Rollenbilder
Ein Vormittag in der Kita Einsteinstraße in Neuss. Erzieher Lars Müller hat mit seiner Gruppe schon geturnt, im Morgenkreis gesungen, Tränen getrocknet und die Kinder mit einer Portion Quatsch zum Lachen gebracht. "Ich bin ein Spaßvogel", sagt der 29-Jährige. Und der einzige Mann im Team. "Wenn ich mal ein paar Tage nicht da war, stürmen einige Kinder gleich auf mich zu und rufen: Lars ist wieder da." Auch von Eltern bekomme er viel Zuspruch: "Toll, dass Sie hier sind!" Sie finden es gut, dass die Kinder eine männliche Bezugsperson in der Kita haben und bestärken ihn. "Das freut mich natürlich", sagt Lars Müller – und fragt gleichzeitig: "Muss das Mann-Sein überhaupt betont werden? Ich mache meine Arbeit doch genauso gerne wie meine Kolleginnen."
Als Pfarrer und Referent im Geschäftsfeld Kinder-Tageseinrichtungen weiß Thomas Grebe, dass Erzieher oft mit ganz unterschiedlichen Erwartungen umgehen müssen.
Spannungsfeld der Erwartungen
Klar ist: Erzieher sind in Kitas noch immer selten, auch wenn die Zahlen steigen. Etwa acht Prozent der Kita-Fachkräfte sind in Deutschland männlich. " In Nordrhein-Westfalen liegen wir mit sieben Prozent etwas unter dem Bundesdurchschnitt, aber deutschlandweit gibt es mittlerweile fast 60.000 Erzieher. Das ist schon eine ordentliche Gruppe", sagt Thomas Grebe von der Diakonie RWL. Als Pfarrer und Referent im Geschäftsfeld Kinder-Tageseinrichtungen unterstützt er Männer dabei, ihre Rolle zu finden und weiß, dass diese oft mit ganz unterschiedlichen Erwartungen umgehen müssen.
Kinder, Eltern, Kolleginnen – sie alle haben Wünsche und Vorstellungen. Das reiche vom Fußball-Kumpel bis zur Hausmeister-Rolle. Mal soll das Geschlecht möglichst keine Rolle spielen, mal wird der neue Kollege freudestrahlend mit dem Gedanken begrüßt: Wunderbar, jetzt haben wir endlich einen, der sich um kaputte Fenster und die Heizung kümmert.
"Erzieher, das ist mein Traumberuf", sagt Lars Müller. "Ich gehe darin auf und habe unfassbar viel Spaß an der Arbeit mit Kindern."
Austausch und Reflexion
Wie gehe ich mit Erwartungen und Klischees um? Wie sehe ich mich selbst? Wie genderkompetent bin ich, und was heißt das überhaupt? In einem Seminar über "Männerbilder" konnten sich Erzieher aus evangelischen Kitas im März zwei Tage lang mit solchen Fragen beschäftigen.
Für Lars Müller, einer von 32 Teilnehmern aus ganz NRW, war vor allem der Austausch mit Kollegen wichtig. Er selbst fühlt sich im Team der Kita Einsteinstraße gut aufgehoben und hat beim Nachdenken über seine Position gemerkt: "Wir gehen eher neutral miteinander um." Klar: Fußballspielen, Fangen, Toben, das seien schon Dinge, die er gerne mache. "Ich bin bewegungsfreudig, habe einen Übungsleiterschein und übernehme darum bei uns in der Kita die Turnangebote", sagt er pragmatisch. "Aber einige Kolleginnen spielen genauso gerne Fußball mit den Kindern. Und handwerklich bin ich überhaupt nicht begabt." Trösten, kuscheln, Kinder in Kontakt mit ihren Gefühlen bringen – auch das gehöre zu seiner Arbeit und könne er gut. Statt das Geschlecht in den Vordergrund zu stellen, findet Lars Müller es wichtiger, dass sich jeder und jede mit eigenen Stärken einbringen kann, egal ob Mann oder Frau.
"Am Ende ist das Individuum entscheidend, und wie man seine Rolle ausfüllt", bekräftigt Thomas Grebe. Manche Männer fühlen sich wohl damit, wenn sie handwerkliche Aufgaben übernehmen, andere ärgern sich darüber, dass ihnen dieser Bereich zugeschrieben wird. "Zum Problem wird es, wenn etwas gegen meinen Willen passiert", sagt Grebe. Darum seien die Reflexion und der Austausch so wichtig.
Während ihres Seminars überlegen die Erzieher beispielsweise, welche Grenzerfahrungen Kitakinder im Spiel erleben.
Vielfalt in der Kita
Doch oft gibt es – so wie bei Lars Müller – gar keinen männlichen Kollegen in der Einrichtung, mit dem man reden könnte. In Städten wie Hamm und Soest haben kirchliche Träger darum Arbeitskreise gegründet, in denen sich Männer aus unterschiedlichen Kitas regelmäßig treffen können. Die Diakonie RWL bietet außerdem einmal im Jahr die Fortbildung speziell für Erzieher zu unterschiedlichen Themen an, zusammen mit dem Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Landeskirche, sagt Thomas Grebe, der das Seminar zu den Männerbildern mitorganisiert hat. "Damit wollen wir Männer stärken und sie ermutigen, in diesem Bereich zu arbeiten."
Denn von mehr Vielfalt profitierten am Ende alle. Gerade für Kinder sei es wertvoll, wenn sie in der Kita Männer und Frauen erleben und mitbekommen, dass ein Mann nicht nur mit ihnen tobt, sondern auch in der Puppenecke spielt oder Eierkuchen backt. "Mir persönlich ist es außerdem ein Anliegen, dass Männer stärker ihre religiöse Seite entdecken können und sich in diesem Bereich mehr einbringen", ergänzt Grebe.
Wie sieht mein Körper eigentlich aus? Im Seminar gab es auch praktische Anregungen für Spiele mit Kindern.
Traumberuf Erzieher
Beeindruckt ist der Pfarrer immer wieder darüber, wie begeistert Männer, die den Beruf ergriffen haben, von ihre Arbeit erzählen. "Die meisten sind mit unglaublich viel Engagement und Liebe dabei." Trotz Personalmangel und hoher Arbeitsbelastung. Im Kirchenkreis Hamm werben Erzieher aktiv für ihren Beruf, informieren in Schulen, gehen auf Berufsmessen, berichtet Grebe und weiß: Wenn junge Männer auf den Beruf aufmerksam gemacht werden, etwa durch Kampagnen, steigen die Bewerberzahlen.
Bei Lars Müller war es seine Mutter, die ihn ermutigte: "Wäre das nicht was für dich?" Müller erzählt: "Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen und habe mich immer gerne um meine kleineren Geschwister gekümmert." Acht Jahre lang hat er in einer Grundschule gearbeitet, jetzt ist er in der Kita Einsteinstraße und sagt aus voller Überzeugung: "Erzieher, das ist mein Traumberuf. Ich gehe darin auf, bin authentisch, kann mich mit meinen Stärken einbringen und habe unfassbar viel Spaß an der Arbeit mit Kindern."
Text: Silke Tornede, Fotos: Jürgen Haas, Lars Müller, Andreas Endermann/Diakonie RWL