Stellungnahme Offene Ganztagsschule
100 Kinder in der Betreuung, aber nur zwei Räume. Personal, das ständig Überstunden macht. Förderangebote, die ausfallen und Freizeitaktivitäten, die nicht stattfinden können, weil es zu wenig Mitarbeitende in der OGS gibt: Schon seit Einführung der Offenen Ganztagsgrundschule in NRW im Jahr 2003 fehlt es an Geld, Personal und Qualitätsstandards. Nun steht der bundesweite Rechtsanspruch vor der Tür, der jedem neu eingeschulten Kind ab 2026 einen Ganztagsplatz in der Grundschule garantierten soll. Prognosen zufolge werden allein in NRW etwa 200.000 zusätzliche Plätze benötigt. Rund 350.000 gibt es derzeit, mehr als 80 Prozent werden von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege NRW gestellt.
"Eltern wünschen sich schon lange, dass die Ganztagsangebote ausgeweitet werden. Insofern begrüßen wir den Rechtsanspruch und den damit verbundenen Ausbau der Plätze. Aber an erster Stelle muss jetzt eine Debatte über die Standardisierung der Angebote und damit um eine überall gleiche, hohe fachliche Qualität stehen", erklärt Helga Siemens-Weibring, sozialpolitische Beauftragte der Diakonie RWL. Als Vorsitzende des Arbeitsausschusses "Kinder, Jugend und Familie" der Freien Wohlfahrtspflege NRW nimmt sie am 8. Dezember in einer Landtagsanhörung Stellung zum Ausbau der Ganztagsbetreuung in NRW.
Ist für die Freie Wohlfahrtspflege am 8. Dezember im Landtag NRW: Helga Siemens-Weibring, sozialpolitische Beauftragte der Diakonie RWL, nimmt Stellung zum OGS-Ausbau
Feste Betreuungsschlüssel einführen
Für die Wohlfahrtsverbände gehören zu diesen Standards vor allem feste Betreuungsschlüssel. "Es kann nicht sein, dass wir festgeschriebene Personalschlüssel in der Kita haben, aber sobald die Kinder in die erste Klasse und damit in die OGS wechseln, fällt das weg", kritisiert Siemens-Weibring. Für 25 Kinder sollten laut Positionspapier der Freien Wohlfahrtspflege eine Fachkraft mit 27,5 sowie eine Ergänzungskraft mit 15 Wochenstunden zur Verfügung stehen. Hinzu kommen weitere Personal- und Sachkosten etwa für das Küchenpersonal, Bücher oder Bastelmaterialien. Derzeit gibt es pro OGS-Platz rund 1.800 Euro im Schuljahr. Deutlich zu wenig. "Wir benötigen mehr als 1.500 Euro zusätzlich pro Platz."
Ein weiterer Knackpunkt sind die Betriebskosten. "Die Träger brauchen eine verlässliche und einheitliche Finanzierung ihrer Betriebskosten. Wie gut eine OGS ausgestattet ist, sollte nicht mehr davon abhängen, wie viel die Kommunen dafür an freiwilligen Beiträgen zu zahlen in der Lage oder bereit sind." Auch für einheitliche Elternbeiträge spricht sich die Freie Wohlfahrtspflege aus, denn die sind je nach Kassenlage der Kommunen sehr unterschiedlich. Allerdings sei die Streichung zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierbar. "Das würde auf Kosten der Qualität gehen, denn dann entstehen große Finanzierungslücken."
Es müssen nicht nur mehr pädagogische Fachkräfte ausgebildet, sondern auch mehr Qualifizierungen für OGS-Personal angeboten werden.
Mehr in Weiterbildung investieren
Dass die OGS mehr qualifiziertes Personal brauche, sei schon lange klar, betont Siemens-Weibring. "Aber wir haben derzeit einen eklatanten Fachkräftemangel. Deshalb müssen wir unbedingt mehr in die Qualifizierung und Weiterbildung des Personals, das uns zur Verfügung steht, investieren." Laut einer bundesweiten Umfrage der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) unter Mitarbeitenden in Kitas und Horten bzw. OGS erhalten etwa 40 Prozent keine Möglichkeit der Höherqualifizierung. Nur sieben Prozent befanden sich in einer Qualifizierungsmaßnahme.
In der Stellungnahme fordert die sozialpolitische Beauftragte der Diakonie RWL für die Freie Wohlfahrtspflege, nun schnell eine landesgesetzliche Regelung für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf den Weg zu bringen – und die Kommunen dabei einzubeziehen. "Die Investitionsmittel des Bundes müssen gezielt und mit Blick auf kommunale Bedarfe eingesetzt werden." So reiche es nicht, vorhandene Klassenräume ganztägig zu öffnen. Es müsse zusätzlicher Schulraum geschaffen werden, da die Schülerzahlen bis 2030 zunehmen.
Ganztagsbetreuung ist "systemrelevant", denn sie trägt dazu bei, Bildungsungleichheit zu überwinden.
Mehr Plätze, Qualität, Bildung
Die Anhörung im Landtag steht unter dem Titel "Eine Ganztagsoffensive für NRW. Mehr Plätze, mehr Qualität, mehr Bildung". Sie nehme das wörtlich, betont Siemens-Weibring. Gerade in der Pandemie sei deutlich geworden, "wie systemrelevant die Ganztagsbetreuung von Kindern ist". Es hätten Notbetreuungen stattgefunden und die Kontakte zu Kindern und ihren Familien seien durch vielfältige Maßnahmen bis hin zu Snack-Paketen anstelle eines gemeinsamen Mittagessens aufrechterhalten worden.
"Wenn wir uns fragen, was wichtig für unsere Gesellschaft ist, dann kann die Antwort doch nur lauten, dass wir unseren Kindern die Chancen auf eine gute Zukunft geben wollen. Wir möchten ihnen bessere Teilhabechancen ermöglichen und Bildungsungleichheit abbauen. Das kostet, aber es zahlt sich aus."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: pixabay, Evangelisches Bildungswerk im Kirchenkreis Duisburg
Positionspapier der Freien Wohlfahrtspflege zur OGS-Finanzierung
OGS-Landesgesetz für NRW - Pressemitteilung der Freien Wohlfahrtspflege NRW
Zerreißprobe für den Offenen Ganztag – OGS in der Pandemie
Notbetreuung in der OGS
Jugend und Schulen