15. September 2015

Leben im digitalen Dorf

Jugendschutz und soziale Netzwerke

Ob YouTube oder YouNow: soziale Netzwerke bestimmen die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. Die neuen Stars heißen Gronkh und Sarazar, aber auch Jennifer und Max. Auf einer Tagung der Diakonie RWL beschäftigen sich pädagogische Fachkräfte jetzt mit den Chancen und Gefahren der digitalen Plattformen. Leo Cresnar vom Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen hat sie sich genauer angesehen.

Zwei Jugendliche mit Handies

Herr Cresnar, ohne Smartphone und Computer geht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland scheinbar nichts mehr. Soziologen sprechen schon von der "Head-Down-Generation", die immer runter auf ihr Handy blickt. Warum ist es für Kinder und Jugendliche so wichtig, immer "on" zu sein?  

Sie haben Angst, etwas zu verpassen und plötzlich draußen zu stehen, vom Informationsfluss abgeschnitten zu sein. Studien besagen, dass Kinder und Jugendliche heute täglich rund 200 Mal auf ihr Handy sehen. Denn in den Gruppen, die sie über die sozialen Netzwerke nutzen, passiert immer etwas. Sei es, dass jemand Bilder von der Katze zeigt, mit der er gerade im Garten spielt und dafür Kommentare erhält, sei es, dass man über ein wichtiges Treffen informiert wird.

Welche Folgen hat diese permanente digitale Kommunikation für das reale Miteinander in Gruppen?

Es gibt sicherlich eine andere Verbindlichkeit als früher. Kinder und Jugendliche können leichter auswählen, auf welche Party sie gehen möchten und sagen dann eine Verabredung kurzfristig ab. Es ist einfacher, wenn man dabei niemandem in die Augen sehen muss. Für denjenigen, dem da eine Absage erteilt wird, ist die Verletzung allerdings genauso groß.

Die digitale Welt ändert sich ständig – Facebook und WhatsApp sind für Jugendliche schon nicht mehr die erste Wahl. Seit die amerikanische Plattform YouNow 2011 gestartet ist, wächst sie explosionsartig. Warum?

Bei YouNow können Jugendliche ab 13 Jahren ganz direkt kommunizieren. Sie müssen nicht wie etwa auf der Plattform YouTube ein Video drehen, schneiden, es online stellen und erhalten erst dann eine Rückmeldung von den Usern. Sie senden live aus ihrem Zimmer und bekommen im Chat unmittelbar eine Reaktion – Lob oder Tadel. Diese direkte Kommunikation ist emotional aufregend. Sie dient natürlich auch der Selbstbestätigung, die Jugendliche suchen und brauchen.

Sie birgt aber auch jede Menge Gefahren.

Das Problem dabei ist, dass das Gegenüber im Chat anonym bleiben kann und so auch Erwachsene Einblick in die Kinderzimmer bekommen und Kinder und Jugendliche zu sexuellen Handlungen auffordern können, die zunächst wie ein lustiges Spiel wirken, aber pädophile Neigungen bedienen. Teenies ist diese Gefahr oft gar nicht bewusst, und Eltern wissen oft noch nicht, dass es diese Plattform überhaupt gibt und ihre Kinder sie nutzen. Da ist viel Aufklärungsarbeit nötig – besonders, wenn es um Kinder zwischen 8 und 12 Jahren geht.

Wie aufgeklärt sind denn Eltern und Pädagogen darüber, was Kinder und Jugendliche in den sozialen Netzwerken machen?

Insgesamt hat die Sensibilität dafür stark zugenommen. Doch es gibt viel Verunsicherung und häufig besteht der Wunsch, dass wir Medienpädagogen ihnen klare Regeln an die Hand geben, was erlaubt sein sollte und was nicht. Unser Ansatz ist aber ein anderer. Kinder und Jugendliche brauchen geschützte Räume, in denen die Erwachsenen nicht präsent sind. Insofern sollte die Nutzung sozialer Netzwerke nicht verboten werden. Aber es ist wichtig, dass dafür Maßstäbe entwickelt werden, an denen sie sich orientieren können. Denn diese Netzwerke sind eben nicht privat, sondern öffentlich. Und daher gilt die Faustregel: Alles, was mir oder anderen schadet, darf nicht in sozialen Netzwerken gezeigt oder gesagt werden. Und wenn ich dabei im realen Leben rot werde vor Scham, sollte ich diese Bilder oder Kommentare nicht online stellen.

Sie sind mit dem Thema viel in Schulen und Jugendeinrichtungen unterwegs. Reichen die Angebote, die wir in Sachen Medienkompetenztraining inzwischen haben?

Nein, sie reichen nicht. Oft sind Angebote, zum Beispiel von der Landesanstalt für Medien, mit der wir in NRW zusammenarbeiten, schon Ostern ausgebucht. Es gibt einen sehr großen Bedarf an Schulungen für Lehrer, Eltern, Kinder und Jugendliche. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Träger nicht vernetzt arbeiten. Jede Gruppe wird separat besucht. Meines Erachtens wäre es aber sinnvoller, wenn eine Projektwoche an einer Schule sowohl das Medienkompetenztraining für Schüler als auch eine Fortbildung für Lehrer und Eltern beinhalten würde, denn dann könnten sich alle Beteiligten ganz anders darüber austauschen. Sinnvoll wäre es auch, wenn die Beratungsstellen vor Ort, etwa die Suchtberatungsstellen, eingebunden würden. Denn sie können ein wichtiger Ansprechpartner sein. Viele Eltern und Pädagogen beschäftigen sich mit der Frage, wann Onlinesucht beginnt und wie sie Jugendliche davor schützen können.

Wie häufig begegnet Ihnen Onlinesucht?

Eigentlich kommt es sehr selten vor. Gerade in der Pubertät sind Jugendliche viel im Netz unterwegs. Doch die Fälle, in denen der starke Konsum von Onlinespielen in die Sucht führt, sind gering. Gefährlich wird es, wenn das Spielen absolute Priorität gewinnt. Schule, Freunde und beliebte Freizeitaktivitäten darüber vernachlässigt werden. Häufiger als pubertierende Jugendliche stehen nach meiner Beobachtung junge Studenten in der Gefahr, in Online-Rollenspielen zu versinken, wenn sie von zu Hause ausgezogen sind und plötzlich alleine in ihrem Studentenzimmer sitzen.

Wie wird die "Head-Down-Generation" unsere Gesellschaft verändern?

Es ist klar, dass die sozialen Netzwerke aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind. Laut aktuellen Studien nutzt ja schon ein Drittel aller Dreijährigen Smartphone-Apps, und 90 Prozent der 12- bis 13-Jährigen sind regelmäßig online. Es ist wichtig, dass sie für die Zukunft Regeln finden, wie sie all die Informationen filtern, die täglich virtuell auf sie einströmen. Früher ging es ja eher darum, diese Informationen überhaupt zu bekommen. Kinder und Jugendliche müssen erkennen, welchen Wahrheitsgehalt die jeweiligen Informationen haben und nach welchen Mechanismen sie funktionieren. Nur dann können sie ihren eigenen Standpunkt finden und vertreten und zu selbstbewussten und verantwortlichen Erwachsenen werden. Dabei müssen wir sie als Eltern, Lehrer und Pädagogen in der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

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