Alltagshelferinnen in Kitas
"Jetzt mach' doch endlich das, was du immer schon machen wolltest." Diesen Satz hörte Nicole Polzin von ihren erwachsenen Töchtern, als sie in der Pandemie ihren Job als Kosmetikerin verlor. "Schon seit meiner Schulzeit wollte ich beruflich mit Kindern zu tun haben", erzählt die 55-jährige Frau aus Essen. "Aber ich hatte keine Idee, welche Schritte ich dafür in meinem Alter gehen könnte." Über das Arbeitsamt erfuhr sie vom neuen Programm der Kita-Alltagshelfer*innen, bewarb sich und wurde sofort genommen.
Seit April 2021 ist sie nun im Evangelischen Kita-Verband Essen angestellt. Als Alltagshelferin unterstützt sie die Erzieherinnen und Erzieher in der Kita "Zwergenland", indem sie Tische und Spielzeug desinfiziert, den Kindern beim Händewaschen und Ankleiden hilft, Geschirr wegräumt, Essen zubereitet oder beim Spielen im Garten und der Gruppe zur Hand geht. Schon im vergangenen August lief das Programm wieder aus, aber den Alltagshelfer*innen sollte die Chance einer Weiterbildung gegeben werden.
Nicole Polzin war sich zwar sicher, dass sie gerne in einer Kita arbeiten würde. Doch mit 55 Jahren noch mal einen neuen Beruf lernen? Wie ihr ging es auch anderen 20 Alltagshelferinnen und -helfern des Kita-Verbands. "Ich war mir unsicher, ob ich einer Ausbildung noch gewachsen bin", sagt die 43-jährige Gülü Rumanus. Auch bei ihr war es die Tochter, die den entscheidenden Satz sagte: "Man ist nie zu alt, um etwas Neues zu lernen." Die ehemalige Verkäuferin entschloss sich genau wie Nicole Polzin, eine praxisorientierte Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen.
"Alle reinkommen zum Essen!" Alltagshelferin Gülü Rumanus bringt Leidenschaft und Lebenserfahrung für den Beruf der Kinderpflegerin mit.
Quereinsteigerinnen fördern
55 Millionen Euro stellt das Land für seine Qualifizierungsoffensive bereit. Die Ausbildung zur staatlich geprüften Kinderpflegerin war bisher nur in Vollzeit an einer entsprechenden Schule ohne Entlohnung möglich. Nun geht es auch praxisintegriert an einer Kita. Voraussetzung sind ein Hauptschulabschluss, ein Platz an einer Berufsschule sowie ein Arbeitsvertrag über zwei Jahre.
All das macht der Evangelische Kita-Verband Essen nun für zehn seiner Alltagshelfer*innen möglich. "Angesichts des enormen Fachkräftemangels in den Kitas sehen wir großes Potenzial bei Quereinsteigerinnen wie Frau Polzin und Frau Rumanus", sagt Geschäftsführer Jörg Walther. "Sie haben selbst Kinder erzogen, bringen Lebenserfahrung und Leidenschaft für den Beruf mit." Walther setzt auf einen "Personalmix" von Erzieherinnen, die Abitur oder eine Ausbildung als Kinderpflegerin und eine dreijährige Ausbildung vorweisen müssen, und geringer qualifiziertem Fachpersonal, das unterstützt und entlastet.
"In unseren Teams haben wir durchweg gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Kinderpflegern gemacht", bestätigt Erzieherin Julia Hatting von der Mitarbeitervertretung.
Angesichts des Fachkräftemangels begrüßt Jörg Walther, Geschäftsführer des Ev. Kita-Verbands Essen, die Qualfizierungsoffensive des Landes NRW.
Der Personalmix macht's
Jörg Walther hält es daher für einen Fehler, in den Kitas nur auf gleich qualifiziertes Personal zu setzen. "Das hilft uns auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel nicht weiter." Qualifizierungsmaßnahmen wie es sie jetzt im Zuge des Alltagshelfer*innen-Programm gibt, seien längst überfällig, so betont er.
