10. November 2022

Aktionstag Suchtberatung

Versteckte Sucht

Sie sind oft erfolgreich und stehen mitten im Leben: Menschen, die Drogen zur Leistungssteigerung nehmen. Häufig merken sie erst sehr spät, wenn sie abhängig von Drogen, Alkohol oder Medikamenten werden. Welche Hilfen und Präventionsmöglichkeiten es gibt, beleuchtet die Diakonie Düsseldorf beim bundesweiten Aktionstag Suchtberatung am 10. November.

  • Hand, die mit einer Spritze Drogen von einem Löffel aufzieht
  • Glas Wein

Julian hatte ein Ziel vor Augen: Erfolg als Leistungssportler. Dafür gab der junge Mann alles. Mit 19 nahm der Football-Spieler zum ersten Mal Amphetamine, um noch härter trainieren zu können. Als der Leistungssport seinen Körper zunehmend an seine Grenzen brachte und ihn Schmerzen plagten, betäubte er diese mit Opiaten. Später nahm er dazu auch noch Kokain, um auf dem Spielfeld weiter Leistung bringen zu können. "Ich hatte lange den Eindruck, alles im Griff zu haben", erinnert sich Julian. Doch irgendwann machte der Körper nicht mehr mit. Er musste mit dem Sport aufhören, bekam Probleme im Job und die Beziehung zu seiner Freundin zerbrach. Erst als gar nichts mehr ging, gestand sich der heute 27-Jährige ein, dass er ein Drogen-Problem hat. "Da war es dann aber zu spät, um selbständig aufhören zu können."

Denise Schalow vom Suchtberatungs- und Therapiezentrum

Hilfe muss für hochfunktionale Abhängige möglichst früh ansetzen, sagt Denise Schalow vom Suchtberatungs- und Therapiezentrum der Diakonie Düsseldorf.

Wenn das Konstrukt zusammenbricht

Menschen wie Julian werden von ihrem Umfeld oft lange nicht als Süchtige wahrgenommen, weiß Denise Schalow vom Suchtberatungs- und Therapiezentrum der Diakonie Düsseldorf. "Und sie sehen sich auch selbst nicht so." Denn von außen betrachtet handelt es sich bei diesen sogenannten hochfunktionalen Abhängigen um beruflich erfolgreiche Menschen mit einem meist auch intakten sozialen Umfeld. "Sie kommen leider oft erst zu uns, wenn das Konstrukt zusammenbricht und sie sehr viel verloren haben." 

Frühe Hilfe könnte dazu beitragen, viel Leid bei den Betroffenen und ihren Angehörigen zu verhindern, ist Schalow überzeugt. "Doch gerade diese hochfunktionalen Abhängigen fühlen sich durch das Angebot der Suchtberatungsstellen oft nicht angesprochen." Denn lange Zeit scheine ja in ihrem Leben alles zu funktionieren. Und sie sehen sich weit entfernt vom Klischee des Süchtigen, der in der Gosse landet. "Wir möchten deshalb dafür sensibilisieren, dass auch Menschen von Sucht betroffen sind, denen man es nicht zutraut", sagt Schalow. 

Den bundesweiten Aktionstag Suchtberatung am 10. November nimmt die Diakonie Düsseldorf zum Anlass, um auf die "hochfunktionalen Abhängigen" aufmerksam zu machen. Der Aktionstag sei deshalb so wichtig, weil viele Menschen sich immer noch schämten, eine Suchtberatungsstelle in Anspruch zu nehmen, beobachtet Tina Nagel, die zuständige Referentin im Geschäftsfeld Krankenhaus und Gesundheit bei der Diakonie RWL.

Sektgläser: Alkohol wird oft als harmlos wahrgenommen.

Ex-Banker Joachim rutschte in die Alkoholsucht, um den permanenten Erfolgsdruck im Job zu kompensieren.

Sucht oft lange verdeckt

Die Diakonie Düsseldorf hofft, dass die Aktion dazu beiträgt, suchtgefährdete Menschen früher zu erreichen. "Oft staunen wir, dass Betroffene, die dann schließlich zu uns in die Beratung kommen, schon zahlreiche andere Behandlungen durchlaufen haben, ohne dass die Abhängigkeit festgestellt wurde", sagt Schalow. So war es zum Beispiel auch bei Joachim. Der Ex-Banker war in die Alkoholsucht gerutscht, um den permanenten Erfolgsdruck im Job zu kompensieren. Mehrere Burnout-Behandlungen machten ihn kurzzeitig wieder fit, ohne aber sein Alkoholproblem zu erkennen. Ein körperlicher Zusammenbruch offenbarte schließlich seine Sucht. "Erst als ich alles verloren hatte, habe ich verstanden, dass ich ein ganz neues Leben führen muss," sagt der heute 62-Jährige. 

