25. Januar 2017

Freiwilligendienste

Erstes Seminar nur für Flüchtlinge

Rund 20 Flüchtlinge machen bei der Diakonie RWL einen Bundesfreiwilligendienst (BFD). Sie sind in Kliniken, Altenheimen oder Kirchengemeinden eingesetzt, nehmen aber auch gemeinsam mit anderen Freiwilligen an Seminaren, Workshops und Exkursionen teil. Jetzt fand zum ersten Mal ein Seminar nur für die Flüchtlinge statt. 

Gruppe mit ausgestreckten Armen. Im Hintergrund auf einem Stuhl stehend jubelnd der Seminarleiter

Wie kann der Ball noch schneller wechseln? Seminarleiter Andreas Brockmann feuert die Gruppe an. 

Der kleine, gelbe Tennisball wirbelt durch die Luft. Immer schneller schmeißt ihn die Gruppe im Kreis herum. Jeder soll ihn einmal werfen und fangen. Dann wird die Zeit gemessen – und es geht wieder von vorne los. Das Ziel ist klar: die 15 Freiwilligen aus Iran, Syrien, Eritrea und Somalia möchten ihren Rekord brechen. Der Ehrgeiz hat sie gepackt.

Seminarleiter Andreas Brockmann ist begeistert. Selten hat er in seinen Veranstaltungen mit Freiwilligen der Diakonie RWL eine so schnelle Gruppe erlebt. Doch auf ihrer Flucht haben viele Freiwillige genau das trainiert: schnell und achtsam zu sein. Und sie haben gelernt, wie wichtig ein gutes Miteinander in einer neuen Umgebung ist. 

Tafel mit Zeitangaben

Die Zahlen rechts auf der Tafel dokumentieren die schnellen Fortschritte bei der Übung: Von 16 Sekunden im ersten Durchlauf auf fast 5 Sekunden im letzten.  Die Zahlenreihe links sind die selbstgesetzten Zeitziele.

In Deutschland angekommen, wollen sie sich nun ein neues Leben aufbauen. Den Bundesfreiwilligendienst verstehen sie als Chance, mehr über das Leben in Deutschland zu erfahren und sich zu orientieren, welche Arbeit sie gerne machen möchten.

Für Tarek al Kousa ist es bereits klar. "Wenn ich im Krankenhaus arbeite, bin ich glücklich, ich würde das auch 16 Stunden am Tag machen", erzählt er in der Vorstellungsrunde des Seminars. Der Flüchtling aus Syrien hatte vor seiner Flucht in einem syrischen Krankenhaus gearbeitet und dort während des Krieges tatsächlich oft so lange Arbeitstage gehabt.

Gruppenbild

Die Seminargruppe vor dem Haus am Turm in Essen-Werden. (Bild größer)

Keine Angst vor dummen Fragen

Arbeitszeiten, Teamarbeit, soziale Kontakte und Sprachbarrieren – all das kommt in dem dreitägigem Seminar zur Sprache. Zum ersten Mal veranstaltet die Diakonie RWL ein solches Treffen für alle Flüchtlinge, die in den sozialen diakonischen Einrichtungen zwischen Bielefeld und Saarbrücken einen Bundesfreiwilligendienst machen.

Die besonderen Seminarangebote für Geflüchtete sind ein zusätzliches Engagement der Diakonie RWL als Träger des Freiwilligendienstes. "Sie bieten die Möglichkeit, andere Geflüchtete in ähnlicher Situation kennenzulernen und Fragen, die mit der Situation als Flüchtling zusammenhängen, gezielter bearbeiten zu können als in den gemischten Gruppen", erklärt dazu Andreas Brockmann. Mindestens zweimal im Jahr soll es ein solches Angebot geben.

