Deutscher Kinderhospiztag
"Wir fahren ins Hospiz, um Urlaub zu machen." Wenn Sandra Fleck diesen Satz sagt, erntet sie meist fassungslose Blicke. Denn größere Gegensätze als der Sterbeort Hospiz und eine entspannte Ferienzeit scheint es kaum zu geben. Doch für die Mutter der fünfjährigen Leonie, die unter der seltenen Erbkrankheit Trisomie 5p leidet, passt beides zusammen. Seit 2016 fährt sie zwei- bis dreimal im Jahr mit Mann und Kind in das Wuppertaler Kinderhospiz Burgholz.
"Die Mitarbeiter kümmern sich liebevoll um Leonie", erzählt Sandra Fleck. "Mein Mann und ich haben Zeit für uns, aber auch Zeit für Gespräche mit anderen Familien in einer ähnlichen Situation. Wir spielen keine Sonderrolle wie sonst in unserem Alltag. Das tut einfach gut." Jetzt sind Sandra und Oliver Fleck im 2015 gegründeten Hospiz, weil Leonie an der Hüfte operiert wurde und nicht laufen kann. Seit ihrer Geburt braucht das schwerst-mehrfach behinderte Mädchen eine Betreuung rund um die Uhr. Jede Infektion kann schnell zum Tod führen.
Kerstin Wülfing leitet das Kinderhospiz Burgholz. Im Eingang sind Fotos von allen Mitarbeitenden zu sehen.
Sterbebegleitung steht nicht im Fokus
"Alle Eltern wissen, dass ihre schwerst erkrankten Kinder plötzlich sterben können", sagt Leiterin Kerstin Wülfing. "Aber tatsächlich zum Sterben kommen – anders als im Erwachsenenhospiz – die wenigsten Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien zu uns." Es gehe eher darum, Kraft zu schöpfen für den anstrengenden Alltag, Zeit für den Partner und die Geschwisterkinder zu haben, offen reden zu können.
Rund 52.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland haben eine lebensbedrohliche Krankheit. Das Hospiz Burgholz versorgt etwa 250 Familien, die meist im Umkreis von 150 Kilometern leben. Es gibt zehn Plätze für schwerstkranke Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre. Hinzu kommen Appartements, in denen die Eltern und Geschwister wohnen. Knapp 60 Mitarbeitende – darunter Pflegekräfte und Pädagogen – sowie 30 Ehrenamtliche betreuen die Kinder und ihre Familien rund um die Uhr.
Das Kinderhospiz Burgholz entstand 2015 und begleitet rund 250 Familien.
Bedarf an Unterstützung wächst
Getragen wird die ökumenische Einrichtung von der Kinderhospizstiftung Bergisches Land, zu der die Diakonie und Caritas in Wuppertal sowie die Bethel-Stiftung gehören. Sie finanziert sich zu einem großen Teil aus Spenden. Seit Gründung des Kinderhospizes vor vier Jahren liegt die durchschnittliche Belegung bei 94 Prozent.
Mit bundesweit 16 stationären Kinder- und Jugendhospizen ist der Bedarf nach Ansicht von Kerstin Wülfing gedeckt. Doch die ambulante pflegerische Versorgung der betroffenen Kinder ist ein großes Problem. Viele Pflegedienste haben nicht genug Personal für eine aufwendige Betreuung, so dass Eltern massiv überlastet sind.
Über Palliativteams, den Sozialdienst der Krankenhäuser und Selbsthilfegruppen erfahren sie vom Angebot der stationären Kinderhospize. Oft melden sich die Familien bereits, wenn sie die Diagnose erhalten. Weil das Hospiz die Familien teils jahrelang begleitet, halten sie auch nach dem Tod des schwerkranken Kindes noch den Kontakt und nehmen an Trauergruppen, Sommerfesten oder Geschwistertreffen teil.
Die Tamilin Viyeswary Balashacthy kommt regelmäßig mit ihrer schwerkranken Tochter und den drei Geschwistern ins Hospiz.
Ein zweites Zuhause für Geschwisterkinder
Viyeswary Balashacthy war im vergangenen Jahr fünfmal mit ihren vier Kindern im Hospiz. Die Tamilin hat eine zehnjährige Tochter, die von Mukopolysaccharidose (MPS) betroffen ist, einer Stoffwechselerkrankung mit einer phasenweise starken motorischen Unruhe. "Im Alltag habe ich kaum Zeit, mich um meine anderen drei Kinder zu kümmern", sagt sie. "Hier geht das." Für ihre Kinder, die zwischen 11 und 2 Jahre alt sind, sei das Hospiz inzwischen ein zweites Zuhause, in dem sie auch mit anderen Geschwisterkindern spielen, basteln und im Wald toben können.
So bunt, hell und freundlich das Hospiz ist, das Sterben hat hier auch seinen Platz. Im vergangenen Jahr nahmen die Mitarbeitenden und Familien von 16 Kindern und Jugendlichen Abschied. In einem besonderen Bereich gibt es dafür Räume mit Sitzgruppen, einer Couch und einem gekühlten Bett, in dem die Verstorbenen bis zu sieben Tage aufgebahrt werden können.
In diesem Raum mit einem gekühlten Bett können die Familien nach dem Tod ihres Kindes Abschied nehmen.
Abschiednehmen erfordert Mut
Rund 80 Prozent der Eltern besuchen den Abschiedsbereich des Hospizes nicht, bis sie ihn für ihr eigenes Kind nutzen, schätzt Kerstin Wülfing. "Viele haben nicht die Kraft dazu. Die brauchen sie, um ihren schwierigen Alltag zu bewältigen." Anders sei es bei den Geschwisterkindern und jugendlichen Betroffenen, die meist "alles ganz genau" wissen wollten. Ein 16-jähriger Junge, so erzählt sie, habe sogar seiner ganzen Klasse den Abschiedsbereich des Hospizes gezeigt. "Er wollte, dass seine Klassenkameraden wissen, wo sie sich von ihm verabschieden können."
Am diesjährigen "Tag der Kinderhospizarbeit", der bereits seit 2006 stattfindet, sind es in Wuppertal die Geschwisterkinder, die die "grünen Bänder der Hoffnung" an Fenstern und Bäumen befestigen und Ballons in die Luft steigen lassen – als Zeichen der Verbundenheit mit ihren Eltern und schwer erkrankten Geschwistern. Der zentrale Festakt des Aktionstages findet in Aachen mit Ministerpräsident Armin Laschet statt.
Text und Fotos: Sabine Damaschke
Krankenhaus und Gesundheit
Die Diakonie RWL betreut in Nordrhein-Westfalen 17 stationäre Hospize. Darunter befindet sich das Kinderhospiz in Wuppertal sowie ein Kinderhospiz in Bethel. Hinzu kommen 35 ambulante Hospizdienste in NRW, die Mitglied in der Diakonie RWL sind. Mit weiteren 26 ökumenischen Hospizdiensten gibt es einen regelmäßigen Austausch und eine gute Zusammenarbeit.