Schutz vor sexueller Gewalt
Schulung mit VCP-Bildungsreferent Carsten Waldminghaus
Seine Schulungen für die jugendlichen Gruppenleiter des Verbands Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) beginnt Carsten Waldminghaus meistens mit einem schlichten Satz: "Achtsam & aktiv im VCP". "Mit dem Begriff 'aktiv' können alle sofort etwas anfangen", erzählt er. Doch wenn er 'achtsam' auf dem Flipchart mit Wörtern wie Duschen, Übernachtung im Zelt oder Umziehen füllt, erntet er unsichere Blicke.
"Natürlich kennen alle das Thema sexueller Missbrauch", sagt der Bildungsreferent des VCP Westfalen. "Aber sie bringen es nicht mit sich und den Pfadfindern in Verbindung." Seit 2010 gehört es in jeden Grundkurs für Gruppenleitungen. Und bei der Diskussion über achtsames Verhalten mit den meist 13 bis 18-jährigen Jugendlichen wird laut Waldminghaus schnell deutlich, dass das gemeinsame Duschen und Übernachten im Zelt Grenzen der Scham und Intimsphäre verletzen kann. "Was erwachsene Pfadfinder oft als gute Tradition empfinden, sehen Jugendliche heute kritisch und berichten von Situationen, in denen sie sich unwohl gefühlt haben."
Achtsam miteinander umgehen - Das gilt auf dem Pfadfinderlager (Foto: VCP Westfalen)
Schutzkonzept: Mehr als ein Notfallplan
Die Schulungen sind nur ein Baustein des umfangreichen Schutzkonzeptes vor sexualisierter Gewalt, mit dem der VCP vor acht Jahren startete. Der sexuelle Missbrauch zahlreicher Kinder und Jugendlicher in katholischen Internaten und der reformpädagogischen Odenwaldschule hatte auch die Pfadfinder schockiert. Zur gleichen Zeit richtete die Diakonie RWL ihre "Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung" (FUVSS) ein. Viele kirchliche und diakonische Einrichtungen und Verbände hat die Fachstelle seitdem dabei beraten, Schutzkonzepte zu entwickeln.
Meistens ist es ein langer und aufwendiger Prozess, wie das Beispiel des VCP Westfalen mit seinen 2.000 Mitgliedern und 300 ehrenamtlichen Mitarbeitenden zeigt. FUVSS-Referentin Birgit Pfeifer berät den Verband seit einem Jahr bei der Entwicklung eines auf ihn passenden Notfallplans. Denn dieser ist ein wesentlicher Baustein eines wirksamen Schutzkonzeptes.
FUVSS-Referentin Birgit Pfeifer hat an der Entwicklung des Diakoniesiegels mitgearbeitet
Diakonie stellt Siegel und Handbuch vor
"Häufig entwickeln ihn Einrichtungen nur für den Krisenfall", beobachtet Birgit Pfeifer. "Dabei umfasst ein Schutzkonzept deutlich mehr als einen Notfallplan." Dazu gehörten unter anderem ein gutes Beschwerdesystem, Fortbildungen für alle Mitarbeitenden sowie ein sexualpädagogisches Konzept.
Schließlich gehe es nicht nur darum, schnell und kompetent im Krisenfall zu reagieren, sondern dafür zu sorgen, dass sexuelle Übergriffe gar nicht erst vorkommen. Das aber braucht viele Schritte und Zeit. Ein langer Weg, der Anerkennung verdient. Ihr Schutzkonzept können sich diakonische und evangelische Einrichtungen daher künftig mit dem Diakoniesiegel "Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt" zertifizieren lassen. Am 30. Mai stellt es die Diakonie Deutschland mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, in Berlin vor. Birgit Pfeifer wird dabei sein, denn sie hat an den Qualitätskriterien und einem Handbuch mitgearbeitet, in dem alle wichtigen Bausteine eines guten Schutzkonzeptes aufgeführt und erklärt sind.
Das Thema "sexualisierte Gewalt" gehört inzwischen in jeden Grundkurs. (Foto: VCP Westfalen)
Von der Selbstverpfichtung bis zum Aktiv-Team
Vieles davon habe der VCP Westfalen bereits umgesetzt, lobt Pfeifer. So müssen alle Mitarbeitenden eine Selbstverpflichtung zur Prävention sexualisierter Gewalt unterschreiben. Jeder muss ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, auch Eltern, die als Begleitperson auf ein Pfadfinderlager mitfahren. Das Thema "Prävention sexualisierter Gewalt" wird in jedem Grundkurs und regelmäßig in anderen Schulungen aufgegriffen.
Es gibt ein sogenanntes "Aktiv-Team" aus fünf geschulten ehrenamtlichen Mitarbeitenden, denen Vorfälle sexueller Grenzverletzungen bis hin zu sexualisierter Gewalt gemeldet werden können und wo die häufig jungen und ehrenamtlich tätigen Gruppenleitungen erste Hilfestellungen erhalten.
Klare Verhaltensregeln helfen, sexuelle Grenzverletzungen zu vermeiden. (Foto: VCP Westfalen)
Klare Verhaltensregeln aufstellen
"In den meisten Fällen handelt es sich um einmalige Grenzüberschreitungen", erklärt Carsten Waldminghaus. Etwa, wenn sexualisierte Schimpfwörter fallen oder Kinder umarmt werden, obwohl sie das nicht wollen. "Meistens reicht es, klare Verhaltensregeln aufzustellen."
Doch was passiert, wenn die Regeln nicht akzeptiert werden? Diese Frage stellte sich Bildungsreferent Carsten Waldminghaus mit seinem Aktiv-Team vor zwei Jahren. Auf dem Lager eines Ortsvereins war ein Gast auffällig geworden und hatte sein Verhalten trotz mehrfacher Ermahnungen nicht geändert. Er sollte Hausverbot bekommen. "Unser Verband ist sehr basisdemokratisch organisiert und es gab Unstimmigkeiten, wer zuständig ist und das zu entscheiden und mitzuteilen hat", berichtet der Sozialpädagoge. "Daran wurde uns klar, dass wir ein Krisenkonzept und ein Krisenteam brauchen."
Idyllischer Arbeitsplatz: Carsten Waldminghaus vor der Burg, in dem die Geschäftsstelle des VCP Westfalen sitzt
Von oben bis unten gut aufgestellt
Das gibt es nun mit eindeutigen Zuständigkeiten. Birgit Pfeifer wird Teil des Teams auf Landesebene sein. Was im Krisenfall zu tun ist, steht auch fest. Dazu gehören unter anderem eine fachliche und juristische Beratung sowie eine gute Pressearbeit. Nur die Zeiträume, wann wer wie reagiert, müssen noch festgelegt werden.
Im Herbst, so hofft Carsten Waldminghaus, steht das gesamte Schutzkonzept des VCP Westfalen. Die intensive Beschäftigung mit dem schwierigen Thema "sexualisierte Gewalt" hat den Verband verändert. "Wir gehen heute gerade im Blick auf die uns anvertrauten Kinder offener und aufmerksamer miteinander um."
Text und Fotos: Sabine Damaschke, Teaserfoto: Thorben Wengert/pixelio.de