Hilfe für Betroffene bietet die Diakonie Düsseldorf in ihrer Fachambulanz an, wo Menschen mit Alkohol-, Medikamenten-, Glücksspiel- oder Medien-Sucht beraten werden. Dort werden Abhängige über längere Zeit in Einzel- und Gruppenberatung begleitet. Auch Angehörigen steht die Beratung offen. In der ambulanten Behandlung oder der angeschlossenen Tagesklinik können alkohol-, medikamenten- und drogenabhängige Menschen eine ambulante Rehabilitation machen. Gemeinsam mit dem Caritasverband Düsseldorf und der Düsseldorfer Drogenhilfe bietet die Diakonie außerdem zahlreiche Präventionsangebote über CROSSPOINT- die Düsseldorfer Suchtprävention an.

Die Hilfsangebote für Abhängige und Suchtgefährdete seien wichtiger als je zuvor, sagt Schalow. Denn der Bedarf steige. Oft müssten Betroffene wochenlang auf einen Beratungstermin warten. "Wir arbeiten am Limit." Die jüngsten Krisen wie die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und in der Folge explodierende Preise für Energie uns Lebensmittel erhöhten bei vielen Menschen das Stress-Level. Bei Suchtgefährdeten könne sich das negativ auswirken. Die Folgen der Pandemie träten wahrscheinlich erst in einigen Jahren zutage. "Die wirkliche Welle kommt erst noch", erwartet Schalow.

Teilnehmende einer Selbsthilfegruppe sitzen im Kreis und tauschen sich aus. (Foto: Shutterstock)

In der Pandemie mussten viele Gruppen-Sitzungen ausfallen, wodurch viele Träger finanzielle Einbußen hatten.

Suchtberatungsstellen fürchten um Finanzierung

Doch zugleich fürchten viele Suchtberatungsstellen, ihr Angebot künftig nicht aufrecht erhalten zu können. "Wir brauchen eine bessere Finanzierung, sonst gibt es das bald nicht mehr", warnt Diakonie RWL-Expertin Nagel. Die Finanzierung der Suchtberatungsstellen liegt bei den Kommunen. Deren oft ohnehin prekäre Haushaltslage verschlechtere sich durch die aktuellen Krisen und Herausforderungen weiter, so dass gespart werden müsse, weiß Nagel. "Davon sind die Suchtberatungsstellen auch betroffen." Zugleich brauchten die ohnehin mit knappen Budgets arbeitenden Beratungsstellen eher mehr statt weniger Geld. Denn auch sie seien von gestiegenen Kosten durch höhere Energiepreise und Inflation betroffen. Zudem hätten sie während der Pandemie Verluste verkraften müssen, weil sie ihr Angebot einschränken mussten. Gruppen-Sitzungen etwa hätten wegen der Pandemie gar nicht oder nur mit weniger Teilnehmenden stattfinden können. Das bedeute für die Träger weniger Einnahmen. Eine Beratungsstelle aus dem Gebiet der Diakonie RWL habe ihr therapeutisches Angebot bereits einstellen müssen, sagt Nagel.

Die Expertin warnt davor, die Suchtberatungsstellen der freien Träger finanziell ausbluten zu lassen. Wenn ambulante Therapiemöglichkeiten wegfielen, könne das dramatische Folgen haben. "Es würde mehr unbehandelte Suchterkrankungen geben", warnt Nagel. Zwar gebe es für die Städte und Gemeinden derzeit viele Herausforderungen, räumt Schalow ein. "Trotzdem wünschen wir uns, dass die suchtkranken Menschen nicht vergessen werden und dass den Kommunen klar ist, dass es hier nicht eine Reduktion, sondern einen Ausbau der Mittel braucht."

Text: Claudia Rometsch, Fotos: Pixelio.de, Diakonie Düsseldorf, Unsplash, Shutterstock, Pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Tina Nagel
Geschäftsfeld Krankenhaus und Gesundheit
Weitere Informationen

Zum bundesweiten Aktionstag Suchtberatung am 10. November macht die Diakonie Düsseldorf auf verdeckte Drogensucht aufmerksam. Die gemeinsam mit anderen Trägern geschaltete Webseite www.alles-im-griff.de liefert gezielte Informationen zur "hochfunktionalen Abhängigkeit", wenn Drogen zur Leistungssteigerung konsumiert werden. Außerdem bietet die Webseite einen Online-Selbsttest an. Der ermöglicht eine erste Einschätzung zum eigenen Konsum von Alkohol oder Drogen sowie auch von Medien oder Spielen. Der Test richtet sich auch an Menschen, die fürchten, ein Angehöriger oder Freund könne süchtig sein. Die Seite verweist auch auf Beratungsstellen vor Ort. Außerdem bieten die Düsseldorfer Beratungsstellen der Diakonie und anderer Träger am 10. November von 11 bis 18 Uhr offene Sprechstunden an.