Thema in diesem ersten Seminar waren auch die Probleme, die mit Sprachbarrieren zusammenhängen. "Was mache ich, wenn ich einen Auftrag bekomme und ich verstehe nur die Hälfte?" war eine Frage, die die Freiwilligen in dem Seminar diskutierten. "Nachfragen" lautete die naheliegende Antwort. Doch zu hören, wie andere mit solchen Situationen umgingen, wirke schon entlastend und befreiend, so die Beobachtung von Katharina Degen, die das Seminar gemeinsam mit Andreas Brockmann durchführte.

Nebeneinander stehend

Andreas Brockmann und Katharina Degen

Erst in Deutschland schreiben gelernt

Die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden des Seminars stellen sich dann aber als überraschend gut heraus. Viele sind erst seit gut einem Jahr in Deutschland. Das Sprachniveau B1 haben fast alle, und fast alle bemühen sich, zum Teil in Abendkursen, ihr Deutsch weiter zu verbessern. Sabah Hasan Mohamed aus Somalia, die einzige weibliche Freiwillige des Seminars, ist in ihrer Heimat nie zur Schule gegangen. Erst in Deutschland hat sie schreiben und lesen gelernt.

Die tägliche Arbeit mit deutschen Kollegen in den sozialen Einrichtungen, aber auch in den regulären Bildungsangeboten der Diakonie RWL hilft den Flüchtlingen dabei, schnell und gut Deutsch zu lernen. Maximal drei geflüchtete Freiwillige sind einer regionalen Seminargruppe zugeordnet. Mehr sollten es auch nicht sein, meint Jürgen Thor, der mit Kollege Michael Brausch das Zentrum Freiwilligendienste in der Diakonie RWL leitet. „Damit können wir den meist höheren Aufwand an Betreuung leisten und entsprechen dem Wunsch der Flüchtlinge nach mehr Kontakt zu einheimischen Deutschen“, betont er.

Der Traum vom Job und Familie

Die Seminarleiterinnen und Seminarleiter stehen den Flüchtlingen - wie den anderen Freiwilligen - über das Jahr hindurch als Ansprechpartner zur Verfügung und besuchen diese auch in ihren Einsatzstellen. Dort beträgt die maximale Wochenarbeitszeit für die Freiwilligen 39 Stunden. "Wir empfehlen den Flüchtlingen aber eine Beschäftigung mit 23 Arbeitsstunden", sagt Thor, "damit neben dem Freiwilligendienst noch Zeit zur Orientierung und für den Spracherwerb bleibt."

Deutsch lernen und die deutsche Kultur verstehen – das wollen alle geflüchteten Freiwilligen. Denn sie alle wünschen sich eine Zukunft in Deutschland, wollen einen sicheren Job finden, aber später gerne auch heiraten und eine Familie gründen. Auch das war Thema auf dem ersten Seminar für Flüchtlinge in Essen. Der Austausch habe ihnen Spaß gemacht und gut getan, lautet die positive Bilanz. Katharina Degen dagegen betont, wie sehr die Flüchtlinge den Bundesfreiwilligendienst bereichern. "Während ich da saß und den Berichten der Freiwilligen zuhörte, begleitete mich ein Gedanke: Jeder einzelne Freiwillige ist es Wert, dass es das Programm BFD für Geflüchtete gibt."

"Wofür machen Sie einen Freiwilligendienst?"

Vom Taschengeld, das die Diakonie für den Freiwilligendienst zahlt, bleiben den Geflüchteten, die in der Regel 23 Stunden in der Woche arbeiten, etwa 50 Euro.  Der Rest wird nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von anderen Unterstützungleistungen in Abzug gebracht.  Finanziell lohnt sich das nicht. Wofür also machen Flüchtlinge einen Freiwilligendienst? 

Portraitfoto

Tarek al Kousa

Tarek al Kousa (39) ist seit zwei Jahren in Deutschland. Seinen Freiwilligendienst macht er im Florence-Nightingale-Krankenhaus in Kaiserswerth. "In meiner Heimat, in Syrien, habe ich 19 Jahre als Krankenpfleger gearbeitet. Dort habe ich auch schon einmal einen freiwilligen Dienst gemacht - zwei Jahre als Freiwilliger in einem Krankenhaus des Roten Halbmonds. Mein Diplom ist in Syrien verloren gegangen. Nun will ich hier eine neue Ausbildung als Krankenpfleger machen. Wenn ich im Krankenhaus arbeiten kann, bin ich immer glücklich."

