Schulstart
Rote, blaue, grüne und gelbe Schnellhefter neben Buntstiften, Füllern, Wachsstiften und Farbkästen, dazu Zirkel und Radiergummis: Das Lukas-Gemeindezentrum in Paderborn hat sich wieder zur Schulmaterialienkammer verwandelt und ähnelt nun einem Laden für alles, was zum Lernen nötig ist. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Familien erhalten die Hefte, Zeichenblöcke und Co. kostenlos. Mit ihrem kleinen Einkommen können sie sich die nötigen Dinge für das neue Schuljahr nicht leisten.
Mehrmals im Jahr öffnet die Schulmaterialienkammer der Diakonie Paderborn-Höxter, doch kurz vor Ferienende ist Hauptsaison – die "Powerwochen" stehen an, wie Leiterin Susanne Bornefeld sagt. Die 65-jährige Lehrerin ist in der Zeit zwei Wochen lang täglich mit zehn bis 20 Ehrenamtlichen von 9 bis 18 Uhr im Einsatz. Zwei Tage lang können die Familien Termine vereinbaren, danach startet die Ausgabe.
Am Eingang des Gemeindezentrums prüfen Ehrenamtliche an der Rezeption die Bedürftigkeit der Familien und gleichen ab, was die Kinder schon in Vorjahren bekommen haben und was sie dieses Mal brauchen. Dann geht es weiter in den großen Saal, in dem sich alles von Anspitzer bis Zirkel findet, was benötigt wird. Als letztes unterschreiben die Eltern, dass sie die Materialien erhalten haben.
Manche Lehkräfte verlangen Materialien wie Malkästen von einer bestimmten, teuren Marke. Das können sich viele Eltern nicht leisten. Die Schulmaterialienkammer stattet die Kinder bei Bedarf aus.
Durchgehend große Nachfrage
Wer Schulmaterial bekommen möchte, muss sich an bestimmte Regeln halten. "Die Familien müssen ihre Bedürftigkeit nachweisen – also etwa ALG II, Sozial- oder Wohngeld beziehen", erklärt Bornefeld. "Außerdem müssen die Schülerinnen und Schüler pfleglich mit den Spenden umgehen." Gut erhaltene gebrauchte und gespendete Schulranzen werden zudem nur gegen eine symbolische Spendengebühr von rund fünf Euro vergeben.
1.500 bis 2.000 Schülerinnen und Schüler stattet die Schulmaterialienkammer im Jahr aus. "Das ist auf einem konstant hohen Niveau für eine Stadt mit 150.000 Einwohnern", sagt die Paderbornerin. Dieses Jahr werden es eher mehr werden, schätzt sie. Der Grund: Sie haben bereits im Frühling 300 Kinder aus der Ukraine mit Tornistern, Sportkleidung, Stiften und Blöcken versorgt. Außerdem sind schon jetzt mehr Familien mit Erstklässler*innen zu ihnen gekommen: "Normalerweise haben wir rund 300 Kinder, die wir für den Schulstart ausstatten", berichtet die Lehrerin. "Doch dieses Jahr waren es schon jetzt 350."
Preise steigen, vor allem für Papier
Das Projekt ist aus Spenden finanziert, dafür sammelt die Diakonie in Paderborn pro Jahr 30.000 Euro ein. Dank der großen Hilfsbereitschaft vor Ort kam das Geld bislang immer zusammen, sagt Bornefeld. Wichtig ist auch ihr Team aus 30 Ehrenamtlichen: "Ohne sie würde gar nichts laufen. Die Ehrenamtlichen sind ein Schatz, manche sind von der ersten Stunde an dabei", betont die Lehrerin, die die Schulmaterialienkammer als bundesweit erste vor 17 Jahren gründete.