Allerdings hätten sie besser durchdacht sein können, kritisiert sein Kollege Matthias Lohaus, ebenfalls Geschäftsführer des Kita-Verbands. Denn die Qualifizierungsoffensive des Landes startet erst im Sommer 2022. Das Alltagshelfer*innenprogramm aber wurde im August 2021 vorerst beendet. Ein Jahr Leerlauf also für die angehenden Kinderpflegerinnen – "da sind die meisten interessierten Helferinnen und Helfer wieder weg."
Jörg Walther und Matthias Lohaus setzten daher mit ihrem Team alle Hebel in Bewegung, um ihre Alltagshelferinnen zu halten. Sie bewarben sich für das Bundesprogramm "Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher: Nachwuchs gewinnen, Profis binden". Immerhin sicherten die Geschäftsführer auf diese Weise die Jobs ihrer Alltagshelfer für ein weiteres halbes Jahr. Mit der Neuauflage des NRW-Programms von Januar bis zum Sommer 2022 gelingt nun ein nahtloser Übergang in die praxisorientierte Ausbildung.
Bei den Evangelischen Kindertagesstätten Wuppertal gab es nur wenig Interesse an der Qualifizierungsoffensive, berichtet Geschäftsführerin Marion Grünhage.
Qualifizierungsprogramm mit Lücken
Im Kampf gegen den massiven Fachkräftemangel in den Kitas ist die Qualifizierungsoffensive freilich nur ein kleiner Baustein. Und er funktioniert nicht überall. Bei den Evangelischen Kindertagesstätten Wuppertal etwa gab es unter den 34 Helferinnen und Helfern nur einen einzigen Interessenten. "Bei uns waren überwiegend Hilfskräfte im Einsatz, die sich am Übergang von der Schule zum Studium oder Beruf befanden", berichtet Geschäftsführerin Marion Grünhage. In der Pandemie sei das Alltagshelfer*innen-Programm dennoch eine große Entlastung, betont sie. "Wir begrüßen sehr, dass es in diesem Januar wieder aufgelegt wird."
Auch Nicole Pelzin und Gülü Rumanus sind froh, dass sie bis zu ihrer Ausbildung weiterhin als Alltagshelferinnen im Einsatz sein können: "Eine Gruppe mit 20 Kindern zu leiten, die Kinder zu fördern, ihre Entwicklung zu dokumentieren und gleichzeitig noch alle Hygienevorschriften einzuhalten, ist eine Überforderung. Mit unserer Unterstützung können die Erzieherinnen ihren Job machen und dafür sorgen, dass die Kinder und ihre Bedürfnisse in dieser Pandemie nicht zu kurz kommen."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: Ev. Kita-Verband Essen, Diakonie Wuppertal
Die Evangelischen Kindertagesstätten Wuppertal
Weiterqualifizierung für Kita-Alltagshelfer*innen des Landes NRW
Interview mit Marion Grünhage zur Kita-Klage der Diakonie Wuppertal
Kinder und Kitas
Das Alltagshelfer*innen-Programm der NRW-Landesregierung war im Sommer 2020 aufgelegt worden und endete nach einem Jahr. Drei von vier der etwa 10.500 Kitas machten von dem Angebot Gebrauch. Etwa 5.000 Hilfskräfte waren im Einsatz. Für die Weiterqualifizierung interessierter Kita-Helfer*innen sollen ab Sommer 2022 rund 3.500 Plätze zur Verfügung stehen. Bundesweit will NRW Vorreiter bei der neuen praxisorientierten Ausbildung zur staatlich geprüften Kinderpflegerin oder zum Kinderpfleger sein, die im Rahmen der Weiterqualifizierung angeboten wird.
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen für eine kindgerechte Personalausstattung bei gleichzeitigem Kitaplatzausbau bundesweit bis 2030 mehr als 230.000 Erzieherinnen und Erzieher, davon etwa 50.000 in NRW.