Diakonie gegen Armut
Für Familie Al Habibi ist die Kita eine wichtige Stütze der Integration
Wo Mozin Al Halabi in Hamm die Kräuter findet, die sie nach der langen Flucht aus Damaskus vermisst hat, hat sie in der Evangelischen Kindertagesstätte Arche Noah herausgefunden. Und auch wo muslimische Frauen in Hamm Kopftücher kaufen. Aber vor allem: "Ich kenne jetzt Leute, die ich alles fragen kann", erzählt die Syrerin. "Wohnung, Arzt, Arbeit, alles." Sie sagt das auf Deutsch. Ihre Familie ist angekommen in Hamm – viel schneller, als sie das selbst gedacht hat.
"Wir verstehen gut, sprechen ist schwerer", sagt ihr Mann Mohammad Al Horani. Als das Ehepaar das erste Mal mit ihren beiden Kindern vor der Tür der Kita Arche-Noah in Hamm-Herringen standen, war das anders: Sie verstanden gar nichts. "Wir haben nur 'Guten Tag' gesagt und gewartet", sagt Mohammad. Alle angespannt von einer Flucht übers Mittelmeer, den Balkan, zu Fuß, im Boot, mit dem Bus – ein Jahr lang mit Baby und Kleinkind.
Blumen pflanzen, Einkaufen, Wohnung finden - Erzieherinnen der Kita Arche Noah helfen in allen Alltagsfragen (Foto: Kita Arche Noah)
Armut und Ausgrenzung verhindern
Wo man zum Arzt geht, wie man Wohnungen findet, wie das deutsche Bildungssystem funktioniert und überhaupt der Alltag in Hamm – alles fremd. Aber: Sie hatten von der Sozialarbeiterin in der Sammelunterkunft für Asylbewerber gehört, dass die Kita der ganzen Familie hilft. Hier gibt es sogenannte Elternbegleiterinnen, die Eltern stärken und damit die Bildungschancen ihrer Kinder. Sie beraten die Familien, begleiten sie bei Behördengängen und vermitteln Unterstützung, um Armut und Ausgrenzung zu verhindern.
Die sechs Erzieherinnen der Kita Arche Noah haben sich im Bundesmodellprogramm "Elternchance" zu Elternbegleitern fortgebildet und mit der Stadt, Kirchengemeinden und Vereinen vor Ort vernetzt. Das Projekt des Bundesfamilienministeriums gibt es bereits seit sechs Jahren. Rund 8.000 Elternbegleiter sind an bundesweit mehr als 100 Standorten aktiv, darunter viele Mitarbeitende Evangelischer Kitas und Familienbildungsstätten der Diakonie RWL. In diesem Frühjahr ist im Rahmen des Modellprojekts ein zweites Programm gestartet, das sich gezielt an geflüchteten Familien mit Klein- und Schulkindern richtet.
Kompetente Elternbegleiterinnen: Heike Küfer und Nicole Bleyer
Erster Schritt: Vertrauen aufbauen
"Wir begleiten alle Eltern, die Bedarf haben, so viel und so lange sie das wollen und brauchen", betont Heike Knüfer, Kitaleiterin und eine der Elternbegleiterinnen. Was sie brauchen, kann sehr unterschiedlich sein. Im Umfeld des Familienzentrums, zu dem die Hammer Kita gehört, leben auch Familien in sozialen Schwierigkeiten, Alleinerziehende oder Einwanderer, die schon lange hier sind, aber nicht in der Mehrheits-Gesellschaft angekommen sind. Oder Geflüchtete, die nach traumatischen Erfahrungen von Krieg und Flucht in einer neuen Umgebung noch gar keinen Halt haben.
Wie Mozin und Mohammad. Die brauchten zuerst eine Wohnung und Hilfe bei der Suche, um aus der Sammelunterkunft ausziehen zu können. "Als Allererstes mussten wir Vertrauen aufbauen", sagt Erzieherin und Elternbegleiterin Nicole Bleyer. "Es war schon sehr schwer für die Eltern, ihre Kinder, um die sie auf der Flucht wahnsinnige Angst hatten, jetzt Unbekannten anzuvertrauen."
"Hallo - Hier bin ich!" - Massa ist gerne auf dem Spielplatz der Kita
Hilfreiche Netzwerke anbieten
Beim Kennenlernen hat der Familie auch die Eltern-Kochgruppe geholfen, die die Kita anbietet. Und die Nähgruppe, die in der nahen Kirchengemeinde stattfindet und zur Elternbegleitung gehört. Den Raum mit Nähmaschinen zur Verfügung stellt die Kirche, die auch zwei Honorarkräfte finanziert. Ein Elterncafé gehört ebenfalls zum Familienzentrum – offen und unverbindlich, ein Treffpunkt für Eltern. "Bei diesen Treffs kommen die Eltern untereinander und mit den Elternbegleitern ins Gespräch über ihren Alltag, Erziehungsfragen und Probleme", sagt Knüfer. "So entstehen enorm hilfreiche Netzwerke für Familien."
Hier hat Mozin auch die Einkaufstipps für Hamm bekommen. Mohammad tut das Kochen in der Kita gut, denn ihm fehlt seine Arbeit. "Ich war Koch in Damaskus", sagt er. Mit einem eigenen Falafel-Restaurant, in dem auch Mozin arbeitete. Beide machen gerade ihren Pflicht-Integrationskurs. "Vorher können sie hier auch nicht offiziell arbeiten", erklärt Knüfer. Immer wieder erhalten sie Jobangebote von Döner-Buden. Doch die Elternbegleiterin warnt davor, sie anzunehmen. Für die Chancen der Familie sei der offizielle Weg "tausendmal besser". Die Familie und die Begleiter sprechen über die problematischen Jobangebote, wägen das Für und Wider miteinander ab.
Gespräch mit Wörterbüchern - Bald ist das nicht mehr nötig
Wege aufzeigen, Eigeninitiative fördern
Mit auf dem Tisch liegen dabei noch die Arabisch-Wörterbücher, "die brauchen wir bald nicht mehr", sagt Knüfer. Und Mozin erzählt stolz, dass die Kinder untereinander schon auf Deutsch spielen. Ein Jahr gehen Massa (4) und Abdul Karim (3) jetzt schon in die Kita Arche Noah, leben in einer Wohnung in der Nähe, "mit zwei Balkonen", erzählt Mohammad. "Sehr, sehr schön. Alle haben so viel geholfen."
Doch es geht laut Heike Knüfer nicht darum, "dass wir alles für die Eltern übernehmen, sondern wir wollen motivieren und Wege aufzeigen". Dazu gehören Kontakte zu anderen Familien. Durch die niedrigschwelligen Treffs der Kita lernten sie Angebote und Menschen im Stadtteil kennen, die ihnen vorher unbekannt gewesen seien, aber ihr Leben verbesserten.
Massa und Abdul Karim haben ihre Badekleidung gerade in die Fächer geräumt, zeigen ihren Eltern in einem Gruppenraum ein Spiel. "Kurz nach der Flucht haben die beiden ihre Sachen nicht aus den Augen gelassen und Schuhe und Jacke direkt neben sich aufbewahrt", erzählt Nicole Bleyer. "Jetzt ist die ganze Familie hier angekommen."
Text und Fotos: Miriam Bunjes