13. März 2023

Digitalisierung der Jugendhilfe

Teilhabe durch Kinderrechte-App "Justy"

Mit einer Auftaktveranstaltung hat die Diakonie RWL die gemeinsame Entwicklung der Kinderrechte-App "Justy" mit Einrichtungen der stationären Jugendhilfe gestartet. Die App soll für Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung Ratgeber für ihre Rechte und zugleich Beschwerdestelle sein. Sozialwissenschaftler*innen der FH Dortmund interviewen die beteiligten Jugendlichen, um Bedürfnisse an die digitale Plattform festzustellen. Die Aktion Mensch Stiftung fördert das Modellprojekt.

  • Die Entwicklergruppe rund um die Kinderrechte-App Justy. Foto: Christoph Bild/Diakonie RWL
  • Gallery-Walk bei der Auftaktveranstaltung zur Kinderrechte-App "Justy". Foto: Christoph Bild/Diakonie RWL
  • Gallery-Walk bei der Auftaktveranstatlung zur Kinderrechte-App "Justy". Foto: Christoph Bild - Diakonie RWL
  • Gallery-Walk bei der Auftaktveranstaltung der Kinderrechte-App "Justy". Foto: Christoph Bild/Diakonie RWL
  • Gallery-Walk bei der Auftaktveranstaltung der Kinderrechte-App "Justy". Foto: Christoph Bild/Diakonie RWL

In Deutschlands ältestem technischen Weiterbildungsinstitut, dem Haus der Technik in Essen, sind etwa 25 Expertinnen und Experten aus der stationären Kinder- und Jugendhilfe für die Entwicklung einer innovativen App zusammengekommen: Die Sozial- und Medienpädagog*innen, Qualitäts-Manager*innen, Fachbereichsleiter*innen und Wissenschaftler*innen bauen mit der Diakonie RWL die Kinderrechte-App "Justy" für die Jugendhilfe.

Gemeinsam mit der Fachhochschule Dortmund und Alexander Hundenborn, Projektleiter der Diakonie RWL, soll die App zu einem Ratgeber für Kinderrechte und als Beschwerdestelle in der Heimerziehung entwickelt werden. Das ist E-Partizipation, also internetgestützte Teilhabe durch Digitalisierung – wissenschaftlich begleitet und mit 940.000 Euro über fünf Jahre durch die Aktion Mensch Stiftung gefördert.

Alexander Hundenborn begleitet die Entwicklung der "Justy"-App als Projektleiter der Diakonie RWL über die fünf Förderungsjahre durch die Aktion Mensch-Stiftung.

Alexander Hundenborn begleitet die Entwicklung der "Justy"-App als Projektleiter der Diakonie RWL über die fünf Förderungsjahre durch die Aktion Mensch Stiftung. 

Beteiligung durch Chat und Augmented Reality

"Justy verfolgt drei Ziele: Kinder und Jugendlichen leicht verständlich und motivierend Informationen über ihre Rechte zu bieten, Möglichkeiten zur digitalen Beteiligung und einen einfachen, digitalen Weg zu Beschwerdemöglichkeiten zu schaffen", sagt Projektleiter Alexander Hundenborn.

"Daneben könnte die App per Augmented Reality, also erweiterter Realität, die direkte Umgebung einbeziehen, um Informationen spannend aufzubereiten oder Gestaltungsmöglichkeiten im Zimmer zu simulieren. Eine andere Idee ist, dass sich die jungen Menschen per Chat untereinander austauschen könnten." Tim Rietzke, Geschäftsfeldleitung Familie und junge Menschen bei der Diakonie RWL, betont bei der Auftaktveranstaltung: "Auf keinen Fall soll das Tool den persönlichen Kontakt und den vertrauensvollen Umgang innerhalb der Einrichtungen ersetzen."

Die Diakonie RWL, in deren Verbandsgebiet 140 diakonische Träger rund 12.000 Plätze in der stationären Jugendhilfe anbieten, ist federführend für das Projekt "Justy" verantwortlich. Technisch entwickelt wird die App durch die beemo GmbH Münster, um ansprechend, funktional und barrierearm zu sein, sodass auch junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen die digitale Plattform leicht bedienen können.

Die Expertin Verena Würz gestaltet den "Gallery Walk" vom Beschwerdewesen und Qualitätsmanagement, Erziehung und Bildung, der Graf Recke Stiftung.

Die Expertin Verena Würz gestaltet den "Gallery Walk" vom Beschwerdewesen und Qualitätsmanagement, Erziehung und Bildung, der Graf Recke Stiftung. 

Ein „Gallery Walk“ für jugendliche Beteiligung

"Justy wird nicht im stillen Kämmerlein entwickelt, sondern lebt von der Beteiligung der Einrichtungen, insbesondere der Fachkräfte und vor allem der Jugendlichen", betont Alexander Hundenborn. "Die Auftaktveranstaltung spiegelt genau diese Stimmung wider: In einem "Gallery Walk" haben die Einrichtungen einen Einblick in ihre Arbeit zu den Themen Partizipation und Digitalisierung mitgebracht und präsentiert."

