachforderung von 1.200 Euro bekommen und ist damit total überfordert. Berglesow hilft bei der Kontaktaufnahme mit dem Stromanbieter und dem Jobcenter. Stundung und Verhinderung von Stromsperre sind das Ziel: alltägliche Arbeit eines Sozialarbeiters im Kontaktladen.
Hinter der Theke werfen die Servicekraft und Eeltinks Krankenpflege-Kollege immer mal wieder einen Blick auf die Kamera: Draußen im Hof sitzt eine Gruppe beisammen und erzählt. Weil nur Konsum erlaubt ist, nicht aber Dealen, müssen die Mitarbeiter aufpassen. So sind die Hausregeln.
Im Drogenkonsumraum gelten bestimmte Regeln.
Sicher und kontrolliert
Mit Hausregeln hat auch eine der Aufgaben von Kerstin Eeltink zu tun: Im Drogenkonsumraum steht sie nicht nur für den Notfall bereit, sondern überwacht auch über einen Deckenspiegel, was am Tisch vor sich geht: Erlaubt ist immer nur ein einzelner Konsumvorgang.
Im Drogenkonsumraum gibt es – abgetrennt durch Glasscheiben – auch noch eine Raucherkabine. Die wurde erst im Dezember 2020 eingerichtet und soll eine schonendere Möglichkeit bieten, Opiate zu konsumieren, wie Suchthilfe-Leiter Jürgen Graff erläutert. Das ist die Philosophie für den Drogenkonsumraum: Konsum unter sicheren, kontrollierten Bedingungen ermöglichen. "Es geht um Schadensbegrenzung." Und darum, Todesfälle zu vermeiden. Denn das größte Risiko sei eine Überdosierung. Die traurige Alternative wäre Konsum alleine, beispielsweise auf öffentlichen Toiletten, dort dann logischerweise bei geschlossener Tür. Jürgen Graff sagt es drastisch: "Wer dann wegkippt, ist weg."
Sucht, so beschreibt es Suchthilfe-Leiter Jürgen Graff, sei immer mit Einsamkeit verknüpft.
Sucht und Einsamkeit
Ein Thema im Café Koko ist immer noch die Pandemie, vor allem die ersten Lockdowns. Die Suchthilfe war zwar durchgängig geöffnet, aber die Covid-Einschränkungen bewirkten, dass nicht alle reindurften. Wem es schlecht geht, ging es schlechter. Rückzugstendenzen seien verstärkt worden. Sucht, so beschreibt es Jürgen Graff, sei immer mit Einsamkeit verknüpft. Das habe sich in der Pandemie verschlimmert.
Einsamkeit. Der Begriff "Koko" steht deshalb namentlich wie programmatisch für Kommunikation und Kontakt. Es soll ein sicherer Ort sein für Menschen, deren Leben von Gewalt, Traumata und prekären Verhältnissen geprägt ist. Für die Sucht erst einmal eine Art Selbstmedikation ist – doch leider nur kurzfristig. Denn die Mittel sind hart und stark, ein Kreislauf der Beschädigung nimmt Fahrt auf.
Viele Gäste im Café Koko haben für ihre Handys nur kleine Flatrates.
Digital dabei
An diesem Tag ist auch "Eckiger Tisch". Eine Art offene Sprechstunde mit dem Suchthilfe-Leiter. Zeit für Beschwerden. "Ich habe nur eine Frage: Wann ist der Urlaub vorbei?", will etwa ein Gast wissen. Seine Frage bezieht sich auf die eingeschränkten Öffnungszeiten. Der Dienstplan ging zeitweilig nicht auf, erklärt Graff. Die Engpässe hatten nicht nur mit der Sommerferienzeit zu tun, sondern auch mit unbesetzten Stellen. Stichwort Fachkräftemangel. " Seit September können wir wieder durchgängig jeden Tag öffnen können", verspricht der Leiter. Denn nach langer Suche wurden schließlich zwei neue Mitarbeitende gefunden.
Weitere Themen am "Eckigen Tisch": Ärger und Enttäuschungen einfangen, um Verständnis werben, Probleme offen besprechen. Eine andere Frage dreht sich um die Computernutzung. Zunächst wegen Hygieneregeln der Pandemie, dann wegen einer technischen Umstellung, fungiert das Café Koko immer noch nicht wieder als Internetcafé. Da muss Graff vertrösten. "Aber es kommt definitiv wieder." Er weiß, dass viele Gäste für ihre Handys nur kleine Flatrates haben und einen eigenen PC oder ein Laptop schon gar nicht besitzen.
Gerade Abhängige benötigen einen Ort zum Wohlfühlen, an dem sie auftanken können.
Menschenwürdiger Umgang
Unterdessen herrscht im Café ein Kommen und Gehen: Kerstin Eeltink passt auf weitere Konsumierende auf. Wenn jemand high ist und schläfrig wird, tippt sie höchstens mal die Schulter an. Nur: "Ich muss unterscheiden, ob die Atmung anders wird." Ob ein Problem entsteht. Doch, sagt Eeltink, sie findet ihren Job sinnvoll: Sie habe 20 Jahre lang in der Pflege mit Tumorpatienten gearbeitet, Menschen, die auf den Tod zugingen. In der Suchthilfe habe sie es auch mit Menschen mit einer Krankheit zu tun. "Es ist hier ein Stück weit ein menschenwürdiger Umgang mit Krankheit."
Eine der beiden Waschmaschinen schleudert. Das Café Koko ist für etliche Gäste auch der Ort, an dem sie ihre Klamotten waschen können. Der Ort, an dem sie duschen. Und wo sie etwas "zwischen die Rippen kriegen". Ein Mann isst ein Stück Pflaumenkuchen mit Schlagsahne und schaut dabei zum Fernseher hoch. Hier kann er einfach mal auftanken.
Text: Anna Neumann, Evangelischer Kirchenkreis an Sieg und Rhein/ekasur, Fotos: Anna Neumann, Pixabay, Redaktion: Verena Bretz