Doch die Kosten steigen: Ein bestimmtes kariertes Heft, von dem sie 5.000 Stück beim Großhandel bestellt, kostet zum Beispiel mittlerweile 33 statt 22 Cent. "Papier ist teurer geworden. Die letzte Preissteigerung ist zum 1. Juli gekommen." Sie vergleicht die Preise ganz genau, sodass sie auch schon mal mit ihrem Team mehrere Discounter aufsucht, um etwa Sammelmappen und Etuis im Angebot zu kaufen. "So günstig wären wir da nie wieder drangekommen – auch nicht beim Großhändler", sagt Bornefeld.
Familien, die Sozialleistungen erhalten, bekommen pro Jahr eine Pauschale von 156 Euro für Schulmaterialien wie Tornister, Stifte und Hefte.
"Bildung darf nicht vom Geld abhängen"
Die steigenden Preise spüren besonders Familien, die wenig Geld zur Verfügung haben. Bislang hat die Bundesregierung noch keine Entlastungen im Bereich Bildung vorgesehen. Für den Schulbedarf stehen Kindern und Jugendlichen aus Familien, die Sozialleistungen erhalten, 156 Euro im Jahr zur Verfügung. Die Pauschale aus dem Bildungs- und Teilhabepaket reicht jedoch nicht aus: Nur für Schulmaterial zahlen Eltern an Grundschulen 190 Euro im Jahr, an weiterführenden Schulen 250 Euro, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der Landeselternkonferenz NRW. Hinzu kommen größere Anschaffungen wie Tornister, Turnbeutel und Sportschuhe.
"Die Pauschale reicht nicht aus", sagt Heike Moerland, Leitung Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). "Es kann nicht sein, dass Kinder und Jugendliche schon am ersten Schultag abgehängt werden, weil sie nicht gleichberechtigt am Unterricht teilhaben können. Bildung darf nicht an der Geldbörse der Eltern scheitern." Die bisherigen mehr als 150 einzelnen Leistungen im Sozial- und Steuerrecht für Familien seien zu kompliziert und ungerecht. "Wir fordern schon lange eine Kindergrundsicherung – eine einheitliche Leistung pro Kind", betont die Diakonie RWL-Armutsexpertin. "Für Familien mit kleinem Einkommen oder im Leistungsbezug kann dieser Betrag dann unkompliziert aufgestockt werden."
"Wir wollen, dass die Bildungschancen von Kindern nicht an ihrer Herkunft scheitern", betont Susanne Bornefeld.
"Wir sehen: Es hat etwas gebracht."
"Die Dankbarkeit ist enorm. Wir hören sehr oft: 'Danke, dank euch haben wir es geschafft!'", erzählt Bornefeld. Eine solche Erfolgsgeschichte ist eine Studentin, die mit ihrem Bafög-Bescheid und einem kleinen Schulkind zu ihr kam. "Wir haben zwei Jahre lang ihren Sohn ausgestattet. Jetzt macht er bald Abitur – und die Mutter hat nicht nur ihr Studium abgeschlossen, sie ist mittlerweile verbeamtete Sonderpädagogin", berichtet die Lehrerin. "Es ist besonders schön, wenn wir sehen, dass unsere Arbeit etwas gebracht hat." Vor ein paar Tagen kam etwa ein Student der Zahnmedizin, der für seine kleine Schwester Materialien holte. "Er sagte uns: 'Ohne euch hätte ich das Abi nicht so leicht geschafft. Wenn ich Zahnarzt bin, kommt eine Großspende!'", erzählt Bornefeld.
"Es ist gut, dass es die Schulmaterialienkammer gibt, aber es ist ein Skandal, dass es sie geben muss", so Bornefeld. "Wir wollen, dass die Bildungschancen von Kindern nicht an ihrer Herkunft scheitern." Deshalb wird die Schulmaterialienkammer weiter ihre Türen öffnen – damit Kinder nicht schon in der ersten Klasse abgehängt werden.
Text: Jana Hofmann, Fotos: Shutterstock, Pixabay und Diakonie Paderborn-Höxter
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