Portraitfoto

Sabah Hasan Mohamed

Sabah Hasan Mohamed (28): "Ich möchte Altenpflegerin werden. Im Freiwilligendienst kann ich deutsche Leute kennenlernen und mein Deutsch verbessern. Viele Bewohner sagen zu mir, dass mein Deutsch schon sehr gut ist. Ich spreche nur zu leise. Ich will auch lernen, lauter zu sprechen. Viele alte Leute im Heim hören ja schlecht."

Sabah Hasan Mohamed ist seit zwei Jahren in Deutschland. Sie macht ihren Freiwilligendienst in einem Seniorenzentrum der Diakonie in Dormagen. In ihrem Dorf in Somalia gab es keine Schule. Lesen und schreiben hat sie erst in Deutschland gelernt. Abends nach dem Dienst besucht sie noch einen Deutschkurs an der VHS.

Portraitfoto

Bahran Sereke Gulbet

Bahran Sereke Gulbet (28): "Letztes Jahr habe ich meinen Deutschkurs beendet. Danach war mir immer langweilig. Ein Pfarrer hat mir einen Praktikumsplatz vermittelt. Das durfte ich aber nur drei Wochen machen. Mehr ließ die Arbeitsagentur nicht zu. Jetzt mach ich einen BFD. Danach möchte ich eine Ausbildung als Altenpfleger machen. Die Arbeit im Altenheim gefällt mir sehr gut. Und ich unterhalte mich gerne mit alten Menschen."

Bahran Sereke Gulbet war in verschiedenen Etappen fünf Jahre auf der Flucht, eh er vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland kam. Bahran macht seinen Freiwilligendienst in einem Seniorenzentrum der Diakonie in Detmold. 

Portraitfoto

Khaled Salloum

Khaled Salloum (30): "Ich möchte soziale Arbeit studieren. Der Freiwilligendienst hilft mir, einen Studienplatz zu finden. Und ich kann mehr Erfahrungen im Umgang mit Menschen sammeln."

Khaled Salloum arbeitet bei den Migrationsdiensten der Diakonie in Saarbrücken. Er ist seit 18 Monaten in Deutschland.

Portraitfoto

Abdulhadi Benni

Abdulhadi Benni (22): "So früh wie möglich habe ich hier einen Deutschkurs gemacht. Der hat aber leider nicht viel gebracht. Im BFD spreche ich jetzt viel mit Deutschen und lerne schnell dazu. Ich bin sehr froh, dass ich arbeiten kann. Nur zuhause sein war langweilig. Nach dem BFD möchte ich eine Ausbildung machen. Später möchte ich vielleicht Wirtschaft studieren. In Syrien hatte ich in einem Handy-Laden gearbeitet."

Abdoul Diallo ist im November 2015 nach Deutschland gekommen. Er macht seinen Freiwilligendienst im Altenzentrum Rosenberg in Bochum. 

Portraitfoto

Mostafa Hasanzade

Mostafa Hasanzade (23): "Im Freiwilligendienst mache ich Arbeiten im Gemeindehaus und anderen Einrichtungen der Gemeinde. Ich arbeite auch im Garten, habe den Rasen gemäht oder schneide jetzt Bäume zurück. Was danach kommt? Ich habe noch keine Idee. Eigentlich habe ich viele Ideen, aber ich muss erst noch Informationen sammeln, was möglich ist. Dafür kann ich die Zeit jetzt nutzen."

Mostafa Hasanzade ist seit 15 Monaten in Deutschland. Seinen Freiwilligendienst macht er in einer Evangelischen Kirchengemeinde in Solingen. Vor seiner Flucht aus dem Iran hatte er als Baggerfahrer gearbeitet.

Text und Fotos: Christian Carls und Sabine Damaschke