NRW-Wahl
Wenn Lena Alberty-Faßbender ihr Kreuz für die Landtagswahl macht, liegt ihr vor allem ein Thema am Herzen: die Betreuung ihrer beiden Kinder. Die jüngere Tochter geht in die Kita, für die 8-Jährige konnten sie einen Platz in der Offenen Ganztagsschule (OGS) ergattern. Das entlastet Familie Alberty-Faßbender deutlich, denn beide Eltern sind voll berufstätig. An die Politik hat die Mutter deshalb eine drängende Frage: "Wie können Sie es gewährleisten, dass ich mit gutem Gewissen arbeiten gehen kann, um meinen Lebensstandard zu halten – und meine Kinder trotzdem gut betreut und gebildet weiß?"
Lena Alberty-Faßbenders Frage bildete den Auftakt zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Offener Ganztag der Freien Wohlfahrtspflege NRW zur Landtagswahl am 15. Mai. Aus der Politik mit dabei waren Olaf Lehne (CDU), Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD), Ralph Bombis (FDP) und Lena Zingsheim (Bündnis 90/Die Grünen).
16.000 Fachkräfte bis 2026
Kurz vor der jüngsten Bundestagswahl hatten sich Bundestag und Bundesrat auf einen Rechtsanspruch zur Ganztagsbetreuung für alle Kinder in der Grundschule geeinigt. Er startet schrittweise ab dem Schuljahr 2026/27, beginnend mit der ersten Klasse. Eltern haben damit die Garantie, dass ihre Kinder auch am Nachmittag betreut werden können, wenn sie das wünschen.
Um den zu erwartenden Bedarf in NRW zu decken, müssen in den kommenden Jahren 5.000 bis 9.000 neue Vollzeitstellen geschaffen werden. Das entspricht etwa 10.000 bis 16.000 neuen Fachkräften, da in diesem Bereich besonders häufig in Teilzeit gearbeitet wird. Das rechnet Dirk Nüsken, Professor für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Bochum, zu Beginn der Veranstaltung vor.
Wie die nächste Landesregierung es schaffen will, in nur vier Jahren so viele neue Fachkräfte zu finden, auszubilden – und dann auch in diesen Jobs zu halten, ist eine der Kernfragen für die Zukunft des Offenen Ganztags und anderer Erziehungsberufe in NRW.
Multiprofessionale Teams an Schulen fordert Lena Zingsheim (Mitte).
Quantitativer Ausbau nicht ohne Qualität
Bislang sei die Qualität des Offenen Ganztags in NRW noch sehr unterschiedlich, kritisierte Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD). Denn einen einheitlichen, gesetzlich festgelegten Standard gibt es für die OGS bisher nicht – im Gegensatz zum Kitabereich.
Lena Zingsheim wies darauf hin, dass für eine gute Umsetzung der Ganztagsbetreuung Kooperationen notwendig sind. "Wir müssen auch über Multiprofessionalität sprechen. Und multiprofessionelle Teams mit den Schulen verzahnen", sagte die Grünen-Direktkandidatin aus Mönchengladbach. Der Schultag könne auch neu gestaltet werden: Statt den Tag in Unterricht am Vormittag und Betreuung am Nachmittag zu teilen, kann auch beides rhythmisiert über den Tag verteilt stattfinden.
Problem Fachkräftemangel
Ralph Bombis plädierte dafür, die Organisation des Ganztags als Weg zu beschreiben, an dessen Ende eine möglichst optimale Betreuung steht. "Wir werden nicht morgen schon überall ideale räumliche oder finanzielle Voraussetzungen haben und wir werden schon gar nicht direkt über die notwendigen Fachkräfte verfügen", sagte der FDP-Landtagsabgeordnete, der als einziger aus der Runde nicht erneut kandidiert.
Mehr Lehrkräfte einzustellen sei nur ein Teil der Lösung, erklärte Olaf Lehne. "Wir müssen auch über Mindeststandards diskutieren", betonte der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion NRW. Die Standardisierung hänge von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von der Finanzierung.
Wie können Fachkräfte für den Offenen Ganztag gewonnen werden? Das Publikum diskutierte vor Ort mit den Politiker*innen.
Ausbildung vorantreiben
Auf strukturelle Probleme bei der Ausbildung von angehenden Betreuungskräften wies Ludwig Wenzel hin, Schulleiter des evangelischen Berufskollegs Bleibergquelle in Velbert. Praktika müssen ganztägig stattfinden, im Offenen Ganztag sind die Fachkräfte bisher aber nur halbtags beschäftigt. Deshalb könnten viele seiner Schülerinnen und Schüler dort bislang keine Erfahrungen sammeln, kritisierte der Schulleiter.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Eva-Maria Voigt-Küppers, kennt das Problem um den Ausbildungs-Nachwuchs auch aus ihrem Aachener Wahlkreis. Sie sprach sich dafür aus, angehende Erzieherinnen und Erzieher schon während der Ausbildung zu bezahlen.
Schon jetzt investiere die Politik in die Ausbildung, sagte der CDU-Finanzexperte Olaf Lehne. In der letzten Legislaturperiode seien viele neue Studien- und Ausbildungsplätze geschaffen worden. Lena Zingsheim (Bündnis 90/Die Grünen) hingegen unterstrich, dass gleichzeitig noch nie so viele Stellen unbesetzt gewesen seien wie aktuell.
Freiwilligendienst als Einstieg
Ein guter Weg, um künftiges Personal auf soziale Berufe aufmerksam zu machen, sind Freiwilligendienste: Fast 40 Prozent derer, die ein Jahr als Freiwillige in sozialen Berufen absolvieren, entscheiden sich später für ein Studium oder eine Ausbildung in diesem Bereich.
Da es in NRW aber keine Landesförderung für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) gibt, können sich viele Einsatzstellen, vor allem im Bereich Kita und OGS, keine Freiwilligen leisten. "So können wir leider vielen jungen Leuten keinen Platz in diesem Bereich anbieten, die sich gerne dafür entschieden hätten", sagte Regina Kluck, Referentin für Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL. Das Interesse sei groß: "Wir müssen jedes Jahr etwa 200 Bewerbern absagen."
Auch hier bestand Einigkeit zwischen den Parteivertreter*innen. "Da müssen wir nacharbeiten", unterstrich etwa Lena Zingsheim (Bündnis 90/Die Grünen). Olaf Lehne (CDU) und Ralph Bombis (FDP) sprachen sich dafür aus, in dieser Frage von anderen Bundesländern zu lernen. Und alle betonten: Bis der Rechtsanspruch in vier Jahren greift, hat die Politik noch viele Aufgaben zu meistern.
Text: Carolin Scholz, Fotos: Hans-Jürgen Bauer/Freie Wohlfahrtspflege NRW
Veranstaltung der Freien Wohlfahrtspflege NRW
Die Forderungen der Freien Wohlfahrtspflege NRW zur Landtagswahl
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