30. Oktober 2023

Kindertageseinrichtungen

Keine Bildung, nur noch Betreuung

Die Situation in Kindertageseinrichtungen spitzt sich zu: Immer häufiger werden Notgruppen nötig, Kinder müssen zuhause bleiben. Einigen Trägern droht die Insolvenz. Wie gehen Einrichtungsleitungen mit der angespannten Situation um? Wie erleben Mitarbeitende den Alltag? Und was bedeutet die aktuelle Lage für Kinder und Eltern? Vier Expertinnen berichten.

Rita Mans, Einrichtungsleiterin der Evangelischen Kita Wettinerstraße in Düsseldorf (Diakonie Düsseldorf)

"Wir wünschen uns eine andere Akzeptanz in der Gesellschaft und eine Lobby in der Politik", sagt Einrichtungsleiterin Rita Mans aus Düsseldorf.

Rita Mans, Einrichtungsleiterin der Evangelischen Kita Wettinerstraße in Düsseldorf (Diakonie Düsseldorf)

"Wir brauchen endlich Verlässlichkeit. Die Finanzierung der Kindertagesstätten ist im Moment nicht auskömmlich. Tarifsteigerungen sind in der KiBiz-Pauschale noch gar nicht berücksichtig. Anhebungen werden erst rückwirkend gezahlt. Damit können die Träger der Einrichtungen nicht arbeiten. Und gleichzeitig steigen die Anforderungen vor Ort. Ich denke da unter anderem an die Dokumentation und an Förder- und Teilhabepläne – das braucht Zeit. Außerdem bleiben Kinder heute viel länger als früher in der KiTa und wir betreuen viel jüngere Kinder. Als ich vor 26 Jahren anfing, hatten wir noch eine ganz andere Situation. Der Betreuungsschlüssel wurde aber nicht angehoben. Wenn wir eine verlässliche Betreuung weiter ermöglichen wollen, müssen dafür die Rahmenbedingungen gesetzt werden. Wir brauchen mehr Personal und mehr Zeit – also einen anderen Fachkräfteschlüssel. 

Es wird Zeit, dass das Bild der Kindergärtnerin aus den Köpfen verschwindet. Bildung fängt bei den Jüngsten an. Dafür braucht es gut ausgebildete Fachkräfte. Wir wünschen uns eine andere Akzeptanz in der Gesellschaft und eine Lobby in der Politik. Denn aktuell leiden alle: Erzieherinnen und Erzieher sind unzufrieden mit ihrer Arbeit, weil sie ihrem pädagogischen Anspruch nicht gerecht werden können. Eltern kommen regelmäßig ins Schwimmen, weil uns Fachkräfte fehlen und wir nur Notgruppen anbieten können. Und auch den Kindern geht viel verloren."

Melanie Hoffmann, Geschäftsführerin und Referatsleiterin Tageseinrichtungen für Kinder beim Evangelischen Kirchenkreis Bielefeld.

Melanie Hoffmann klagt über die finanzielle Situation in Kitas: "Viele Träger sind gezwungen, die Personal-Ausstattung auf das Mindestmaß zu reduzieren." 

Melanie Hoffmann, Geschäftsführerin und Referatsleiterin Tageseinrichtungen für Kinder beim Evangelischen Kirchenkreis Bielefeld

"Aktuell stehen alle Träger vor unterschiedlichen finanziellen Herausforderungen – bedingt durch das Kinderbildungsgesetz. Gerade kommen viele finanzielle Herausforderungen massiv zusammen: Das Kinderbildungsgesetz sieht es immer noch vor, dass Träger eigene Mittel mitbringen müssen, um die Kommunen bei der Einhaltung des gesetzlichen Betreuungsanspruches zu unterstützen. Aber kirchliche Träger können diese Eigenanteile nicht mehr zahlen, zumal wir im öffentlichen Auftrag handeln. Außerdem sind die Personalkosten aufgrund einer deutlichen Tarifsteigerung um bis zu elf Prozent gestiegen. Diese Lohnsteigerungen sind wichtig, um die Bildungsarbeit der Fachkräfte in den Kitas angemessen zu vergüten. Jedoch sieht der Gesetzgeber es nicht vor, dass diese Personalkostensteigerungen sofort zu einer Anhebung der Landeszuschüsse führen. Zusätzlich haben sich die Erhaltungskosten für die Kitas massiv erhöht.

Kein Träger hat genügend Kita-Rücklagen, um diese stark gestiegenen Betriebskosten auffangen zu können. Viele Träger sind gezwungen, die Personal-Ausstattung auf das Mindestmaß zu reduzieren. Das führt unweigerlich dazu, dass jeder Urlaubs- und Krankheitsausfall Einschränkungen der Betreuungszeiten oder Gruppenschließungen nach sich zieht. Und dass Bildungsarbeit nur noch eingeschränkt erfolgen kann und häufig nur noch die Betreuung der Kinder im Fokus steht. Der Kirchenkreis Bielefeld als Träger hat sich bewusst für die Aufrechterhaltung einer höheren Personalausstattung entschieden, damit die Kitas weiterhin qualitative Bildungsarbeit betreiben können. Das halten wir jedoch nur begrenzt durch."

