21. Mai 2021

Impfen in der Jugendhilfe

Solidarität mit den Jungen

Die Alten schützen – darum ging es vor allem während der ersten Monate der Pandemie. Jetzt schreiten die Impfungen weiter voran, doch Kinder und Jugendliche müssen noch immer starke Einschränkungen hinnehmen. Und auch in der Jugendhilfe gehen die Impfungen in den ambulanten und teilstationären Angeboten nur schleppend voran, sagt Familienexperte Tim Rietzke in der neuen Folge der Impfreihe #ärmelhoch.

  • Tim Rietzke, Geschäftsfeldleitung Familie und junge Menschen, lässt sich gegen das Corona-Virus impfen.
  • Silke Gaube von der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land
  • Stefan Wutzke von der Ev. Stiftung Overdyck
  • Ein junger Mann lässt sich impfen.

Solidarität mit den Älteren und schnelle Impfungen in Senioren- und Pflegeheimen: Haben wir die Kinder und Jugendlichen in der Pandemie vergessen?

Sie sind tatsächlich in vielen Bereichen aus dem Blick geraten. Ich verstehe, dass es lange um die besonders gefährdeten Risikogruppen ging. Aber dass Kinder und Jugendliche über Monate hinweg in der öffentlichen Diskussion nur im Zusammenhang mit Schulschließungen oder -öffnungen vorkamen, hat mich enttäuscht. Was ist mit den stationären Jugendhilfeeinrichtungen, den Angeboten der Jugendsozialarbeit oder den Freizeitangeboten der Jugendarbeit? Wir mussten uns in der Bundes- und Landespolitik immer wieder in Erinnerung rufen.

NRW hat aber die Mitarbeitenden in der stationären Jugendhilfe bereits in der Prioritätsgruppe zwei geimpft.

Dankenswerterweise hat das Land NRW die Gruppe der Erzieherinnen und Erzieher, der Grundschul- und Förderlehrerinnen und -lehrer so erweitert, dass auch die Fachkräfte aus der stationären Jugendhilfe geimpft werden konnten. Das war wichtig, denn in Wohngruppen oder familienähnlichen Wohngemeinschaften ist es natürlich völlig unrealistisch, permanent Abstand zu den Kindern zu halten. Die Impfbereitschaft war bei unseren Trägern entsprechend hoch. Die Kolleginnen und Kollegen wollen sich und die Kinder schützen.

Wie sieht es in der ambulanten und der teilstationären Jugendhilfe aus?

Viele der Mitarbeitenden warten noch auf ihre Impfung. Sie sind in der Gruppe drei, sind aber im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen noch nicht an der Reihe. Vermutlich werden Beschäftigte in der Kinder- und Jugendhilfe auch nicht mehr vor der für Juni angekündigten Öffnung geimpft werden können. Die Auswahl der Berufsgruppen ist für mich schwer nachvollziehbar. Warum werden Angestellte in der Justiz geimpft, aber nicht die Sozialarbeiterinnen aus der Jugendhilfe, die in die Familien gehen, um zu beraten und zu unterstützen?

Ein Impfpass würde ihre Arbeit enorm erleichtern. Es gibt Familien, die möchten die Familienhelferinnen nicht in die Wohnung lassen. Sie geben an, dass die Angst zu groß sei, sich bei den Sozialarbeiterinnen mit Corona zu infizieren. Wenn die Kollegen und Kolleginnen an der Haustür einen Impfpass vorzeigen könnten, würde das Vertrauen schaffen. Denn ohne Nähe und Offenheit ist die Arbeit der Erziehungshilfe enorm schwierig. 

Die Neuinfektionen gehen rapide zurück und NRW öffnet langsam wieder. Was bedeutet das für die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe?

Freizeiten, Angebote von Jugendzentren und andere Aktivitäten sind hoffentlich bald wieder möglich. Für die Kinder und Jugendlichen ist das nach all den Einschränkungen sehr wichtig. Die sozialen Kontakte und Freundschaften, die fürs Erwachsenwerden so wichtig sind, sind im vergangenen Jahr viel zu kurz gekommen. Ich wünsche mir jetzt eine echte generationsübergreifende Solidarität, damit die Jungen jetzt wieder Normalität erleben können. Impfungen für Kinder und Jugendliche sind für mich der nächste konsequente Schritt.

Auch das Aufholpaket der Bundesregierung ist ein Anfang. Es gibt Befürchtungen, dass sich die Zahl der Schulabbrecher in den nächsten zwei Jahren verdoppeln könnte. Da müssen wir jetzt gegenhalten und Kindern und Jugendlichen einerseits ermöglichen, Versäumtes aufzuholen und sie andererseits gezielt stärken und unterstützen. Das zwei Milliarden Euro starke Paket darf hier nur eine erste Finanzspritze sein. Wenn wir Betriebe wie die Lufthansa mit neun Milliarden Euro unterstützen, müssen wir auch bereit sein, jetzt nachhaltig in unsere Zukunft zu investieren: in unsere Kinder und Jugendlichen.

Das Gespräch führte Ann-Kristin Herbst.

Ihr/e Ansprechpartner/in
Tim Rietzke
Geschäftsfeld Familie und junge Menschen