Wie empfinden junge Menschen die Regeln zur Mediennutzung – beispielsweise bei der täglichen Nutzung des Internets per Smartphone im Wohnbereich? Wie organisieren sich die Kinder und Jugendlichen selbst, um ihre Rechte zu vertreten? Ein Kinder- und Jugendrat setzte sich zum Beispiel für die Verbesserung der WLAN-Netze ein und lud kurzerhand den IT-Dienstleister zu einem Gespräch in die Einrichtung ein.

Mehrfach hoben die Sozial- und Medienpädagog*innen im Gallery Walk hervor, dass sich bei den internen Beschwerdestellen der Einrichtungen nur wenige Kinder und Jugendliche selbst melden. Vielmehr sind es die Angehörigen, die sich über Kinderrechte informieren. Doch bevor die Justy-App das ändern kann, braucht es das Know-how der Wissenschaft.

Professorin Dr. Nicole Knuth und Marius Biele von der Fachhochschule Dortmund präsentieren den Expert*innen der stationären Erziehungshilfe ihre qualitative Interview-Methode vor.

Professorin Dr. Nicole Knuth und Marius Biele von der Fachhochschule Dortmund präsentieren den Expert*innen der stationären Erziehungshilfe ihre qualitative Interview-Methode vor. 

21 Interviews und viele Stunden Tonmaterial

Professorin Dr. Nicole Knuth und Marius Biele aus den angewandten Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund begleiten die Entwicklung der App wissenschaftlich. Ihr Ziel: "Aus unserer Sicht soll die App kommunikativer Motor zwischen Fachkräften und Jugendlichen, aber auch zwischen den Jugendlichen werden", so Knuth.

Um dafür Erkenntnisse zu gewinnen, führen die Sozialwissenschaftler*innen 21 Interviews mit Jugendlichen im Alter zwischen 14 bis 17 Jahren und den Fachkräften aus sieben stationären Einrichtungen. "Wir haben Einrichtungen ausgewählt, die in den Punkten Konzept, Betreuungsform und Größe möglichst unterschiedlich sind", so Professorin Dr. Nicole Knuth. Bei den ausgewählten Jugendlichen gilt dasselbe: Sie sollen ebenfalls unterschiedlich sein, zum Beispiel in Geschlecht, Alter und Mediennutzung.

Die Interviews werden aufgenommen, transkribiert und detailliert analysiert. Im Fokus steht das Verständnis der Rechte-, Austausch- und Beschwerdemöglichkeiten sowie der Umgang mit Medien in der Heimerziehung. Damit wollen Knuth und Biele beispielsweise "Verknüpfungen zu der immer postulierten Medienaffinität von Jugendlichen" herausfinden. Noch 2023 soll in einer Zukunftswerkstatt eine Demo-Version der App getestet werden, um Erwartungen und Ideen aller Beteiligten abzugleichen. Die daraus gewonnenen Ergebnisse fließen in die Weiterentwicklung ein.

Der bundesweite Rollout der Kinderrechte-App "Justy" soll 2026 starten. Damit soll die App allen Interessierten aus der Erziehungshilfe kostenlos zur Verfügung stehen. Foto: pixabay

Der bundesweite Rollout der Kinderrechte-App "Justy" soll 2026 starten. Damit soll die App allen Interessierten aus der Erziehungshilfe kostenlos zur Verfügung stehen. Foto: pixabay

App-Test und bundesweiter Rollout

Eine erste Test-Version der "Justy"-App soll 2024 fertig sein. Diese Test-App wird den sieben Einrichtungen zur Verfügung gestellt – hunderte Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung werden die App dann ausprobieren. Die Diakonie RWL entwickelt dazu ein Konzept, wie Kinder- und Jugend-Einrichtungen die App zukünftig eigenständig einführen können.

Nach der Erprobung für den Normalbetrieb mit einem noch größeren Nutzer*innenkreis soll 2026 ein bundesweiter Rollout starten. Die neue Kinderrechte-App wird dann außerhalb der diakonischen Einrichtungen für alle Interessierten aus der Erziehungshilfe kostenlos zur Verfügung stehen.

"Gerade wenn junge Menschen neu in eine Einrichtung kommen, ist die Unsicherheit oft groß", sagt Tim Rietzke. "Wir hoffen, dass wir ihnen den Start mit der Justy-App erleichtern können."

Text und Fotos: Christoph Bild

Ihre Ansprechpartner/innen
Alexander Hundenborn
Geschäftsfeld Familie und junge Menschen
Tim Rietzke
Geschäftsfeld Familie und junge Menschen