Friederike Stoye, Kita-Leitung der Evangelischen Kita "Haus Pusteblume" in Bielefeld.

Friederike Stoye leitet die Evangelischen Kita "Haus Pusteblume" in Bielefeld. Sie sagt: "Schon in der jetzigen Situation können wir uns nicht auf Leitungsaufgaben konzentrieren."

Friederike Stoye, Kita-Leitung der Evangelischen Kita "Haus Pusteblume" in Bielefeld

"Ohne ein verlässliches Kita-Angebot müssten Kinder zu Hause betreut werden. Meistens – wie in Corona-Zeiten – von der Mutter. Diese kann dann nur reduziert oder gar nicht mehr erwerbstätig sein. Damit schrumpft das Familieneinkommen. Mehr Familien würden in die Armut getrieben werden, als es im Moment ohnehin schon sind. Und es hätte Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, weil der Fachkraftmangel verschärft würde und Mütter dem Arbeitsmarkt eingeschränkter zur Verfügung stehen. Kinder müssten auf frühkindliche Bildung verzichten. Das betrifft auch und insbesondere Kinder in Familien, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Schwerpunkt nicht auf Bildung ihrer Kinder legen – wie Familien in belasteten Situationen durch Krankheit, Armut, Migration, geringe Bildung. Unsere Gesellschaft würde eine wichtige Chance vergeben, allen Kindern von klein auf demokratisch freiheitliche Werte zu vermitteln. 

Schon in der jetzigen Situation können wir uns als Kita-Leitung nicht auf Leitungsaufgaben konzentrieren, sondern arbeiten in den Gruppen oder in der Küche als Vertretung für fehlende Mitarbeitende. Wichtige Aufgaben bleiben liegen. Und auch die Fachkräfte in den Gruppen haben eine sehr hohe Belastung. Die Elternarbeit wird herausfordernder. Denn Eltern erleben oft nur noch eingeschränkt verlässliche Betreuungszeiten oder Notgruppen-Betrieb. Konflikte mit dem Arbeitgeber entstehen, wenn die Betreuung in der Kita nicht klappt."

Sophia Schacht, Pädagogische Fachkraft im Evangelischen Friedenskindergarten Münster und Mitglied der Mitarbeitervertretung.

Sophia Schacht sagt über den Wert ihrer Arbeit: "Ohne Kindertagesstätten würden Kindern viel weniger Förderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die es braucht, um Chancengleichheit zu schaffen."

Sophia Schacht, Pädagogische Fachkraft im Evangelischen Friedenskindergarten Münster und Mitglied der Mitarbeitervertretung

"Ich merke in meinem Arbeitsalltag, dass die Anschaffung neuer Materialien und für die Ausstattung des Kindergartens sorgfältig überlegt werden muss und an manchen Stellen auch nicht möglich ist. Hätten wir unsere engagierte Elternschaft nicht, so wäre zum Beispiel die Anschaffung neuer Laufräder durch Spenden in diesem Jahr vermutlich nicht möglich gewesen. Besonders der Beginn der Corona-Pandemie hat mir deutlich gezeigt, dass ohne Kindertagesstätten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele Familien sehr erschwert wird. Für viele Kinder bedeutete das unter anderem, wochenlang kaum Kontakt zu Gleichaltrigen, Freunden oder der deutschen Sprache zu bekommen. Und für viele Eltern bedeutete es große Not bei der Betreuung ihrer Kinder. Ohne Kindertagesstätten würden Kindern viel weniger Förderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die es braucht, um Chancengleichheit zu schaffen. 

Wir arbeiten mit einem betrieblichen Ausfallmanagement, das die Betreuung der Kinder unter gesetzlichen Vorgaben sichern soll und zeitgleich das vorhandene Personal nicht überlastet. Leider lässt es sich unter den aktuellen Bedingungen nicht vermeiden, dass die Betreuung im Kindergarten gelegentlich eingeschränkt ist. Die daraus entstehende Unzufriedenheit kann ich gut nachvollziehen. Für die Zukunft von Kindertagesstätten wünsche ich mir personelle und finanzielle Entlastung, damit der Beruf von Erziehern und Erzieherinnen an Attraktivität gewinnt und meinen Kollegen und Kolleginnen weiterhin Freude bereitet."

Protokoll: Theresa Demski, Fotos: Canva/Kaspar Grinvalds, privat

Ihr/e Ansprechpartner/in
Sabine Prott
Geschäftsfeld Tageseinrichtungen für Kinder